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Leonardo da Vinci porträtierte die heute als „La Belle Ferronnière“ bekannte Dame zwischen 1490 und 1497.

© RMN-GP/Michel Urtado

Retter der Kunstwelt: Der Louvre liefert das ultimative Event zu Leonardo da Vinci

Aberwitzige Auktionspreise, patriotische Scharmützel. Leonardo da Vinci erregt auch zu seinem 500. Todestag die Gemüter. Nun widmet sich ihm der Louvre.

Ein Jubiläumsjahr neigt sich dem Ende zu und erhält als Finale den großen Tusch: Leonardo da Vinci wird gefeiert, am 2. Mai jährte sich sein Todestag zum 500. Mal. Seitdem gab es Ausstellungen noch und noch, Magazintitel, mehrere Biografien, das neu aufgelegte Werkverzeichnis.

Als krönenden Abschluss präsentiert der Pariser Louvre, der mit fünf von knapp zwanzig offiziell anerkannten Gemälden die meisten besitzt, die weltweit bedeutendste Schau, laut Museum: 135 Werke des Meisters mit Leihgaben unter anderem aus dem Metropolitan Museum in New York, der Mailänder Brera, der National Gallery in London.

Schon vorher wurde geunkt, dass die Ausstellung kaum so exzeptionell ausfallen könnte, wenn neben dem grandiosen Eigenbesitz – etwa der „Belle Ferronnière“, der „Felsgrottenmadonna“ oder der „Anna Selbdritt“ – andere wichtige Werke nicht anreisen dürften.

„Die Anbetung der heiligen drei Könige“ aus den Uffizien, die Krakauer „Dame mit dem Hermelin“ oder die „Madonna mit der Nelke“ aus der Münchner Pinakothek sind mit Transportverbot belegt, weil die Holztafeln zu empfindlich sind.

Die „Mona Lisa“, der Louvre-Favorit, fehlt zwar ebenfalls, wenn auch nicht ganz. Sie ist wenige Meter Luftlinie entfernt an ihren Stammplatz in die „Salle des Etats“ zurückgekehrt, die in den letzten drei Monaten renoviert wurde und nun in nachtblauer Farbe erstrahlt. Dorthin gelangt der Besucher schnell.

180.000 vorbestellte Eintrittskarten

Ansonsten werden die Ausstellungslücken schmerzlich offenbar. Überall dort, wo ein Hauptwerk hingehört, um eine Werkphase, einen künstlerischen Quantensprung Leonardos zu dokumentierend, hängt nun eine Infrarot-Reflektografie. Die blässlichen schwarz-weiß- grauen Reproduktionen holen zwar die Unterzeichnungen hervor, machen die Defizite nur umso sichtbarer.

Die beiden Kuratoren Vincent Delieuvin und Louis Frank kaschieren diesen Mangel gar nicht erst, denn sie wissen ganz genau: Die Pariser Ausstellung bleibt trotzdem das ultimative Leonardo-Event des Jubiläumsjahres, ein Must-see für alle Fans, ein Weihespiel für jeden Renaissance-Liebhaber, ach was, der schönen Künste überhaupt. 180.000 Eintrittskarten wurden bereits vorbestellt, denn nur mit einem Time-slot-Ticket kommt man hinein. Mit 5000 bis 7000 Besuchern täglich wird gerechnet.

Der Louvre fasst das Ausstellungsjahr noch mal zusammen. Hier wird der Universalkünstler auf all seinen Betätigungsfeldern ausgeleuchtet, als Maler, Zeichner, Forscher, Maschinenerfinder, Philosoph, Schreiber von Traktaten, Anreger einer neuen Generation.

Leonardo, porträtiert von seinem Schüler und Sekretär Francesco Melzi.
Leonardo, porträtiert von seinem Schüler und Sekretär Francesco Melzi.

© Biblioteca Ambrosiana

Während im Londoner Buckingham der Fokus auf den exquisiten Papierarbeiten lag, von denen sich über 200 Blatt in der Royal Collection befinden, der Palazzo Vecchio den Florentiner Leonardo herauskristallisierte, Mailand den Wissenschaftler würdigte, feiert Paris die Mannigfaltigkeit dieses Ausnahmetalents.

Ein bewegtes Leben in Stationen

Begann Leonardo jemals klein? Der Louvre führt ihn sofort als überragende Begabung ein. In der Werkstatt des Malers und Bildhauers Andrea del Verrocchio lernte er mit Licht und Schatten umzugehen, wie sich Figuren durch die Gestaltung des Umraums in Bewegung versetzen ließen. Schon die ersten Blätter sind meisterlich. Sie rahmen Verrocchios monumentale Bronze „Christus und der Heilige Thomas“ aus Florenz, die ihn zu seinen ersten Gewandstudien inspirierten.

Der Künstler machte sich frei, suchte seinen eigenen Weg, was nicht zuletzt dazu führte, dass manche Auftragsarbeit halbfertig blieb. Als Beispiel für diese Unabhängigkeit dient „Der büßende Hieronymus“ aus den Vatikanischen Museen. Die dominante Dunkelgrundigkeit, der nur zeichnerisch angelegte Löwen lässt das Werk radikal wie ein modernes Gemälde wirken.

Die Ausstellung folgt den Stationen von Leonardos bewegtem Leben, der in Mailand in die Dienste Ludovico Sforzas eintrat, wo er nicht nur „Das Letzte Abendmahl“ malte, von dem eine Kopie in der Ausstellung zu sehen ist, und zumindest das Tonmodell für ein Reiterstatue zu Ehren des Dynastiegründers Francesco Sforza schuf, sondern auch einen neuen Porträtstil einführte.

Seine Werkstattmitarbeiter Marco d’Oggino und Giovanni Antonio Boltraffio machten es ihm bald nach, wie eine Bildnisgalerie demonstriert: Statt im Profil vage in die Ferne zu schauen, blicken die aus einem schwarzen Hintergrund hervortretenden Damen in Dreiviertelansicht den Betrachter selbstbewusst von vorne an.

Der „Salvator Mundi“ fehlt

Nach der Vertreibung Ludovicos durch französische Truppen kehrt Leonardo nach Florenz zurück. Rom, die nächste Station, bringt ihm auch nicht das erhoffte Glück. Zwei Jahre vor seinem Tod folgt der Künstler dem Ruf des französischen Königs an seinen Hof, wo er 67-jährig angeblich in dessen Armen verstirbt.

So geht die Legende, zumindest laut Vasaris Biografie, mit der der Geniekult um Leonardo beginnt. Der Louvre heizt ihn weiter an, indem er die Pariser Schau als Sensation bewirbt: So viele Leonardos auf einmal gibt es nie mehr zu sehen. Zugleich bemüht sie sich um Versachlichung, versucht darzustellen, wer dieser Maler wirklich war und worin seine Einmaligkeit besteht. Und tatsächlich, die Ausstellung beglückt.

Handstudien von Leonardo mit Holzkohle, Metallspitzen und Weißerhöhungen.
Handstudien von Leonardo mit Holzkohle, Metallspitzen und Weißerhöhungen.

© The Royal Collection

In die Geschichte wird diese Ausstellung auch durch das Gerangel um Leihgaben eingehen. Bis zuletzt blieb offen, ob der „Salvator Mundi“ kommt oder nicht. Das Werk avancierte 2017 durch den aberwitzigen Auktionspreis von 450,3 Millionen Euro zum weltweit teuersten Bild, obwohl keineswegs gesichert ist, ob es von des Meisters Hand stammt.

Eigentlich sollte der „Retter der Welt“ schon im vergangenen Herbst in der Louvre-Dependance in Abu Dhabi zu sehen sein, was für den Kronprinzen als neuen Besitzer spricht. Es blieb bei der Ankündigung, womöglich hat es das Schweizer Zollfreilager, in dem sich das Bild befinden soll, nie verlassen. Dass es im Ausstellungsparcours nun fehlt, der in der Hall Napoléon gleich unter der gläsernen Eingangspyramide beginnt, um die erwarteten Besuchermassen schnell ans Ziel zu führen, dürfte zwar für Enttäuschung sorgen.

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Zweifel an der Authentizität

Dafür hängt in der Schau eine andere Version, die aus der Sammlung des Marquis de Ganay stammt und von den Besuchern umlagert wird, als wäre es das Skandalstück selbst. Gerahmt wird der Weltenretter rechts und links von zwei Gewandstudien, die eindeutig als von der Hand des Künstlers ausgewiesen sind. Jesus trägt auf diesem Bild jedoch statt eines blauen ein rotes Gewand, und die gläserne Kugel in seiner linken Hand umfängt nicht Luftbläschen, sondern deutlich sichtbar ein Kruzifix.

Dass Leonardo einst einen segnenden Christus in Frontalansicht malte, stellen die beiden Kuratoren gar nicht erst infrage. Das Sujet faszinierte den Maler wie viele Künstler seiner Zeit. Den Gefallen, das 450-Millionen-Bild als authentisches Werk anzuerkennen, tun die beiden Kuratoren auch im Katalog nicht, der vor allem die verworrenen Herkunftswege der insgesamt drei existierenden Versionen nachzeichnet.

Vincent Delieuvin und Louis Frank schlagen sich auf die Seite der Zweifler, denn nach radikalen Restaurierungsmaßnahmen an dem als Ruine aufgetauchten Gemälde stammen heute nur noch Spurenelemente aus der ursprünglichen Zeit.

Streit um Patriotismus

Dafür ist ein anderes Bild nach Paris gelangt, das mit ebenso viel Spannung erwartet wurde. Beim Leihgaben-Geschacher ging es hier weniger um die pekuniäre Seite und die Fragwürdigkeiten eines überhitzten Kunstmarktes als um nationales Prestige. Bis zuletzt hatte der italienische Traditionsverein „Italia Nostra“ zu verhindern versucht, dass der „Vitruvianische Mensch“, jene Zentralfigur eines Mannes mit vier ausgestreckten Armen und Beinen, die Galleria dell’Accademia in Venedig verlassen darf: aus patriotischen Gründen.

Dabei war die Ausleihe der Zeichnung und sechs anderer Werke durch einen Vertrag zwischen dem italienischen und dem französischen Kulturminister längst beschlossene Sache. Erst eine Woche vor Ausstellungseröffnung gab ein Gericht die Ausleihe letztlich frei.

Leonardo bleibt eine ideale Projektionsfigur: für nationale Gefühle, für den Erfindergeist schlechthin, der etwa in einem Steve Jobs wiederkehrt, für den Wahnsinn auf dem Kunstmarkt und die sich immer höher schraubenden Preise. Ein Werk von Leonardo aber macht nicht groß und größer, das lehrt die Pariser Ausstellung, sondern demütig vor der Schönheit eines Madonnenbildnisses oder nur der Zeichnung eines Strudels.

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