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Roman „Moonglow“ von Michael Chabon: Ein Sack voller Lügen

Pynchon, Salinger und Salter: In seinem Roman „Moonglow“ spielt der amerikanische Schriftsteller Michael Chabon mit literarischen Referenzen. Die Kolumne Literaturbetrieb.Thomas Pynchon und die V-2-Rakete: Michael Chabon verwebt im Roman „Moonglow“ literarische Referenzen und Geschichte zu einer wunderbaren Fiktion.

Wer den neuen, dieser Tage erscheinenden Roman des amerikanischen Schriftstellers Michael Chabon zu lesen beginnt, sollte sich vorsehen. Auch wenn „Moonglow“ phasenweise wie ein Memoir erscheint, Michael Chabon mit Hilfe seines ebenfalls als Schriftsteller tätigen Ich-Erzählers Michael Chabon so tut, als würde er aus seinem eigenen Leben erzählen und vor allem „seinen“ Großvater porträtieren, der in dem Roman nur „mein Großvater“ heißt (wie auch die Großmutter keinen Namen hat), so steht hier doch die Fiktion ganz oben auf dem Masterplan. „A pack of lies“ gebe es in „Moonglow“, hieß es in Ankündigungen der Originalausgabe. Oder, wie Chabon zu Beginn anmerkt: „Beim Schreiben dieser Memoiren habe ich mich an die Fakten gehalten, es sei denn, sie wollten sich einfach nicht der Erinnerung, dem dichterischen Willen oder der Wahrheit, wie ich sie gerne verstehe, beugen.“

Michael Chabon schickt also seinen Helden, der 1917 geboren wurde, kreuz und quer durch Amerika, einmal auch 14 Monate in ein Gefängnis. Und in den Zweiten Weltkrieg: erst kurz nach London, dann nach Deutschland. Hier macht sich der Großvater, der begeistert ist von der Raumfahrt und später zum Beispiel Modelle von einer von Menschen bewohnten Mondsiedlung baut, auf die Suche nach dem Raketeningenieur und V-2-Entwickler Wernher von Braun und landet dabei natürlich auch in Nordhausen im Harz. Vieles von dem, was Chabon hier erzählt, gerade zu Wernher von Braun lässt sich überprüfen, steht in Geschichtsbüchern, da verlässt der amerikanische Schriftsteller den fiktiven Raum.

Schöner, literaturimmanenter jedoch ist, wie Chabon sich wiederum in einen gewissermaßen realen literarischen Raum begibt. Sein Ich-Erzähler berichtet, wie wenig er in Archiven zu Nordhausen und der dortigen Produktionsstätte der V 2, Dora-Mittelbau, mitsamt zugehörigem Arbeitslager in Erfahrung bringen konnte: „Über Pynchon hinaus gab es nicht viel.“ Und so findet Thomas Pynchon, der große unbekannte, nie auf einer Bühne oder sonst wo zu erblickende Riese der US-amerikanischen Literatur Eingang in „Moonglow“, genauer: dessen Roman „Gravity’s Rainbow“ (auf Deutsch „Die Enden der Parabel“), „one of the longest, most difficult, most ambitious novels in years“, wie die „New York Times“ bei Erscheinen 1973 schrieb. In Pynchons Roman spielt die V-2-Rakete eine nicht ganz unwichtige Rolle, sein Held Tyrone Slothrop treibt sich gleichfalls in Nordhausen herum.

Doch Pynchon bleibt in „Moonglow“ nicht die einzige literarische Referenz. Irgendwann erzählt Chabon, wie er die „Neun Erzählungen“ von J. D. Salinger liest, also die Geschichten eines anderen großen Öffentlichkeitsverweigerers der US–Literatur: „Meine Lieblingsgeschichte war schon immer ,Für Esmé – in Liebe und Elend’. Seit ich sie zum ersten Mal gelesen hatte, auf der Highschool, erinnerten mich die Story und ihre Hauptfigur an meinen Großvater.“ Das wirkt, als wollte sich Michael Chabon ein wenig wie Pynchon und Salinger gerieren, sich wie diese verstecken, ganz spielerisch, versteht sich, in seinem Roman, und damit andeuten, dass man bitte schön seinem Ich-Erzähler nicht über den Weg trauen solle.

Nur gut, dass er bald noch einen weiteren großen US-Romancier als Paten aufruft: James Salter. Als es um den französischen Hintergrund seiner Großmutter geht, um Frankreich überhaupt, fühlt sich der „Moonglow“-Chabon an die Lektüre von Salters Ehe-und-Frankreich-Roman „Ein Spiel und ein Zeitvertreib“ erinnert. Wie Salinger, der 2010 verstarb, ist Salter inzwischen tot, er starb vor drei Jahren, doch anders als Pynchon und Salinger war Salter stets bereit, Interviews zu geben und in der Öffentlichkeit aufzutreten. Michael Chabon hat damit gleichfalls keine Probleme. So animiert er nicht zuletzt dazu – einer der schönsten Folgen, die ein Roman haben kann, nämlich auf andere Literatur zu verweisen – nach der Lektüre von „Moonglow“ womöglich sich noch einmal an Pynchons „Gravity’s Rainbow“ zu versuchen und auch Salinger und Salter wiederzulesen.

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