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Ein Buchladen in Venedig

© imago/BE&W

Sommersouvenirs (4): Blankbooks: Raum für Notizen

Urlaubsmitbringsel sind schön, selten, nützlich, überflüssig, trag- oder trinkbar. Jan Schulz-Ojala haben es Bücher angetan - mit leeren Seiten. Teil 4 unserer Sommerserie.

Angefangen hat das kurz nach der sogenannten Wende, im Frühjahr 1990 in Prag. Da lagen, hergestellt vom tschechoslowakisch volkseigenen Brnenske-Papirny-Betrieb, in der dahingammelnden Schreibwarenabteilung des Kaufhauses Kotva stapelweise linierte Oktavhefte mit blassblauem Löschpapiereinband herum, das Stück zu anderthalb Kronen, damals umgerechnet zehn Pfennig. Ich las die auf dem Deckblatt schütter aufgedruckten Versalien JMENO, SKOLA, TRIDA, ROK (Name, Schule, Klasse, Jahr) und sah gleich eine ganze Kultur verschwinden. Sofort begegnete ich dem mit einer Art Kaufrausch: Zwanzig Stück mögen es schon gewesen sein, die ich damals der teilnahmslosen Kassiererin zwecks Liquidation vorlegte.

Viele dieser Heftchen haben sich inzwischen, betextet und mit Erlebnisdevotionalien beklebt, in Fahrradtour- und Wochenendtrip-Tagebücher verwandelt. Ein paar leere aber habe ich noch. Und nicht nur ein paar. Rund ums DIN-Format A6 sind mit den Jahren allerlei, ja, Dutzende durchaus normferne Büchlein hinzugekommen, die allesamt – gib es zu, Mann! – noch immer ihrer wesentlich sinnstiftenden Beschriftung harren. Richtig, ich bin ein Notizbuch-Messie. Aus lauter lustvollem Unvermögen, an noch den absonderlichsten Schreibwarenläden in noch so exotischen Weltgegenden einschlägig erwerbsresistent vorüberzuflanieren, könnte ich bald selbst zum Heftchenhändler werden. Wenn ich an den Dingern nicht so hängen würde.

Die Bibliothek der unbeschriebenen Bücher

Da sind die brasilianischen „Tome Nota“-Spiralblöcke mit den putzigen Recycling-Pappdeckeln, innen mit uralten Werbesprüchen bedruckt. Da ist das Leder-Foliantchen mit stockfleckigem Vorsatzblatt, entdeckt auf einem Flohmarkt in Famagusta. Nichts auch gegen die drei wunderbaren Mini-Bücher aus der Papelaria Fernandes in Lissabon, die Preiszettelchen – 576 Escudos – sind von Hand in den grundsoliden Vordereinband eingeklebt. Ach, und die italienischen Ariston-Blöcke, die finnischen Karisto-Kladden – und erst die „Freedom“ überschriebenen Oktavbüchlein aus Vietnam, zwar mit hässlich plastiküberzogener Hartpapphülle, aber wo sonst auf der Welt hat man schon derart gülden schimmernde Kantenschutzbeschläge gesehen!

So was wegwerfen, nur weil man das in diesem Leben nie vollgekritzelt kriegt? Niemals! Hier schlummert eine wahre Bibliothek der ungeschriebenen Bücher, nicht anders als in vielen Buchhandlungen, die mit ihren unerschöpflich variantenreichen „Blankbooks“, ganz klar, vor allem mich zum Hamsterkauf verführen wollen. Ich sage nur: das fein weiß mit blauer Willy-Fleckhaus-Linie eingebundene „Notizbuch“ mit Schutzumschlag von der Bibliothek Suhrkamp, dazu die schlichtere Taschenbuchversion „Notizen“ in Grellgrün. Und hätte ich nicht längst, wie man brutalstgierig sagt, zuschlagen müssen auch angesichts von Reclams selbstverständlich gelbem „Universal-Notizbuch“, noch dazu mit praktischem Bleistift im Schuber?

Der Zauber des leeren Blatts

Nein, hier bin sogar ich Messie resistent. Heimische Sortimente, zumal mit den mittlerweile ganze Regalwände füllenden Myriaden von Moleskinen, sind tabu. Nur auf Reisen bleibe ich grundsätzlich anfällig, für jene Museumsshop-Trophäe vom Sommer Irgendwann oder dieses holzwurmstichige Querformat aus Weißnichtwo, das mich, endlich erlöst aus seiner innewohnenden Leere, dann doch als Tagebuch auf eine neue Reise begleitet. Hauptsache, es findet sich unterwegs, am liebsten in den Nebenstraßen der Randbezirke eher unbedeutender Orte, eines dieser Krimskramsschaufenster … und dahinter die Verheißung eines Neuerwerbs, der wiedergewonnene Zauber des leeren Blatts. Denn was richtet schon das Fertige aus gegen das elektrisierend frische Fundamentalgefühl: So könnte er aussehen oder so oder auch so, der immer wieder allererste Satz.

Bisher erschienen: Bücher in fremden Sprachen (20. Juli), Flüssiges im Handgepäck (23. Juli), Lavendel (27. Juli).

Für unsere zweite Sommerserie bleiben wir dieses Jahr in Berlin und entdecken "Berliner Höfe".

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