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Der Berliner Schriftsteller Reinhard Jirgl steht bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 23.10.2010 im Staatstheater in Darmstadt.

© Roman Grösser/dpa

Reinhard Jirgl und sein Öffentlichkeitsrückzug: Schreiben und schweigen

Hat kaum jemand gemerkt, sorgt kaum für Aufsehen - warum bloß nicht? Der Büchnerpreisträger Reinhard Jirgl will nie wieder öffentlich auftreten oder ein Buch veröffentlichen.

Es klingt lapidar, was auf der Hanser-Verlagsseite im Internet unter dem Namen von Reinhard Jirgl eingetragen ist. Erst kommen ein paar dürre biografische Daten und letzte Buchveröffentlichungen und dann der Hinweis: „Mit Beginn des Jahres 2017 hat Reinhard Jirgl sich vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er verzichtet auf Lesungen sowie andere Auftritte, desgleichen auf jede Publikation seiner auch weiterhin entstehenden Manuskripte. Alle neu geschriebenen Texte verbleiben in Privatbesitz.“ Hanser-Verleger Jo Lendle sprach Mitte Oktober dieses Jahres in der „Zeit“ davon, dass er ob dieser Entscheidung „fassungslos“ gewesen sei, er sie überdies nicht unbedingt verstehe.

Auch mag es auf den ersten Blick irritierend sein, dass kaum Notiz von Jirgls radikalem Öffentlichkeitsverzicht genommen wurde. Der 1953 in Ost-Berlin geborene Schriftsteller, der in der DDR seine Bücher nie veröffentlichen konnte, („Die Geschichte meiner literarischen Arbeiten aus den Jahren vor 1990 ist die Geschichte von amtlich verhängtem Erstickungstod“, hat er einmal geschrieben) ist unter anderem Breitbach- und Büchner-Preisträger, und da wäre ein kleiner Aufschrei im Literaturbetrieb vielleicht angebracht gewesen.

Jirgl hasst den aufgestocherten Meinungsschlamm

Doch zum einen gilt Jirgl gerade ästhetisch als einer der unbequemsten, schwierigsten Autoren im Lande, sind seine Romane nicht gerade Verkaufsschlager, ist er ganz eins mit dem Buchhändler aus seinem Roman „Die Unvollendeten“, der über die „kalkulierte Weichheit kampagnehafter Bücherfluten voll aufgestocherten Meinungsschlamms“ schimpft, ist für Jirgl „die Oberflächlichkeit im Feuilletonstil“ ein Symptom unserer Gegenwart. Zum anderen bleibt es natürlich jedem Schriftsteller, jeder Schriftstellerin unbenommen, nur für sich selbst, für die eigene Schublade zu schreiben, das Zwiegespräch mit der Sprache jenseits der Öffentlichkeit zu führen. Zumal Jirgl sich damit auskennt, er in der DDR dazu gezwungen wurde – und er anscheinend auch keine ökonomischen Zwänge hat.

Walser sagt: Die Sprache allein schon ist das Öffentliche

Die Frage ist: Hat das Verstummen nicht auch eine gewisse Folgerichtigkeit, gerade wenn man schon ein beachtliches Werk veröffentlicht hat? Marcel Reich-Ranicki warnte zu Lebzeiten oft und gern die Autoren: „Lasst euch nicht einreden, die wunderbare Zeit der Produktivität beginnt mit 60 oder 70, das stimmt nicht. Ihr werdet euer Werk nicht übertrumpfen mit einem Spätwerk.“ Und Jirgls Werk lässt sich weiterhin kaufen, lesen und studieren, es liegt ja vor. Genau wie beispielsweise das von Philip Roth, der 2012 verkündete, nichts mehr schreiben zu wollen. Bislang hat sich Roth daran gehalten. Oder das von Thomas Pynchon, der zwar weiter schreibt, aber in der Öffentlichkeit nicht auftritt. Das muss man sich natürlich leisten können. Die Öffentlichkeit sorgt für das Auskommen schreibender Menschen – und für die nicht viel weniger wichtige Anerkennung. Schreiben ist, im Fall des Journalismus, oft das Vermitteln von Nachrichten, Zusammenhängen, verdankt sich aber selbst hier auch narzisstischen Persönlichkeitsanteilen. Schreiben ist auch ein Weitergeben von Erfahrungen, gerichtet an Gleichgesinnte und andere. Das literarische Schreiben wiederum, die intime Auseinandersetzung mit sich und der Sprache einerseits, das gleichzeitig Unbedingt-gelesen-werden-Wollen, hat auch etwas Widersprüchliches, Paradoxes. Martin Walser hat gerade in dem Gesprächsbuch mit seinem Sohn Jakob Augstein davon gesprochen, „verwundert“ darüber zu sein, dass es Leute gibt, die schreiben, aber nicht (mehr) veröffentlichen wollen. „Im Ernst: Natürlich wollte Kafka nicht, dass seine Sachen vernichtet werden“, sagt Walser. „Ich glaube niemandem, der sagt, er schreibe nicht für eine Öffentlichkeit. Das Schreiben selber ist schon ein Veröffentlichen! Die innigste Regung der Sprache anzuvertrauen! Die Sprache ist das Öffentliche. Ob man das Geschriebene dann veröffentlicht, das ist nicht mehr so wichtig wie das Schreiben selbst.“

Das ist natürlich wieder Walser-Dialektik – und damit ist er dann auch wieder ganz bei Reinhard Jirgl und dessen Öffentlichkeits- und Publikationsverzicht.

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