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Kokain ist seine Wunde. Der italienische Autor Roberto Saviano.

© IMAGO

Roberto Savianos Buch über den globalen Kokain-Handel: Die Welt ist weiß

Kokain ist die Achse, um die sich alles dreht: Roberto Saviano blickt mit seinem Buch „Zero Zero Zero“ in die Abgründe der globalen Drogenkriminalität.

Dass Roberto Saviano kein unbeschwertes Leben führt, er kein übermäßig glücklicher Mensch sein kann, das lässt sich sagen, auch ohne ihn persönlich zu kennen. Seitdem der 34-jährige Autor 2006 sein Buch „Gomorrha“ veröffentlichte und die Machenschaften der Camorra in seiner südwestitalienischen Heimat Kampanien offenlegte, bedroht ihn die Mafia mit dem Tod; Saviano lebt unter ständigem Polizeischutz und an wechselnden Orten. Trotzdem: „Der Kampf geht weiter“, wie er 2012 ein Buch nannte, das ebenfalls von der Struktur und Geschichte der Mafiaorganisation ’Ndrangheta handelt und von den Möglichkeiten des Widerstands gegen diese.

Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Saviano auch mit seinem neuen Buch einfach weitermacht und dieses Mal den globalen Drogenhandel in den Blick nimmt, speziell den Kokainhandel und „wie das Kokain die Welt beherrscht“, so der reißerisch anmutende Untertitel von „Zero Zero Zero“.

Erstaunlich aber ist, dass Saviano in diesem Buch häufig mit sich selbst ins Gericht geht, sich befragt, an sich zweifelt. „Zero Zero Zero“ liest sich stellenweise wie ein Saviano-Psychogramm. „Seit Jahren frage ich mich, wozu diese Beschäftigung mit Töten und Schießereien gut sein soll“, beginnt Saviano unvermittelt ein Kapitel noch ziemlich zu Beginn des Buches. „Lohnt sich das alles? Was hat es für einen Sinn?“ fragt er und schließt zahlreiche weitere Fragen an, deren Beantwortung unsicher-disparat ausfällt. Mal spricht er davon, dass er sich „jedem Trost verschließen“ wolle, dann davon, dass die Beschäftigung mit den mafiösen Grausamkeiten der Sinn seines „Auf- der- Welt-Seins“ sei. Schließlich weiß er: „An den Handelsrouten des weißen Pulvers dranzubleiben ist für mich die einzige Möglichkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen.“ Und, beschwörend, sich selbst vergewissernd und ermutigend:  „Kokain ist die Achse, um die sich alles dreht. Die Wunde hat nur einen Namen.“

Später wiederum gesteht er seine Obsession ein, die ganz eigene Sucht, das „Addicted“-Sein. Was dazu führt, dass in „Zero Zero Zero“ wirklich jede Drehung um die Achse des Kokains ihre Beachtung zu erfahren scheint. In mehreren kurzen, über das Buch verteilten und lediglich mit „Kokain#“ und einer Zahl überschriebenen Kapiteln zählt Saviano auf, wer alles Kokain konsumiert, wie viele Ausdrücke es dafür gibt oder was sich Kartelle und Händler alles einfallen lassen, um es zu transportieren, in Kalbslederhäuten oder Marienstatuen, in Bananenkisten oder menschlichen Mägen.

Saviano schildert den Aufstieg von Mexiko als Drogenumschlagplatz Nummer eins („Wer nicht auf Mexiko schaut, wird niemals das Schicksal der Demokratien begreifen, die von den Drogenhandelsströmen umgestaltet werden“) und den vermeintlichen Abstieg der kolumbianischen Drogenkartelle; er untersucht die Geldwäsche in Londons Finanzdistrikt und streift – extra für die deutsche Leserschaft – das „Eldorado“ Deutschland, wo angeblich jährlich 50 bis 60 Milliarden Euro illegaler Herkunft durchgeschleust werden; selbst die Hunde, die auf beiden Seiten eingesetzt werden – hier, um die Drogen zu erschnüffeln, dort zur Bewachung riesiger Villen – vergisst er nicht. Und Saviano porträtiert Drogenbosse, Killer und Coca-Bauern, kolumbianische Schönheitsköniginnen, die sich in mit der Polizei kooperierenden Drogenhändlern verlieben, oder Undercover-Agenten.

Auch von eigenen Begegnungen erzählt er, mit einem afrikanischen Drogenkurier zum Beispiel. Oder mit einem ehemaligen Elitesoldaten aus Guatemala, der vermutlich für die mexikanischen Kartelle getötet hat. Letztendlich ist es in jedem Fall beeindruckend, was Saviano alles für Recherchen unternommen und an Fakten zusammengetragen hat; wer übrigens die Drogen- und Mexiko-Romane von Don Winslow gelesen hat, „Zeit des Zorns“ oder „Tage der Toten“, erfährt hier, wie nah auch Winslow der Drogengeschäftsrealität kommt, wie wenig fiktiv zumindest die Rahmenhandlungen seiner Thriller sind.

Angesichts der Materialfülle von „Zero Zero Zero“ ist es nicht verwunderlich, dass Saviano sich oftmals arg verwirrend durch Zeiten und Räume bewegt – und manche Aufzählung, manches Detail und die Einführung immer wieder neuer, in den Drogenhandel verwickelter Personen auf Dauer auch etwas ermüdet.

Störender sind Passagen, in denen er allzu stark auf die Thesentube drückt. Weniger nüchtern-wissend als alarmistisch gerät da die Warnung vor der Weltherrschaft der Kokain-Kartelle: „Der Kampf der Ideologien, der Kampf der Kulturen, religiöse und kulturelle Konflikte sind nur Episoden im Weltgeschehen. Die Wunde aber, die das kriminelle Kapital schlägt, verschiebt sämtliche Koordinaten.“ Oder Saviano raunt, dass die Beschlüsse eines Drogenbosses wie des Kolumbianers Pablo Escobar entscheidender „unseren Alltag und unsere Entscheidungen“ bestimmt haben als jene von Reagan und Gorbatschow. Und es ist stets die Welt, die in Gefahr ist, die von der russischen Mafia „erobert“ wird, der ganze afrikanische Kontinent, der „weiß“ ist, die Weltfinanzkrise, die der Drogenwirtschaft nichts anhaben kann und ihr noch besser als ehedem „ein Risikospiel von planetarischen Ausmaßen“ erlaubt.

Vieles davon ist von Saviano naturgemäß nur schwer zu belegen. Doch wer förmlich mit Händen „in die Grausamkeit eintauchen“ muss, wer in den „Abgrund“ geblickt hat und zu einem „Ungeheuer“ geworden ist, wie er konstatiert, wer darum weiß, die Wahrheit vergeblich zu suchen, der kann die Welt vermutlich gar nicht mehr anders als durch diese gewissermaßen weiße Brille sehen. Was würde ein Roberto Saviano tun, gäbe es keine Mafia, keine Drogen? Wie viel pathologische Anteile enthält der eigene Furor? Seine Zerrissenheit stellt Saviano am Ende noch einmal nachdrücklich aus. Mit vielen Fürs und Widers ringt er darum, für die Legalisierung von Kokain zu stimmen: „Weil sie nämlich dort greift, wo das Kokain auf fruchtbaren Boden fällt: im ökonomischen Gesetz von Angebot und Nachfrage. Versiegt die Nachfrage, geht alles, was ihr nachgeordnet ist, ein wie eine Blume, der man das Wasser entzieht.“ Doch sogleich fragt er wieder: „Ist das zu gewagt? Ist es eine Phantasie? Das Delirium eines Ungeheuers? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“

Roberto Saviano, das ist angesichts der größtenteils restriktiven offiziellen Drogenpolitik sicher, wird weiterhin in Abgründe schauen müssen. Sein Kampf geht weiter, und ein Ende ist nicht in Sicht.

Roberto Saviano: Zero Zero Zero. Wie Kokain die Welt beherrscht. Aus dem Italienischen von Rita Seuß und Walter Kögler. Hanser, München 2014. 480 S., 18, 99 €.

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