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Muh! Uschi liebt ihre Kühe und die Stille auf der Alm. Trotzdem weiß die gestandene Bäuerin in Matti Bauers Doku „Still“ um die Brüchigkeit der Idylle.

© Zorrofilm

Dokumentarfilme "Still" und "Sauacker": Power to the Bauer

Jenseits des Landlust-Hypes sieht die Realität der bäuerlichen Landwirtschaft in Deutschland alles andere als romantisch aus. Die Dokumentarfilme "Still" und "Sauacker" erzählen von Generationswechsel, Höfesterben und der ewigen Liebe zum Land.

Wenn es nach den Lifestyle-Magazinen, den Innenausstattern, Folkloremodeschöpfern und Reality-Fernsehformaten geht, dann könnte sie gar nicht größer sein: die Liebe zum Land. Vor allem unter agrarfernen Städtern, versteht sich. Die rennen den in Stadtnähe aus dem Boden sprießenden Hofläden die unbehandelten Türen ein. Die wärmen zu Hause an Schweinsbratenrezepten und Trachtenjankerstrickmustern ihre in Steinschluchten verkühlten Seelen.

Jenseits des Landlust-Hypes und einiger florierender Nischenbetriebe sieht die Realität der bäuerlichen Landwirtschaft in Deutschland aber alles andere als romantisch aus: Rund 300 000 Bauernhöfe gab es 2010 bundesweit, drei Jahre zuvor waren es noch rund 320 000. Wobei der Strukturwandel auf dem Land – das Höfesterben – schon seit den siebziger Jahren zugunsten der Großbetriebe ausfällt. Genau gesagt, inzwischen zugunsten von Agrarfabriken mit mehr als 100 Hektar Wirtschaftsfläche. Die prosperieren, haben aber nichts mehr mit der bäuerlichen Landwirtschaft zu tun, wie sie zwei Dokumentarfilme würdigen, die jetzt im Kino zu sehen sind: „Sauacker“ von Tobias Müller beschreibt über zwei Jahre den Alltag der schwäbischen Landwirtsfamilie Kienle. Und der Regisseur Matti Bauer beobachtet gar über zehn Jahre die Entwicklung der Heldin Uschi von der Sennerin zur gestandenen oberbayerischen Bäuerin. „Still“ heißt sein in veredelndem Schwarz-Weiß gedrehter Film.

Keine Stille auf der Alm

Dabei ist die Alm, auf der Uschi zu Beginn der Langzeitdokumentation ihre Sommer verbringt, gar nicht still. Nur wenn man in urbanen Kategorien, an zivilisatorische Lärmteppiche denkt. Die gibt es in diesem Film ebenso wenig wie Musik. Bei Matti Bauer ist die Bergweide eine kitschfreie, aber archetypische Bilderbuchwelt und vor allem ein niemals schweigender Klangraum. Eine Sinfonie der Kuhglocken, des Wiederkäuens, der Viehlockrufe, des Regenrauschens, der Winde. Naturlaute halt, nur unterbrochen vom Sirren der Melkmaschine. An hervorragend gepflegte Zitzen gehängt von der hart arbeitenden Uschi, die trotz ihrer Reisen nach Thailand, Neuseeland oder Südamerika ihr ganzes Herz an die heimischen Rindviecher, die Pflege der Kulturlandschaft Almwiese und den 300 Jahre alten, zur Übergabe anstehenden Hof der Eltern hängt.

Dass das nicht ohne handfeste Spannungen zwischen Jung und Alt und grundlegende agrarökonomische Überlegungen nach der schon in den siebziger Jahren ausgegebenen Losung „Wachse oder weiche“ abgeht, belegt auch Tobias Müllers Milieustudie aus Baden-Württemberg. Die ist im Gegensatz zu „Still“ zwar farbig, musikalisch gefällig untermalt und hochdeutsch untertitelt, aber ebenso kitschfrei, kommentarlos und beiläufig beobachtend. Hier ist es der 29 Jahre alte Jungbauer Philipp, der mit seinem halsstarrigen Vater über Konzepte zur Rettung des Hofes streitet.

Nur von Ackerbau und Viehzucht können die Kienles angesichts der von der Massenproduktion diktierten Dumpingpreise für Fleisch, Milch oder Korn schon lange nicht mehr leben. Der Sohn rackert nebenbei im Stahlwerk, der Vater trägt frühmorgens Zeitungen aus, bevor er in den Stall geht. Was sie miteinander und mit den Bauersleuten in Oberbayern eint, ist ein unbeugsamer Stolz auf den ersten und ehrwürdigsten Beruf der Menschheitsgeschichte und der Glaube daran. Nicht so, wie ihn Markt und Agrarsubventionen heute prägen. Sondern so, wie er ursprünglich ausgeübt wurde – mit Respekt vor Ackerkrume und Kreatur.

Dokumentarisches - ohne platte Attitüden

„Mein großes Vorbild ist die Natur“, erteilt Philipp allen Businessplanern eine Abfuhr und lässt sich trotzig die Hofgründung 1725 als Tattoo in den Arm stechen, „die hat sich auch nicht spezialisiert: Vielfalt sichert das Überleben.“ Und in Matti Bauers Doku ist es ein bewegender Moment, wenn Uschi, die sich über Jahre mit der Entscheidung zur Hofübernahme plagt und sich lange nur zögernd „Landwirtin“ nennt, schließlich mit freiem Lächeln sagt: „Ich bin eine Bäuerin.“ Daran, dass das eine gute Wahl, ein gutes Leben ist, hat ihre Mutter – ebenso wie die Philipps – so ihre Zweifel: Beide Altbäuerinnen stehen der pekuniär fruchtlosen Plackerei am Ende ihres Erwerbsdaseins kritisch gegenüber und hätten sich ein anderes Leben gewünscht.

Beide Land-Dokus verzichten auf eine platt glorifizierende und politisierende Attitüde. Trotzdem nehmen sie Partei für die traditionsbewussten Landleute, die nichts Geringeres als Kämpfer für eine untergehende Agrarkultur und damit auch für eine Kulturlandschaft sind, die keine 15 Hektar großen Mais-Schläge für die Biogasanlage will. Gerade deswegen hätte man sich für beide Filme durchaus ein bisschen mehr standesbewusste Agitation und etwas weniger kontemplative Arbeitsweltpoesie gewünscht. Eine Aufgabe für die kommenden Filme des Landlust-Hypes.

„Still“ läuft im Filmkunst 66, fsk und Hackesche Höfe (englisch untertitelt); „Sauacker“ startet am 26. Juni

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