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Kultur: Preußenjahr: So viel geht auf eine Ochsenhaut

Was tun, wenn ein Kurfürst sich selbst die Krone aufsetzt und sich fortan König nennt? Die Oranienburger hatten vor 300 Jahren eine ganz einfache Lösung parat.

Was tun, wenn ein Kurfürst sich selbst die Krone aufsetzt und sich fortan König nennt? Die Oranienburger hatten vor 300 Jahren eine ganz einfache Lösung parat. Sie platzierten dem wenige Jahre zuvor von Gabriel Grupello geschaffenen Marmorstandbild, das Friedrich III. noch als brandenburgischen Kurfürsten zeigte, einfach einen Lorbeerkranz aufs Haupt wie im alten Rom. So kam es, dass der frisch gekrönte Friedrich I., König in Preußen, auf seinem Rückweg von Königsberg nach Berlin Zwischenstation in seiner havelländischen Lieblingsresidenz einlegen und seinem marmornen Ebenbild standesgemäß gegenübertreten konnte.

Anlässlich von Krönungsjubiläum und Preußenjahr wiederholten die Oranienburger nun die bewährte Methode. Seit 1701 hat sich zwar viel, wenn nicht alles geändert. Doch Grupellos lebensgroße Marmorskulptur überstand alle Wirren; sie ziert nun erneut wie vor genau 300 Jahren ein Lorbeerkranz. Und wie eh steht der Preußenbegründer in seiner steinernen Gala-Rüstung da, den Hermelinmantel über die Schulter geworfen, ein Tuch elegant um die Hüften geschlungen und die Linke lässig in die Hüfte gestemmt. Nur sein Standort hat sich geändert: War die Statue zum Einzug des neuen Königs noch vor seiner Residenz aufgestellt, so genießt sie nun den Schutz des "Orange Saals" und begrüßt all die bürgerlichen Besucher zu ihrem Rundgang durch das wiedereröffnete Schloss.

Und auch diesmal nehmen es die Oranienburger mit besonderer Genugtuung, dass der gestrige Startschuss für die Jubiläumsfeierlichkeiten mit der Schlosseröffnung nicht in Berlin oder Potsdam, sondern bei ihnen fällt. Das passt durchaus ins Konzept der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, schließlich Friedrichs Nachlassverwaltern, die die Aufmerksamkeit auch auf die anderen brandenburgischen Wirkungsstätten lenken wollen. Mit Oranienburg hat die 27 architektonische Perlen zählende Kette preußischer Schlösser, bei der jede einzelne einer eigenen Epoche gewidmet ist, nun auch ihr zeitlich erstes Glied erhalten. Nachdem 18 Millionen Mark Sanierungsgelder die Verschandelungen der letzten 200 Jahre durch Krieg und Brand, durch Fremdnutzung als Schwefelsäurefabrik und Polizeikaserne weitgehend getilgt haben, lustwandelt man nun zumindest im südlichen Flügel wieder auf den Spuren des jungen Großen Kurfürsten, bekommt eine Ahnung von seiner Blütezeit um 1700.

Das war schon einmal 1999 so, als die holländische Königin die große Oranierausstellung eröffnete. Die nun gezeigten Schätze aber dürfen dauerhaft bleiben; manch kostbares Stück wird man wiedererkennen, wie etwa das große Gemälde der Gründungsallegorie von Schloss Oranienburg. Es zeigt Friedrichs Gemahlin Louise Henriette in der mythischen Rolle der weisen Dido, die vermeintlich bescheiden für ihr Reich nur so viel haben wollte, wie eine aufgeschnittene Ochsenhaut hergibt. Bekanntlich umfasste das Leder ganz Karthago. "Plus outre" haftet als Zettelchen entsprechend Louise Henriettes Wahlspruch an dem sagenumwobenen Fell. Denn auch die Oranierprinzessin verstand es, aus dem unbedeutenden Flecken Bötzow und dem alten kurfürstlichen Jagdhaus mit Hilfe holländischer Kolonisten "über das Mögliche hinaus" ein landwirtschaftliches Mustergut und ein barockes Wasserschloss nach Vorbild ihrer Heimat zu gründen. Kein Wunder, dass das hoheitliche Paar nach dem Dreißigjährigen Krieg diese Wohnstätte dem zerstörten Berlin zunächst vorzog.

Ohne die dynastische, aber auch die kulturelle Verbindung nach Holland ist Oranienburg nicht denkbar. Allerorten erinnert die Ausstellung an dieses besondere Erbe. Da ist etwa die Porzellankammer, von deren einstigem Luxus wie durch ein Wunder die Stuckdecke samt Gemälde erhalten blieb. Von der kostbaren Ausstattung gibt die von einem zeitgenössischen Stich hochkopierte Wandtapete noch einen Schimmer. Außerdem haben sich sechs meterhohe Etagèren zur Präsentation der Porzellane erhalten. Nur eine hat noch die alte Standfestigkeit, um die kostbaren Schaustücke tatsächlich vorführen zu können. Die anderen bedürfen dringend der Aufarbeitung, was hoffentlich auch edle Spender bemerken, so die Hoffnung der Stiftung, die immerhin über eine Million Mark noch einmal in die Restaurierung der Ausstellungsstücke investierte.

Überhaupt blitzt immer nur punktuell etwas von der alten Prachtentfaltung auf. Schloss Oranienburg gibt sich heute eher preußisch bescheiden mit hölzernem Dielenboden, so dass man sogar die kostbaren Bilder aus der Oranischen Erbschaft etwa von Anton van Dyck für Kopien halten möchte. Vom Mobiliar lassen nur der zerschlissene Thronstuhl im Audienzgemach, ein Lackschrank sowie elfenbeinerne Bank, Hocker und Armlehnstuhl aus der berühmten Garnitur des Statthalters von Kleve noch eine Ahnung. Lachen und Weinen zugleich machen die bei der Sanierung wieder entdeckten feinsten Wandmalereien in einer freigelegten Fensternische des "Orange Saales" oder die unter dicken Putzschichten hervorgeholten Grotesken-Fragmente im Speisesaal.

Eine ungeteilte Sensation aber sind die in der einstigen Porzellangalerie erstmals seit dem Krieg wieder gemeinsam aufgehängten fünf Bildteppiche mit den Ruhmestaten des Großen Kurfürsten: die Schlacht von Fehrbellin, die Belagerung Stettins oder Eroberung Rügens, 1686 in der Berliner Manufaktur von Pierre Mercier in Auftrag gegeben und heute nicht zuletzt ein hoch interessantes Zeitdokument. Großartig auch die um 1700 in Brüssel entstandene sechsteilige Bildteppich-Serie mit der Darstellung höfischer Feste, die Friedrich I. von Louis XIV. geschenkt bekommen hatte. Wer sich darüber wundert, dass sie über Eck gehängt wurden, sei beruhigt. Das war auch im Berliner Stadtschloss so üblich, woher sie stammen, und ist weitaus besser als ihre Deponierung wie zuletzt auf Schloss Charlottenburg.

So schwingt in der Freude über das wiedergewonnene Schloss immer auch die Trauer um die sich darin darstellenden Verluste mit. Durch minutiös geführte Inventarlisten weiß man heute sehr genau, was fehlt - und von rund tausend Objekten sogar, wohin es sie in den letzten Kriegsmonaten im Osten verschlagen hat. Die Hoffnung auf Rückgabe dieser Beutekunst bleibt. Auf seine Weise wird Oranienburg damit zu einem Lehrstück preußischer Genügsamkeit: den Reichtum zu erkennen in den greifbaren Relikten. Ein bescheidener, doch nicht schlechter Auftakt für das Jubeljahr.

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