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Roger Norrington: Vielfarbig, herb

Roger Norrington mit Bach und Schumann zu Gast in der Komischen Oper.

Wie festgefügt klassische Konzertrituale immer noch sind, merkt man an dem nervösen Kichern, wenn bei der Aufführung eines Klassikers auch nur eine Kleinigkeit anders ist als gewohnt. Beim Gastauftritt von Roger Norrington im Sinfoniekonzert der Komischen Oper gibt es viele Abweichungen: Bei Schumann thronen die Kontrabässe hinter den verdoppelten Holzbläsern, die auch Trompeten und Hörner weit voneinander trennen, und in Bachs Klavierkonzert in d-moll setzt sich der Solist Sebastian Knauer mit dem Rücken zum Publikum, während Norrington die eisern vibratolos spielenden Streicher mit dem Gesicht zu den Zuhörern dirigiert.

Im Fall von Bach, den die historische wie moderne Aufführungspraxis bis in alle stilistischen Extreme ausgelotet hat, nimmt man die scheinbaren Experimente noch locker hin. Man tut es auch deswegen, weil Knauer für Bach einen knappen und kernigen aber modulationsfähigen Anschlag gefunden hat, der Charakteristika alter Instrumente aufnimmt, ohne kastriert zu wirken. Hustende Unruhe breitet sich aus, als Norrington vor Schumanns 2. Symphonie das Mikrofon ergreift und einen kleinen Vortrag zu Werk und Aufführungspraxis hält. Doch gute Erläuterungen entzaubern Musik nicht.

Heterogener und komplexer wirkt das Stück durch die Orchesteraufstellung, im vielfarbigen und herben Klang tatsächlich an historische Hammerflügel erinnernd. Historisch nicht zwingend sind die Registrierungen zwischen Tutti und Kammerorchesterbesetzung, durch die Schumanns Anspielungen an Bach aber betont archaisch herüberkommen. Man muss nicht jeden dieser Klänge lieben oder seiner Authentizität vertrauen. Die Musiker aber, die wissen, dass man eine vibratolose Orchesterkultur nicht im Crashkurs erlernen kann, sind bereit, für Norrington ihre Sicherheiten aufzugeben und schutzlos seine Geschichte zu erzählen. Die Intensität, die daraus entsteht, macht die starke Wirkung des Abends auch aus.

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