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Kultur: Reiche Minen, böses Spiel

Prinzip Ausbeutung: eine Berliner Kunstausstellung über den Kolonialismus im bolivianischen Potosí

Nicht nur in Spanien hatten Hexen ein schweres Leben. Als der Gelehrte José de Acosta 1575 in Lima zum Jesuitenrektor erhoben wurde, machte er sich auch in Bolivien auf die Suche nach heidnischen Bräuchen und ließ den katholischen „Beichtspiegel“ umschreiben: Im Fokus standen nun die Riten der Indios. Wer jetzt noch Meerschweinchen oder Koka-Blätter opferte, der sündigte nach Ansichtder spanischen Eroberer und wurde bestraft.

Ein klarer Fall von kultureller Hegemonie. Die Ergebnisse dieser Begegnung sind heute in den südamerikanischen Museen ausgestellt: künstlerische Zwitter, in denen sich die Ikonografie der Europäer – Kreuzigungszenen, Dämonen oder Marienporträts – mit der Realität der Kolonialisierten vermischt. Diese hybride Bilderwelt taucht nun auch in der Ausstellung „Das Potosí-Prinzip“ im Haus der Kulturen der Welt auf. Gewidmet ist das komplexe Projekt jedoch einem anderen Aspekt der Vergangenheit: Denn während europäische Geistliche die Heilslehre großzügig verbreiteten, nahm ihre weltliche Macht zu gleicher Zeit mit beiden Händen, was Bolivien bot.

Das profane Heiligtum hieß Cerro Rico, der „Reiche Berg“. Dort ließen die Spanier nach Silber schürfen und importierten es im Gegenzug. Es wurde zum Motor für das hoch verschuldete Land und zum Fluch der indigenen Bevölkerung, die in den Minen arbeiten musste. Als Sklaven, die man zum Raubbau an den eigenen Bodenschätzen zwang, während man ihre Kultur zugleich überformte, um alle Identität zu zerstören. Das Edelmetall verschifften die Spanier in solchen Massen nach Europa, dass es im 16. Jahrhundert die erste Preisinflation verursachte.

Auch die Kuratoren der Ausstellung – Alice Creischer, Andreas Siekmann und Max Jorge Hinderer – betätigen sich als Exporteure. Ihre Waren sind allerdings ästhetischer Natur, und bei den ausgeliehenen Gemälden des sogenannten andischen Barock geht es weniger um materielle Werte als um Erkenntnisgewinn. Die Dokumente werden mit Arbeiten von zwölf zeitgenössischen Künstlern kurzgeschlossen. Nicht wenige eignen sich das historische Material in ihren Fotos, Videos und Bildern an und deuten es um. So wiederholt sich Geschichte, diesmal allerdings unter anderen Vorzeichen: Nun versuchen kritische Zeitgenossen wie Harun Farocki, Monika Baer, Sonia Abiàn, Léon Ferrari, Christian von Borries oder die Kuratoren selbst, Einsichten in politische und soziale Bedingungen zu gewinnen, die nicht bloß in Südamerika nachwirken. Sondern als Wurzel des Kapitalismus „bis heute Ausbeutung und Bereicherung an anderen Orten der Welt nach demselben Prinzip“ fortschreiben (Alice Creischer).

Die Ausstellung beginnt mit einer Höllenfahrt. Gleich am Eingang steht man von zwei plakatgroßen Silberstiftzeichnungen nach historischen Stichen überwältigt. Überall lauern Teufel, die zu den ersten christlichen Motiven in Südamerika gehörten. Sie wurden den Minenarbeitern gleich nach ihrer Zwangsrekrutierung präsentiert – als Vorgeschmack auf das, was Ungehorsame erwartete. Wenn nun der Besucher ähnlich eingestimmt wird und anschließend einem nummerischen Parcours durch den Saal folgen soll, den der Kurzführer vorgibt, dann ist auch das ziemlich didaktisch. Und dennoch sinnvoll: Die Exponate verfügenüber eine innere Ordnung, und der Subtext etwa jener Fotografien von stillen, grünen Feldern, die in Wahrheit „ein vergifteter, hochkapitalisierter, agrochemischer Komplex“ zur Erzeugung von Soja in Argentinien sind, erschließt sich nur über die begleitende Information der Arbeit von Eduardo Molinari(2010).

Etwas entfernt erkundet Harun Farocki eine gemalte Stadtansicht von 1758 mit der Kamera. Sie erzählt die Geschichte Potosís, das mit der Silbergewinnung unermesslich reich wurde und zu einer Metropole aufstieg. Unsichtbar bleiben die Toten der Minen, die nicht zuletzt ein neuartiges, von den Spaniern forciertes Verfahren forderte: Ab 1573 stieg die Menge des gewonnenen Silbers sprunghaft an, während sich unzählige Arbeiter infolge des nun eingesetzten Quecksilbers langsam vergifteten. Solche Details bleibt die Kunstgeschichte schuldig – selbst wenn Farocki noch so konsequent jedes Bilddetail ausleuchtet.

Auch die Ausstellung greift an manchen Stellen auf Alltagskultur zurück, weil die ästhetische Reflektion des Themas (noch) nicht stattgefunden hat. So dokumentiert das „MigrantWorker Museum“ im Zentralgebäude der IG Metall als externer Part das Leben der Wanderarbeiter von China bis Dubai.

Derlei ist zwar evident, und die Jahrhunderte währende Ausbeutung Lateinamerikas wurde schon in den siebziger Jahren von einem Autor wie Eduardo Galeano analysiert. Doch ebenso wichtig wie der Blick in die Vergangenheit ist den Künstlern in diesem spannenden und anspruchsvollen Experiment die Einsicht in die Entwicklung der modernen Gesellschaft Europas, die sich nicht „ohne seine koloniale Bedingtheit undseine Verbrechen“ denken lässt. Eine Selbstvergewisserung, dank derer sichKünstler wie Creischer und Siekmann Rechenschaft darüber ablegen, unter welchen Voraussetzungen sie eigentlich arbeiten. Und wie man sich an der akademischen Geschichtsschreibung vorbei seine eigenen Gedanken macht.

„Das Potosí-Prinzip“, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10 sowie Zentrale der IG Metall, Alte Jakobstr. 149, bis 2. 1. 2011. Katalog 34 Euro.

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