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Mai 2024: Nemo feiert nach seinem Sieg im großen Finale des Eurovision Song Contest. 

© dpa/Martin Meissner

ESC-Pokal zurückgegeben: Nemo verwechselt Werte mit politischer Haltung

Nachdem bereits fünf Länder verkündet haben, den ESC wegen der Teilnahme Israels zu boykottieren, gibt Nemo mit viel Aplomb seinen Siegerpokal zurück. Es ist nicht mehr als eine symbolische Geste.

Gerrit Bartels
Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Stand:

Als 2024 der Eurovision Song Contest (ESC) in Malmö stattfand, gab es in der südschwedischen Stadt wegen des militärischen Vorgehens Israels im Gaza-Streifen zahlreiche Proteste gegen die Teilnahme der israelischen Sängerin Eden Golan. „Schließt Israel von der Eurovision aus“, lautete die Forderung von über zehntausend Demonstranten. Gewonnen hat dann den Wettbewerb Nemo aus der Schweiz mit dem Song „The Code“, als erste offen non-binäre Person, die den Contest gewinnen konnte.

Nemo kam damals mit der nonbinären Flagge in die Halle, hielt sich aber mit Äußerungen zu den Protesten und der offensichtlichen Politisierung des Wettbewerbs zurück. „Ich hoffe, der Contest hält, was er verspricht, und setzt sich für Frieden ein“, war eine von Nemos allgemeingültigen Aussagen, und dass man halt miteinander sprechen müsse.

Ich hoffe, der Contest hält, was er verspricht, und setzt sich für Frieden ein

Nemo, 2024 in Malmö

Inzwischen aber scheint Nemo einen eklatanten politischen Bewusstseinswandel durchgemacht zu haben. Denn mit viel Aplomb hat Nemo auf Instagram verkündet, die ESC-Sieges-Trophäe zurückgeben zu wollen.

Sie gehöre nicht mehr länger in seinen Besitz, weil Israels Ausschluss zwar debattiert wurde, die Europäische Rundfunkunion (EBU) aber beschloss, dass das Land oder vielmehr der israelische Rundfunksender Kan im kommenden Jahr in Wien wieder vertreten sein soll: „Es geht um die Tatsache“, so Nemo, „dass der Wettbewerb wiederholt dazu benutzt wurde, um das Image eines Staates aufzubessern, dem schweres Fehlverhalten vorgeworfen wird, während die EBU darauf bestand, dass die Eurovision unpolitisch sei.“

Dem angefügt hatte Nemo noch: „Und wenn Teilnehmerländer sich aufgrund dieses Widerspruchs zurückziehen, sollte klar sein, dass etwas grundlegend falsch läuft.“ Natürlich fragt man sich, was Nemo 2024 nach schon mehreren Monaten Gaza-Krieg und auch der Teilnahme der israelischen Konkurrentin Edan Golan seinerzeit dazu bewogen hat, ebenfalls zu singen, sich dann auch für den ersten Platz feiern zu lassen und das alles noch grundlegend richtig zu finden.

Ob es der Boykott der Sender aus Spanien, den Niederlanden, die den Wettbewerb 1956 mitgegründet hatten, Slowenien, Irland und jüngst auch Island war, die zu diesem Sinneswandel geführt haben? Nemo spricht bei Instagram von „unity, inclusion and dignity for all“, was den ESC ausmachen und auszeichnen würde, diese Ideale aber von der EBU wegen der Teilnahme Israels aber nun mit Füßen getreten würden. „Wenn die Werte, die wir auf der Bühne feiern, nicht abseits der Bühne gelebt werden, werden selbst die schönsten Lieder bedeutungslos.“

Ist der ESC noch ein Raum für „das Gemeinsame“?

Nur verwechselt Nemo inzwischen „Werte“ mit politischer Einstellung und scheint das mit der Einheit, Inklusion und Würde doch nicht für alle gelten lassen zu wollen. Speziell für die israelischen Teilnehmer und Teilnehmerinnen, aber auch für diejenigen, die nichts gegen eine weitere Teilnahme am ESC einzuwenden haben.

Diese Rückgabe eines Siegerpokals ist nicht mehr als eine symbolische Geste, die als solche zwar einiges Gewicht haben mag, aber eben vor allem eine Bokyottbewegung perpetuiert, der an einem Frieden nicht gelegen ist, an Einheit und Inklusion. In Gaza gibt es zwar einen Waffenstillstand, aber es ist halt bequemer, die einmal eingenommen Positionen nicht zu verlassen oder sie, im Fall von Nemo, aus welchen Motiven auch immer, plötzlich zu besetzen.

Der ESC ist schon lange viel größer als die Musiker und Musikerinnen, die ihn gewinnen, weshalb Nemos Aktion für den Wettbewerb vermutlich eine folgenlose bleiben wird. Doch ist es ein fast schon rührender Versuch, den ESC wieder etwas zu entpolitisieren und weiteren Schaden von ihm abzuwenden, wenn sein Direktor Martin Green jetzt in einem am Donnerstag veröffentlichten offenen Brief an die Fans schreibt, die Position und Entscheidung der boykottierenden Sender in Spanien, Niederlande, Slowenien, Irland und Island zu respektieren und auf deren baldige Rückkehr zu hoffen.

In einer gespaltenen Welt, so Green, habe der Wettbewerb die Aufgabe, „einen Raum zu bieten, in dem Millionen Menschen das Gemeinsame feiern können.” Nur wird dieses Gemeinsame inzwischen immer weniger.

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