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Kultur: Regierungsgebäude: Ein neuer Wind weht

Washington hat das Weiße Haus, Berlin hat etwas anderes. Etwas Neues, etwas Gigantisches, etwas, das am Spreeufer liegt und aussieht wie ein verlassener Ozeandampfer.

Washington hat das Weiße Haus, Berlin hat etwas anderes. Etwas Neues, etwas Gigantisches, etwas, das am Spreeufer liegt und aussieht wie ein verlassener Ozeandampfer. Alle Architektur ist politisch - "in Berlin vielleicht noch mehr als in irgendeiner anderen Stadt", schreibt Roger Cohen, Korrespondent der "New York Times", in einem langen Artikel, der sich kritisch mit dem neuen Bundeskanzleramt beschäftigt. "A Shrine to Power" heißt die Überschrift und die Unterzeile: "New Chancellery Is a Collossus. Are the Hohenzollerns Next?". Cohen selbst hält sich mit Bewertungen zurück, er zitiert stattdessen viel, aber die Tendenz seines Beitrags ist deutlich: ein bisschen zu pompös, ein bisschen zu teuer, ein bisschen zu maßlos.

Das Gebäude des Architekten Axel Schultes sei bereits verglichen worden mit dem Sitz des römischen Kaisers und den Riesenbauten des rumänischen Ex-Diktators Ceausescu, schreibt Cohen. Sogar einige der neuen Bewohner, darunter Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, seien über die Ausmaße nicht glücklich. Die Schuld dafür werde vor allem dem Initiator des Projektes, Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, in die Schuhe geschoben. Das aber sei nur ein Teil der Wahrheit. Insgesamt müsse das neue Bundeskanzleramt im Rahmen der Debatte betrachtet werden, wohin die wiedervereinigte neue deutsche Hauptstadt treibt: Soll man sich weiterhin "pflichtgemäß Zurückhaltung auferlegen", oder fühlt "man sich jetzt frei, die deutsche Macht überschwänglich zum Ausdruck zu bringen, wie es die gegenwärtige Regierung vermuten lässt".

In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage nach dem Wiederaufbau des Stadtschlosses, schreibt Cohen weiter. Aus ästhetischer Sicht könne es keinen Zweifel daran geben, dass das historische Zentrum der Stadt harmonischer aussehen würde, wenn der Palast der Republik dem alten Schloss weichen müsste. Aber diese Perspektive allein reicht nicht. Im Ostteil der Stadt gebe es Menschen, die den Abriss des Palastes und den Aufbau des Schlosses als Triumphalismus empfinden würden, außerdem sei die Stadt, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung, schlicht pleite.

Von innen sei das neue Bundeskanzleramt ein Traum, schließt Cohen, der Blick nach draußen überwältigend. Doch selbst der Architekt Axel Schultes habe sich besorgt geäußert über die Größe des Gebäudes - vor allem deshalb, weil das ursprünglich geplante öffentliche "Forum" nicht realisiert wurde. Ein neuer Wind weht durch die Stadt. "Der Geist Berlins", schreibt Cohen, "ist rastlos expansiv."

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