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Kultur: Realität ist ein schlechtes Geschäft

Wolfgang Herrndorf, Christian Kracht, Tom Kummer: Die deutsche Popliteratur macht weiter

An diesem Buch schaut dieses Frühjahr bestimmt niemand vorbei: In großen silbernen Lettern leuchtet das Wörtchen „Pop“ vor einem schwarzen Hintergrund, „seit 1964“ steht kleiner darunter. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch feiert sich und die Popliteratur mit dieser ein Kilo schweren, vierhundert Seiten fassenden Anthologie, die Romanauszüge und Originaltexte von Handke, Fichte und Brinkmann über Fauser, Goetz und Meinecke bis zu Dath und Nieswandt enthält. Nun hat es in der Geschichte der Popliteratur an Anthologien nicht gemangelt – doch in seiner Coffeetablehaftigkeit, seiner historisierenden Kompaktheit gemahnt dieses Buch daran, dass die Popliteratur vielerorts entweder kanonisiert (germanistische Fakultäten) oder für tot (Feuilleton) erklärt wurde.

Anderseits mag man den Herausgebern Kerstin Gleba und Eckhard Schumacher nur Recht geben, wenn sie im Vorwort schreiben, die Popliteratur sei nicht mehr wegzudenken, „nicht aus der Literatur der letzten vierzig Jahre, und auch nicht aus der Gegenwart. Es gehört zum Wesen des Pop, dass er kommt und geht, dass er sich immer wieder erneut der Festlegung entzieht“. Denn auch im Frühjahr 2007 zeigt sich die Popliteratur in verschiedensten Ausformungen. Sie macht zwar einen merkwürdig zerrupften, disparaten Eindruck, mal bewusst Anti-Pop, mal ziemlich irr, dann wieder rechtfertigend, und lässt sich demnach nicht mehr so gern als „Pop“ bezeichnen. Doch sie ist nach wie vor weltoffen und für jede Schreibweise und jeden Schabernack zu haben. Von Stillstand, der anderen Abteilungen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gern attestiert wird, keine Rede: Die Popliteratur macht einfach weiter, mit Pop, ohne Pop, oder wenn ihr bewusst der Rücken gekehrt wird, wie von Wolfgang Herrndorf. Der Berliner Autor hat vermutlich darauf bestanden, dass in den Klappentext seines Erzählbandes „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ der Hinweis kam, dieser habe mit „Pop genauso wenig zu tun wie mit Neuer Bürgerlichkeit“. Doch schon in der zweiten Erzählung unternimmt Herrndorf popimmanente Grenzziehungen. Da nennt der Erzähler seine Bücherliste der letzten 14 Tage, darunter Bücher, „deren Inhalt ich nicht begriffen habe und die, glaube ich, auch keinen hatten, von Florian Hensel und Jana Illies“.

Dass Herrndorf Pop fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, verwundert: Mit seinem Debüt „In Plüschgewittern“ legte er vor fünf Jahren in bester Tradition eines Stuckrad-Barre oder Marc Fischer einen Roman vor, dessen wohlbehütet aufgewachsener Held lässig-unspektakulär durch das Berlin der ausgehenden neunziger Jahre treibt. Und mit der Titelerzählung seines neuen Buchs „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ sorgte Herrndorf 2004 in Klagenfurt für Furore, da diese melancholische, aber auch scharfsinnig-gemeine Herr-Lehmann-Variation so ganz anders war als die typisch blutarmen, gegenwartslosen Klagenfurt-Textchen. Herrndorf bekam den Publikumspreis und gehörte dann 2006, als Katrin Passig Bachmannpreisträgerin wurde, auch zum Hype um die Zentrale Intelligenz Agentur (ZIA), der er als selbst ernannter „inoffizieller Mitarbeiter“ ebenso angehört wie Passig. Mit zum Hype gehörte übrigens der Verdacht, die ZIA wolle den Literaturbetrieb unterwandern. Die gute, alte 82er-Pop-Schule halt: Subversion durch Affirmation.

Zu guter Letzt gibt es jetzt in Herrndorfs Buch eine Geschichte namens „Zentrale Intelligenz Agentur“. In dieser zoomt sich Herrndorf ganz nah an die Gegenwart, ohne dass man das Gefühl hätte, er würde wahre Begebenheiten einfach reportieren. Menschen aus dem richtigen Leben wie der ZIA-Gründer Holm Friebe, der Herrndorf-Bewunderer Joachim Lottmann oder Wiglaf Droste haben hier ihren Auftritt, und zwar auf der ZIA-Gründungsveranstaltung irgendwo in Brandenburg, und Herrndorf versteht es, deren Verhalten lächerlich-absurde Züge zu verleihen. Wenn Droste andauernd „Kraaatzimiamsack“ ruft oder die Erzählerin mit Holm Friebe unter einem Tisch liegt und Friebe beim Anblick einer Dreifachbuchse ruft: „Da, das Internet“, dann ist das große Unterhaltung. Also Pop. Oder noch besser: P!O!P!, wie er früher hieß, wenn er in seiner ganzen Reinheit bezeichnet werden sollte.

Herrndorfs Geschichten kommen da ziemlich genau dran. Sie blenden zwar nicht, aber sie bieten perfekte Unterhaltung. Sie verweigern sich interpretatorischen Rückschlüssen und balancieren auf der Grenze zum Irresein, ihrer vielen Nonsense-Dialoge und ihrer vielen eigentümlichen zwischenmenschlichen Begegnungen wegen. Ein Hobby-Kanufahrer landet bei einem komischen Mädchen, dessen Eltern gerade nicht da sind, und spielt mit diesem Tischtennis. Ein zielloser Thirtysomething unterhält sich mit einem pubertierenden Jungen über dessen Sauferlebnisse und die Mondfahrt. Und ein Kunststudent erzählt vom Studium in Nürnberg und merkwürdigen Freunden. Dessen Professorin wiederum nennt seine Arbeiten „innerlich unbeteiligt“ und sagt zu ihm: „Sie sind vielleicht nicht doof, aber das reicht hier nicht. Sie müssen empfinden. Empfinden!“ Damit bringt sie den Charakter von allen Herrndorf-Erzählern auf den Punkt: unbeteiligt, empfindungslos. Diese Erzählungen strahlen auch etwas Kaltes aus, und manchmal fragt man sich: Und, was soll das alles? Was will Herrndorf uns nun wirklich erzählen? Sechsmal unterhält er bestens und bringt die Oberflächen zum Tanzen, und immer achtet er sorgsam darauf, dass sich darunter wirklich nichts finden lässt. Wenn sich dennoch die eine oder andere Lebenswirklichkeit findet, ist das nicht mehr Herrndorfs Sache, genauso wenig wie die Einschätzung: Besseres als diese Geschichten kann der Popliteratur im Moment nicht widerfahren.

Erzählt Herrndorf davon, wie viel Welt oder gerade Nicht-Welt es insbesondere da draußen in Brandenburg gibt, so treiben sich andere Protagonisten der Popliteratur in der weiten Welt herum. Zumindest tun sie so. Mit „Metan“ (sic! ohne h!) haben Christian Kracht und Ingo Niermann ein Buch geschrieben, in dem sie nach einer vermeintlichen Kilimandscharo-Tour und vor dem Hintergrund des Klimawandels weltumspannenden Superquark mit weltumspannenden Verschwörungstheorien vermengen. Als Referenzen für ihr sich jeder literarischen Kategorie entziehendes Traktat, das weder spannend geschrieben, noch zwingend recherchiert, noch mit eindrucksvollen Fotos aufwartet, wie der Klappentext behauptet, geben sie an: Stephen Hawking, Edward Bulwer-Lytton und die zwischen 1969 und 1971 entstandene genauso hippieske wie pynchoneske „Illuminatus!“-Trilogie der „Playboy“-Autoren Robert Shea und Robert Anton Wilson an. Waren es bei den beiden Roberts die „Illuminaten“, die insgeheim die Welt kontrollierten, so ist es bei Kracht und Niermann – kurz gefasst – das „Methangetüm“. Auf dessen Seite: Die Treibhausgasproduzenten Amerika und China sowie die arabische Welt (Öl!).

Die Feinde des Methangetüms wiederum sind Ökologen und Aktivisten wie unter anderem Frank Schirrmacher, „die wie es selbst an einer Ersetzung, ja einer Überwindung der bestehenden natürlichen Ordnung arbeiten. Anders als das Metangetüm tragen diese sich Negentropisten, Extropisten oder auch Transhumanisten nennenden Ideologen ihre Ziele völlig offen und ungeniert vor“. Und Länder wie Japan, dessen Ziel es sei, China zu besetzen, das im Südpazifik hegemonial wirkende Australien oder die Kelly-Family. So weit, so vergnügt-verschwörerisch, so drogen-umnebelt wie Para-Pop, so kryptototalitär (neue Weltordnung! Methan doch gut!) wie pseudovisionär.

Und so ganz, ganz weit weg von Tom Kummer, der jetzt mit „Blow Up“ seine Autobiografie geschrieben hat. Darin berichtet er zunächst, wie es ihm gerade so ergeht in Los Angeles, als Paddle-Tennistrainer von Immobilienmaklern und Hollywoodagenten, aber auch als Familienvater, der mit Frau und zwei Kindern in einer Zweieinhalbzimmerwohnung in Koreatown lebt. Und dann beginnt er, an seinem „Traumtisch“ sitzend, seine Lebensgeschichte zu erzählen: von Eltern und Jugend in der Schweiz, von den journalistischen Anfängen in Berlin, von „Tempo“ und schließlich und das Buch von Anfang bis Ende begleitend von Hollywood und seiner Rolle als irrläufender Starreporter.

„Blow Up“ ist ein irgendwie trauriger Text. Selbstanklage und Selbstmitleid verschränken sich in ihm mit bemühtem Selbstbewusstsein und nicht wenig Schuldabtragung und auch Schuldumleitung. Kummer schreibt, was es bedeutet, „ein Fall“ zu sein: „Es gibt ein Davor und ein Danach. Ich müsste längst im Danach sein. Aber ich ich bin immer noch mittendrin.“ Das ist schlimm, das hat aber weniger, wie es in der „FAS“ in vorauseilender Distanzierung hieß, mit einem Antrag „auf Wiederaufnahme des Verfahrens“ zu tun, als mit Selbstvergewisserung. Kummer versucht, mit sich ins Reine zu kommen. Dieser Versuch changiert zwischen dem berechtigten Wunsch, nicht als Alleinschuldiger zu gelten, dem eher falschen Eindruck, nachgerade verführt worden zu sein von den Poschardts und Köppels dieser Welt, und der doch immer wieder durchbrechenden Einsicht, sich den Schlamassel selbst eingebrockt zu haben.

Kummer ist persona non grata und Markenartikel zugleich, „Tom Kummer, schon der Name klingt erfunden“ – kein leichter Balanceakt, den er da mit „Blow Up“ unternimmt. Trotzdem hat das Buch große, feine Momente: sei es, wenn Kummer seine Faszination für Los Angeles erläutert. Sei es, dass er ausführlich ein Pressegruppengespräch mit Pamela Anderson beschreibt. Oder die Verlockungen, Sharon Stone oder Courtney Love den eigenen Gemütszustand in den Mund zu legen: „Das Leben tat gut, wenn man sich von der Realität befreien und solche Monologe schreiben konnte.“ Oder sei es, dass er erzählt, welche Bücher aus seinem Wohnzimmerregal ihn für welche Interviews und „Recherchen“ als Inspirationsquelle dienten. All das steht in „Blow Up“ goldrichtig, und gut möglich, dass sich eines Tages ein Popforscher daran macht und untersucht, wie viel Denis Johnson in Tom Kummers Winona Ryder steckt, wie viel Claudius Seidl in Quentin Tarantino, wie viel Christian Kracht in Jennifer Lopez. Vielleicht ist Kummer dann ja nicht mehr mittendrin, sondern endlich im Danach und trotzdem nicht draußen.

Kerstin Gleba, Eckhard Schumacher (Hrsg): Pop seit 1964. Kiepenheuer&Witsch, Köln 2007. 412 Seiten, 15 €.

Wolfgang Herrndorf: Diesseits des Van-Allen-Gürtels. Eichborn Berlin, Berlin 2007. 185 Seiten, 17, 90 €.

Christian Kracht, Ingo Niermann : Metan. Roger & Bernhard, Hamburg 2007. 142 Seiten, 14, 90 €.

Tom Kummer: Blow Up. Blumenbar, München 2007. 224 Seiten, 18 €.

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