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Richard Artschwager: Der philosophische Tischler

Er war ein Bilder-Bauer, der in keine Kategorien passte. Das Münchner Haus der Kunst würdigt jetzt den amerikanischen Bilder-Bauer Richard Artschwager mit einer Retrospektive

Eine Kindersendung im Fernsehen als Muse: Ein Polizist erzählt darin von seinem Sohn, der im Garten irgendwelche Bretter zusammennagelt. Empört über dieses sinnlose Tun meldet der Vater den Jungen vom Sommerferienlager wieder ab – als Strafe. Richard Artschwager, der die Sendung zufällig verfolgt, reagiert auf seine Art. Er erinnert sich seiner eigenen Bretter, die er im Haus hat, nagelt sie mannshoch zusammen und hängt sie an einer Kette auf. Das Spontanwerk erhält den trickreichen Titel „Portrait Zero“.

Die Szene spielt 1961, Richard Artschwager ist damals 38 Jahre alt: ein Akt erwachsenen Widerstandes gegen elterliches Banausentum, vor allem aber ein neuer Schritt in der Kunst. Bislang hatte Artschwager, der als Schüler des französischen Künstlers Amédée Ozenfant in New York seine ersten Gehversuche machte, vor allem gemalt. Doch mit seinem eigenwilligen Porträt verband er beide Elemente: die Skulptur wandelt sich zum Bild, das Bild wird wiederum in den Raum überführt. Die Übergänge zwischen beiden Medien sollten bei diesem Maler-Bildhauer fortan fließend bleiben, wie er sich auch sonst ungern festlegte. Pop-Art, Minimal- oder Konzeptualismus – Artschwager bewegte sich auf allen Feldern gleichermaßen.

Was aber macht nun Richard Artschwager wirklich? Diese Frage haben sich viele gestellt, die seinem Werk in den vergangenen Jahren immer wieder begegnet sind. Als regelmäßiger Teilnehmer aller wichtigen internationalen Großausstellungen, als Gast allein von fünf Documentas, war der Amerikaner insbesondere in Deutschland wohl bekannt. Der Düsseldorfer Avantgarde-Galerist Konrad Fischer nahm ihn schon in den Sechzigern unter Vertrag: ein Longseller des Kunstbetriebs, der trotzdem immer für sich blieb.

Im Hamburger Bahnhof in Berlin hängt eine seiner humorvollsten Arbeiten

Im meterlangen Flur der Rieck-Hallen des Hamburger Bahnhofs in Berlin ist dauerhaft eine seiner humorvollsten Arbeiten zu sehen, die geradezu programmatisch zwischen den drei Kunstrichtungen changiert, denen er wahlweise zugeordnet wird. Auf den von der Decke hängenden weißen Kugelleuchten steht mit roter Schrift „Exit“. Der simple Gebrauchsgegenstand passt zur Pop-Art, das repetitive Moment, die schlichte Form zu Minimal, die Schrift, die inhaltliche Aufladung zu Konzept. „Ausgang“ – nur wohin? Und vor allem woher?

Das Münchner Haus der Kunst unternimmt den Versuch, die Welt des Richard Artschwager zu erkunden, der gern als „philosophischer Tischler“ bezeichnet wird. Tatsächlich begann der Sohn eines deutschstämmigen Vaters und einer russischen Mutter als Schreiner. Erst 1970 schloss er seinen gut laufenden Werkstattbetrieb und widmete sich nur noch der Kunst. In gewisser Hinsicht hat Artschwager sein Leben lang Möbel konstruiert, die jedoch alles andere als benutzbar sind: Tische, an die sich keiner setzen kann, Türen, die nicht zu öffnen sind, Pianos, deren Tasten unbeweglich bleiben.

Die Münchner Ausstellung ist eine Übernahme vom New Yorker Whitney Museum, das dem großen Bilder-Bauer zu Jahresbeginn eine Retrospektive eingerichtet hat, erstaunlicherweise erst seiner zweiten nach über 25 Jahren. Sie sollte ihn zu seinem 90. Geburtstag ehren, den er am 26. Dezember gefeiert hätte. Zwei Tage vor Ende der ersten Etappe der Ausstellungstournee starb der Künstler, die Münchner Station erlebt er nun nicht mehr. Es wäre eine kleine Heimkehr gewesen, denn während des Kunststudiums seiner Mutter an der Münchner Akademie verbringt er einen Winter in der Stadt. Die eindrucksvolle Schau im kompletten Untergeschoss des Westflügels wird damit unversehens zu seinem Vermächtnis. Die von Artschwager gern zum Besten gegebene Geschichte vom Knirps aus der Fernsehsendung, der Bretter zusammenhämmerte, und von ihm als Künstler, der sich davon inspirieren ließ, nimmt ein wenig von der Beklommenheit, die sich nun in den Räumen ausbreitet.

Artschwager liebte das Spiel mit dem Material

Das 180 Kilogramm schwere „Portrait Zero“ hängt im ersten Saal, der seine frühen tastenden Versuche zeigt: Landschaftsgemälde und auch schon den ersten Wurf, der ihm sofort Bekanntheit einträgt: „Description of Table“ von 1964. Dieser vermeintliche Tisch ist nicht mehr als ein Kubus aus Sperrholz mit aufgeklebtem Melaninlaminat. Die gemaserte Platte mit den vier Beinen und dem weißen Tuch darauf sind nur suggeriert. Der Betrachter fühlt sich prompt genarrt und sucht automatisch zu kategorisieren: Ist es Bild, Skulptur oder am Ende doch ein Möbel? Der Künstler liebte das Spiel mit dem Material. Sein bevorzugter Stoff war Resopal, mit dem ebenso Fußböden wie Schränke beschichtet werden können, „das Grauen der Epoche“, wie Artschwager es nannte. Es verkörpert das Spannungsverhältnis zwischen Oberfläche und Inhalt, Bild und Raum.

Mit diesen Hybriden ist Artschwager eigentlich seiner Zeit voraus, die Postmoderne erst würde dieses Zwitterspiel in Vollendung kultivieren. Seine Splatter- Arbeiten sind wie ein Kommentar auf die große Unentschlossenheit, das Sowohl- als-Auch. Diese riesenhaften Reliefobjekte erwecken den Anschein, als wäre etwa ein Stuhl mit aller Wucht in eine Zimmerecke geworfen worden und dort wie im Comic hängen geblieben. Bei Artschwager konnte man sich jedoch nie ganz sicher sein, wie viel Spaß, wie viel böse Beobachtung dahintersteckt. Berühmt wurden seine „Blps“, zwei miteinander verbundene Punkte, die er 1967/68 für sich als abstrakte Bildform schuf: nur auf den ersten Blick ein Gag, auf den zweiten ein Vehikel für die verändernde Sicht der Kunst. Zunächst auf dünnem Holz bemalt und in Ausstellungsräumen aufgehängt, begann der Künstler sie zu stanzen, mit Schablone zu sprayen und auf andere Materialien zu übertragen, bis sie schließlich auch im Außenraum auftraten: auf Häuserwänden, Schornsteinen, in Hamburg während eines Gastaufenthalts sogar riesengroß auf einer Bunkerfassade. Das neutrale Zeichen wirkt wie ein Kommentar auf seine Umgebung.

Seine Werke lösen eine Verunsicherung aus. Das Dargestellte wirkt nie wirklich verhaftet.

Ein gewisses Unbehagen, eine Verunsicherung lösen alle Arbeiten Artschwagers aus. Auch als Maler hat er dieses Gefühl evoziert. So benutzte er den Baustoff Celotex als Bildgrund, ein Dämmmaterial aus Hartfaser für Häuser. Das darauf Dargestellte wirkt nie wirklich verhaftet, stets bleibt die Oberfläche unruhig. Als Chronist seiner Zeit verarbeitet er in einem Triptychon die verschiedenen Phasen eines Hotelabrisses, wie Richard Hamilton malt er Interieurs, wenn auch ohne Personal – doch bleibt er merkwürdig distanziert. Wie nah und zugleich fern er den Dingen steht, zeigt sich auch in den Porträts, die der Künstler nach Zeitungsfotos von George W. Bush (2002), Osama bin Laden (2003) und zuletzt von sich selbst (2003) malt. Wer sind wir?, scheint er zu fragen.

In seinen späten Jahren umkreist er nicht nur misstrauisch Objekte des Alltags, sondern auch den Menschen. Selbst die Kunst ist ihm suspekt. „Alle Kunst verkommt ... weil ihre Elemente, ihr Selbst, allmählich okay werden, vertraut werden.“ Auf seine eigenen Werke trifft dies jedoch kaum zu.

Haus der Kunst, München, bis 6. Januar; Katalog 59,80 €.

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