zum Hauptinhalt

Preis der Nationalgalerie: Blut im Tee

Im Hamburger Bahnhof sind die vier Kandidaten für den mit 50.000 Euro dotierten Preis der Nationalgalerie zu sehen.

So kann man es auch sehen: Der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst produziert künftige Künstlerstars. Wer einmal auf der Nominiertenliste stand oder sogar den Preis gewann, Olafur Eliasson, Daniel Richter, das Duo Elmgreen & Dragset, voilà, dessen Karriere ist gemacht. Diese Sicht von Christina Weiss, der Vorsitzenden des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, ist zu verstehen. Der Förderverein finanziert mit BMW alle zwei Jahre den mit 50 000 Euro dotierten Preis und einen Ankauf des Gewinners. Doch richtiger liegen die Dinge wohl anders herum. Die vier Kandidaten stehen ohnehin kurz vor dem großen Sprung. Der schöne Streit, wer von ihnen der Beste sei, sichert umgekehrt dem honorigen Verein den Anschluss an die aktuelle Kunst, dem Hamburger Bahnhof wird eine heiß diskutierte Ausstellung beschert.

Zum fünften Mal ist es nun wieder so weit. Diesmal steigen zwei Filmemacher, eine Fotografin und ein Installationskünstler – alle aus Berlin – in den Ring. Malerei und Skulptur sind offensichtlich weniger gefragt, was am Zustandekommen der Nominiertenliste liegt, die auf Vorschläge von Museumsleuten, Kunstvereinsleitern und Kunsthallendirektoren zurückgeht. Der Markt wird diesmal nicht konsultiert. So passt zu den Kandidaten das Etikett Sperrigkeit; alle vier machen es sich und dem Publikum nicht eben leicht. „Wo bleibt denn da die Kunst?“, wurde schon bei der gestrigen Vorbesichtigung gefragt.

Mag sein, dass sich diesmal zu viel Leben in die Kunst verirrt, was ihr häufig nicht bekommt. Auch darüber lässt sich trefflich diskutieren. Der Vietnamese Danh Vo (geb. 1975) stellt in seinen Installationen immer biografische Bezüge her. Der von ihm angelegte Dachgarten besteht aus Rhododendron-Arten, die Missionare aus seinem Heimatland nach Europa importierten; unter dem in seine Einzelteile zerlegten Kronleuchter aus dem legendären Pariser Hotel „Majestic“ wurde 1973 der Vietnam-Friedensvertrag unterzeichnet.

Genau auf jene Spannung zwischen Europa und einem ehemals kolonialisierten Kontinent spielt auch der Israeli Omer Fast (geb. 1972) mit seiner Trilogie „Nostalgia“ an. Dreimal verarbeitet er ein Interview mit einem afrikanischen Asylsuchenden aus London im Film, der vom Aufstellen einer Tierfalle erzählt. Die Episode ist schließlich so weit fiktionalisiert, dass Science-Fiction entsteht. Nun ist es ein Brite, dem die Flucht ins gelobte Land Afrika gelingt und der um Aufnahme bangt. Beide Künstler benutzen Erinnerung, Geschichte als Material, das sich je nach Betrachterstandort definiert.

Auch Keren Cytter (geb. 1977), die wie Fast aus Israel stammt und mit Film arbeitet, bezieht sich auf gefundenes Material, Horrornachrichten aus dem Internet, die sie zu Psychodramen umschreibt. Etwa die Geschichte vom Mann, der seine Frau erschießen will, dann sich. Sie überlebt und überreicht der eintreffenden Polizei eine Tasse Tee, in die Blut aus ihrer Kopfwunde tropft. Oder jener Fall, bei dem einer zweimal aus dem fünften Stock springt und immer überlebt. Somnambul wanken Cytters Akteure durch banale Settings. Der Wahn hat sie erfasst, in ihren Zimmern wohnt der Schrecken.

Annette Kelm (geb. 1975) hält diesem Grauen Stand mit ihren kühlen Fotoserien: Sonnenblumen, Porträts, Plattencover des von ihr verehrten Kollegen Herbert Tobias, wie sie in einer Museumsausstellung zu sehen waren. Doch auch hier stimmt etwas nicht: Mal ist der Himmel zu blau, mal das Modell zu verkrampft. Verlässliches gibt es nicht, schon gar nicht in der Kunst. Wem die Jury trotzdem am meisten traut, wird am 22. September bekannt gegeben.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50, bis 3.1.; Di-Fr 10-18, Sa 11-20, So 11-18 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false