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"Rohkunstbau" auf Schloss Roskow: Die Katastrophe im Idyll

Die 21. Ausgabe von Rohkunstbau widmet sich der "Apokalypse". Dabei scheint die Ausstellung nahezu in der Pflicht zu stehen, aktuelle politische Themen aufzugreifen.

Zufall ist es nicht. Genau am gleichen Wochenende, an dem das Zentrum für politische Schönheit seinen spektakuläre Angriff auf das Berliner Kanzleramt starten will, mit den Leichen ertrunkener Bootsflüchtlinge im Gepäck, eröffnet auf dem Land nach dreiviertelstündiger Fahrt an wogenden Brandenburger Feldern und blühendem Mohn vorbei eine Ausstellung mit dem Titel „Apokalypse“. Das Thema liegt in der Luft.

Sie hätten vor drei Jahren ja gar nicht ahnen können, wie aktuell ihr Zyklus werden würde, sagt Organisator Arvid Boellert bei der Vorbesichtigung der 21. Ausgabe von Rohkunstbau, einer Sommerschau auf Schloss Roskow unweit von Potsdam. Die Ausstellung ist eine Art Landpartie vornehmlich Berliner Künstler, deren Name noch von der ersten Ausstellungsstätte stammt, einem Rohbau im Spreewald. Seitdem hat sich das Konzept zu einem Erfolgsmodell entwickelt und in diversen Schlössern Brandenburgs Station gemacht, bis es nun im Havelland heimisch geworden ist.

Den inhaltlichen Faden spinnt Kurator Mark Gisbourne, der sich gerne über Jahre ausgreifende Themenkomplexe sucht. In Anlehnung an Wagners „Ring“ hat er nach den bisherigen Stichworten „Macht“, „Moral“ und „Revolution“ den geladenen Künstlern nun die „Apokalypse“ aufgegeben. Sie lassen sich mal mehr, mal weniger bereitwillig auf das Thema ein oder reagieren auf die Geschichte des Hauses, dem einstigen Familiensitz derer von Katte. Nach der Hinrichtung des Vorfahren Hans Hermann von Kattes 1730, der zum Tod verurteilt worden war, weil er Friedrich II. bei seiner gescheiterten Flucht vor dem Vater geholfen hatte, musste das Adelsgeschlecht seine eigene Katastrophe verarbeiten. Bis 1945 befand sich das Richtschwert noch auf dem Schloss. Danach wurde die Familie enteignet. Das Drama, die Apokalypse findet überall statt: in der Politik und im Privaten, in der Gegenwart und in der Vergangenheit.

Naturgewalt im Zimmerformat

Eigentlich müsste die Luft brennen bei einem solchen Thema. Stattdessen weht ein laues Lüftchen durch die Räume des wieder in Familienbesitz befindlichem Barockschlosses, es bleibt sommerlich heiter, die gezeigten Werke tun niemandem weh. Gehen die Künstler in die Knie angesichts der Schrecken der Welt, der an sie gestellten thematischen Herausforderung? Eigentlich ist es ungerecht, ihre Beiträge an einer solchen Fallhöhe zu messen, ihre Beiträge in Relation zu aktuellen Katastrophen zu stellen: den Flüchtlingstragödien im Mittelmeer, den Folgen des Bürgerkrieges in Syrien, den Lebensumständen in anderen Ländern, die Tausende ihr Heil in Europa suchen lässt.

Ein bisschen Katastrophe aber gibt es nicht. Und so beschleicht den Besucher zunehmend Unbehagen, wenn er die eingehegten Szenarien in den Schlosssälen betrachtet. Miguel Rothschilds „Flut“ bringt das Dilemma auf den Punkt. An mehreren hundert Nylonfäden hängt ein mit Wellen und Schaumkronen bedruckter Stoff, der ein aufgewühltes Meer suggeriert. Man kann drumherum gehen, darunter schauen: die Naturgewalt im Zimmerformat. Den Fotoreportagen, die von den Krisenherden der Welt in Ausstellungen gelangen, antwortet der Künstler mit einem romantischen Motiv. Es ist ein naiver Gestus und zugleich heldischer Versuch, die Autonomie der Kunst zu schützen. Wohl ist einem bei dieser Flucht in die Puppenstube trotzdem nicht.

Apokalypse in der Idylle

So löst Christiane Möbus’ Arrangement eher Schulterzucken aus. In die Mitte des Gartensaales hat sie einen alten Campingtisch gestellt, darauf einen Korbstuhl als wackeliger Thron, darunter fünf Kürbisse aus Aluminium, ein bisschen abgerückt steht der Abguss des berühmten Richtschwerts von Katte, in zwei anderen Ecken halb abgebaute Kachelöfen. „Heinrich VIII.“ nennt die Künstlerin ihre Installation in Anspielung auf den englischen König, der seine acht Frauen nacheinander hinrichten ließ. Noch so eine Katastrophe, die geradezu tändelnd daherkommt: ein bisschen Geschichte, ein bisschen Lokalkolorit und dazu das Foto von einem Malerfreund der Künstlerin, der seinen kugelrunden Kopf munter vor zwei Kürbisse hält.

Die 21. Ausgabe von Rohkunstbau zeigt vor allem eines: Kunst taugt nicht zur Bebilderung eines Themas. Sie hat ihre eigenen Gesetze und wirkt am stärksten dort, wo sie sich von Vorgaben abstößt. Die konzeptuelle Strenge von Philipp Lachenmanns Malerei steht für sich. Wer genau hinschaut, entdeckt hauchzart in der silbrigen Oberfläche der Tafel die choreographische Zeichnung eines Militäraufmarsches aus napoleonischer Zeit: schön und böse zugleich. Der Krieg ist die Mutter aller Künste, Mars der entsprechende Gott. Die davor platzierten Polyeder sind sein Symbol, nachtschwarz mit silbrigem Krakelee.

Diesen Zusammenprall inszeniert auch Leiko Ikemura mit ihrer liegenden Mädchenfigur, durch deren Körper ein Riss geht: als wäre sie wie in Pompeji die letzte Zeugin eines Vulkanausbruches. Ein Film zeigt dazu sausende Wolkenformationen rund um den Gipfel des Fuji, der nach wie vor bedrohlich aktiv ist. Das Szenario will man sich lieber nicht ausmalen. Nie war die Apokalypse ferner als im idyllischen Roskow.

Schloss Roskow, Eröffnung Samstag, 20. 6., 15 Uhr. Bis 6. 9. www.rohkunstbau.de

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