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Hochwasser bedeckt am 06.11.2017 die Wege neben der Rialtobrücke in Venedig.

© Riccardo Gregolin/ANSA/AP/dpadpa

Venedig und die Literatur: Pracht schlägt Prosa

Von Venedig ist schon viel erzählt und gedruckt worden, wusste Goethe schon. Ob das der Grund dafür ist, dass viele Autoren an guten Venedig-Erzählungen scheitern?

Als ordentlicher Bildungsbürger hat man auf Reisen stets genug Literatur im Gepäck. Am besten noch solche, die aus dem jeweiligen Reiseland kommt oder dort angesiedelt ist. Wer häufiger nach Venedig fährt, liest also irgendwann Goethes „Italienische Reise“, insbesondere die Einträge zu seinem venezianischen Aufenthalt im Herbst 1786, die er erst 1816 und 1817 publizierte. Es fängt verheißungsvoll an mit seinem Bekenntnis, so lange bleiben zu wollen, „bis ich mich am Bilde dieser Stadt satt gesehen habe“, ist aber im Fortlauf nicht über die Maßen aufregend. Was Goethe gleich früh entschuldigt, weil von „Venedig schon viel erzählt und gedruckt“ worden sei, solcherart, „daß ich mit Beschreibung nicht umständlich sein will, ich sage nur, wie es mir entgegenkommt“.

Goethe schreibt über den Dreck in den Straßen, geht ins Theater, bewundert die Bauten Palladios oder Bilder von Tizian und Veronese und kommt dabei auf Gedanken wie diese: „Es ist offenbar, daß sich das Auge nach den Gegenständen bildet, die es von Jugend auf erblickt, und so muß der venezianische Maler alles klarer und heiterer sehn als andere Menschen. Wir, die wir auf einem bald schmutzkotigen, bald staubigen, farblosen, die Widerscheine verdüsternden Boden und vielleicht gar in engen Gemächern leben, können einen solchen Frohblick aus uns selbst nicht entwickeln.“ Ob uns das heute noch so geht? Zumal Goethes Beschreibungen der Stadt wenig elektrisieren.

Hemingways Roman "Über den Fluss und in die Wälder" lässt sich heute kaum noch lesen

Bei der Lektüre, eben gerade während eines Besuchs der Lagunenstadt, fragt man sich, wozu dieses begleitende Venedig-Lesen mit den Augen der anderen gut sein soll? Kann die Lektüre die Erwartungen nicht sowieso nie erfüllen? Und welche Erwartungen eigentlich? Dass man die Stadt besser durchdringt? Mit Reisebeschreibungen und Romanen von Autoren und Autorinnen, die ja oft selbst nur ein paar Wochen Venedig bereist haben? Auffallend ist, auch wenn es sich hier nur um eine Stichprobe handelt, dass es selten die besten Bücher aus bestimmten Werken sind, in denen Venedig eine Rolle spielt. Man denke an Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“, in der sich ein alternder Schriftsteller in einen polnischen Jungen verguckt, in einem Hotel am Lido. Mal abgesehen von dem zweifelhaften Thema macht allein der hochgestochene, bildungshuberische Ton dieses Buch alles andere als zu einem Vergnügen.

Oder an Ernest Hemingways Roman „Über den Fluss und in die Wälder“, der sich hauptsächlich im Gritti Palace Hotel am Eingang des großen Kanals gegenüber der Basilika Santa Maria della Salute abspielt. Ein über 50-jähriger Kriegsheld erklärt seiner 19-jährigen Geliebten, seiner „neugierigen Schönen“, weniger die Welt als das, was er im Krieg erlebt hat, wehmütig und nur vordergründig distanziert: „Aber man kriegt seine Befehle und hat sie auszuführen.“ Venedig mag darin noch so oft als „die beste Stadt der Welt“ gefeiert, der Markt in seinen schillerndsten Farben gezeichnet werden: Dieser Roman, sein Stoff und seine Dialoge sind schwer erträglich, der hat seine Zeit gehabt, anders als mancher andere, heute noch außergewöhnlich gut wirkende Hemingway-Roman. Auch Louis Begleys „Tod in Venedig“-Romanvariation „Mistlers Abschied“ ist zumindest im Zusammenhang mit Venedig nicht der Weisheit letzter Schluss, schon gar nicht das oberflächliche, mitunter peinsame Büchlein, das Begley mit seiner Frau Anka Muhlstein verfasst hat, „Venedig unter vier Augen“.

Henry James ließ zwar ganz in der Spur Goethes wissen, über Venedig sei „nichts Neues mehr zu sagen, doch das Alte, was man sagen kann, ist besser als alle Neuigkeiten der Welt". Trotzdem scheint es, bei aller Faszination, die die Stadt auf Autoren von Proust bis Hofmannsthal, von Mark Twain bis Nietzsche und all die anderen ausübte: Gegen Venedigs Pracht, Schönheit und Schätze scheint die Prosa machtlos (gewesen) zu sein. Goethe reiste dann 1786 wieder „gern“ von dannen – selbst wenn er ein paar Jahre später noch ein zweites Mal, das aber eher widerwillig, kommen sollte. Ihm war sowieso „nicht etwa zumute, als wenn ich die Sachen zum erstenmal sähe, sondern als ob ich sie wiedersähe.“

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