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Pikante Noten. Vladimir Stoyanov als Fürst Jeletski und Svetlana Aksenova als Lisa.

©  Karl und Monika Forster/Promo

Premiere "Pique Dame" in Amsterdam: Die Liebe zum Zwielicht

Stefan Herheim gibt Rätsel auf, Mariss Jansons schafft Klarheit: „Pique Dame“ in Amsterdam.

Zum ouvertürelosen Beginn öffnet sich der Vorhang auf einen großbürgerlichen Salon, im Halbdunkel verdämmern lange Bücherreihen. Eine Zimmerpalme in der Ecke. Ein Sessel. Ein Mann, der darin sitzt. Ein anderer, der davor kniete und nun aufsteht. Ruhte da nur der Kopf zärtlich auf den Schenkeln? Oder wurden da ganz andere Sachen performt? Alles bleibt im Zwielicht, im Angedeuteten. Ein Vogelkäfig steht daneben, der Unbekannte dreht an Schräubchen, schon erklingt die Melodie zu „Ein Männchen oder Weibchen“ aus der „Zauberflöte“. Eine Menschenmenge stürmt herein, alle tragen Gläser, deren Inhalt in der Dunkelheit phosphoreszierend leuchtet. Wenige Augenblicke nur, und doch sind drei wesentliche Saiten aus dem Leben des Peter Iljitsch Tschaikowsky angeschlagen: Seine Homosexualität, seine Liebe zu Mozart, sein mythenumwaberter Selbstmord durch Trunk eines choleraverseuchten Glas Wassers.

Zehn Opern hat er geschrieben, nur zwei davon konnten sich im Repertoire halten. „Eugen Onegin“ inszenierte Stefan Herheim 2011 mit großem Erfolg an der Nationale Opera in Amsterdam, jetzt ist er, never change a winning team, mit seinem Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach und Bühnenbildner Philipp Fürhofer zurückgekehrt, um sich an „Pique Dame“ zu machen. Und noch ein alter Bekannter ist an Bord: Mariss Jansons – am Pult des Concertgebouw-Orchesters, das er bis 2015 geleitet hat.

Stefan Herheim ist ein Meister der Mehrschichtigkeit

Als Meister der Mehrschichtigkeit hat sich Herheim oft bewiesen, mit „Parsifal“ in Bayreuth oder „Hoffmanns Erzählungen“ in Bregenz. Auch bei „Pique Dame“ will er alles anders machen. Den Fokus nicht etwa auf Hermann legen, den jungen Offizier und tragischen Helden, der im Wahnsinn zergeht, weil zwei verwandte Leidenschaften ihn zerreißen: die für die Liebe und die fürs Spiel. Auch nicht auf seine Angebetete Lisa oder deren Großmutter, die alte Gräfin, die früher „Venus von Moskau“ genannt wurde und immer gewann, weil sie das Geheimnis der drei Karten kennt.

Nein, Herheim will den Komponisten selbst ins Zentrum rücken. Und zeigen, dass sich „Pique Dame“ auch aus dessen lebenslang unterdrücktem Hingezogensein zu Männern erklären lässt. Der Unbekannte des Beginns entpuppt sich als Tschaikowsky, dessen fliehende Stirn und gestutzter Bart dem Besucher im Programmheft auf zahlreichen historischen Fotos wiederbegegnen. Und der Mann im Sessel als Hermann. Tschaikowsky hat selbst erwähnt, wie sehr er den Tenor Nikolai Figner, der die Rolle des Hermanns bei der Uraufführung 1890 am Mariinski-Theater sang, „mochte“.

So wird, ähnlich wie bei Hans Neuenfels, eine neue Figur eingeführt, die das Geschehen von außen beobachtet und reflektiert. Vladimir Stoyanov, der diesen Tschaikowsky spielt, ist quasi ständig auf der Bühne, alle Agierenden richten sich auf ihn aus, als sei er wirklich da. Und doch sagt er kein Wort. Stürmt ans Klavier und hält in Noten fest, was er erlebt. Kompliziert wird die Sache dadurch, dass Stoyanov außerdem eine andere Figur singt (und das sehr gut, mit edelbronzenem Bariton) – Fürst Jeletski, Lisas Verlobten. Und alle Herren des Chors sehen exakt so aus wie er: Tschaikowsky überall. Die Oper wird zum Biopic.

Mariss Jansons schafft Klarheit

Wo Herheim bewusst Rätsel schafft, sorgt Mariss Jansons für Klarheit: Glänzend, prachtvoll und trotzdem klassisch-ausgeglichen strömt der Klang unter seinen Goldhänden aus dem Graben. Für Spannung sorgen die herausgehobenen, tief gründelnden Bässe, aber alle Stimmen kommen zu ihrem Recht, vor allem in den großen Orchesterpassagen. Fürsorglich auch reduziert der Maestro die Dynamik, wenn es für die Sänger zu laut wird. Stark vor allem die gebürtige St. Petersburgerin Svetlana Aksenova als Lisa und Alexey Markov als Offizier Tomsky; Misha Didyk als zentraler Charakter Hermann dagegen braucht lange, um stimmlichen Glanz zu entwickeln.

Philipp Fürhofer ist bekannt dafür, anhand von Alltagsgegenständen und Krempel unser Romantikbild zu hinterfragen. 2015 war seine Ausstellung „In Light of the Hidden“ in der alten Tagesspiegel-Druckerei in der Potsdamer Straße zu sehen. Ohne Licht ist seine Kunst tatsächlich nicht zu denken – in Amsterdam etwa explodieren Blitze hinterm Bücherbord. Auch der metapherndurstige Blick auf die Dingwelt ist da: das Klavier wird zum Sarg, der Lüster zum Weihrauchschwenker und zum Perpendikel, das erbarmungslos ans Vergehen der Zeit erinnert. Doch schwer lasten die plumpen, dunklen Wände und mit ihnen das restaurative 19. Jahrhundert auf den Figuren der Oper. Daran ändert auch wenig, dass die Wände von Zeit zu Zeit zu tanzen beginnen, sich ausstülpen, neue Raumzusammenhänge bilden.

Tschaikowsky schätzte graue Gehröcke

Der Preis dafür, „Pique Dame“ unbedingt auf die persönliche Lebenssituation und Homosexualität des Komponisten beziehen zu wollen, ist hoch. Alle anderen Stränge des Stücks werden an den Rand gedrückt. Und trotzdem ist am Ende wenig gewonnen. Tschaikowsky nonstop – und dennoch erfährt der Zuschauer kaum mehr, als dass er offenbar graue Gehröcke schätzte.

Ja, da ist die Szene zu Beginn im Sessel. Und da ist der Auftritt der Zarin im ersten Finale, den er sich als Auftritt Hermanns im Fummel imaginiert. Chorsänger erscheinen halbnackt und pfeildurchbohrt auf, ein Verweis auf den Heiligen Sebastian – in der christlichen Kunst fast die einzige Möglichkeit, die Schönheit des männlichen Körpers darzustellen. Und am Ende wird Hermanns Leiche flugs durch Tschaikowskys Leiche ausgetauscht, was beider Identität noch nachdrücklicher behauptet. Aber all das wirkt aufgesetzt. Herheim will etwas wagen. Aber er schreitet den Weg nicht konsequent genug aus.

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