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Ilja Ehrenburg

© imgao/United Archives International

Roman von Ilja Ehrenburg: Der seufzende Wanderer

Neu aufgelegt: Ilja Ehrenburgs satirischer Roman „Das bewegte Leben des Lasik Roitschwantz“ aus dem Jahr 1928.

Er ist ein heimlicher Bruder des Milchhändlers Tewje aus dem Schtetl: ein provinzieller Ostjude mit der stoischen Schelmenhaftigkeit eines Schwejk. In seiner naiven Art entlarvt er seine Zeit. Ob Lasik Roitschwantz als bolschewistischer Bürokrat und Kaninchenzüchter in Kiew den Fortschrittsoptimismus des nachrevolutionären Russland decouvriert oder als falscher Rabbi in Frankfurt am Main seine Glaubensbrüder zum Fastenbrechen ermutigt – der aus Not erfindungsreich gewordene Überlebens- und Verwandlungskünstler von Ilja Grigorjewitsch Ehrenburgs satirischem Roman „Das bewegte Leben des Lasik Roitschwantz“ versucht immer wieder, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen – und bleibt doch ein Prügelknabe. „Man kann behaupten, dass das ganze bewegte Leben Lasiks mit einem unvorsichtigen Seufzer begann. Es wäre besser gewesen, er hätte nicht geseufzt!“

Ilja Ehrenburgs Roman aus dem Jahr 1928, ein Jahr später in der fulminanten und noch immer gültigen Übersetzung von Walter Jollos auf Deutsch erschienen und jetzt in der Anderen Bibliothek neu aufgelegt, gilt als die bedeutendste literarische Leistung des russischen Schriftstellers, Journalisten und Polemikers, der selbst ein bewegtes Leben führte und mit seinem Roman „Tauwetter“ einer ganzen Epoche ihren Namen gab.

In seinem lesenswerten Nachwort – einem umfangreichen Essay über Leben und Werk des 1891 in Kiew geborenen und 1967 in Moskau gestorbenen Autors – charakterisiert ihn Peter Hamm als einen zeitlebens Zerrissenen, unterwegs „zwischen Ost und West, seiner Liebe zu Russland und der zu Frankreich, getrieben von der Geschichte, die einen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, der Russe und zugleich Jude war, zwang, zwischen Anpassung oder Verfolgung zu wählen, wobei auch Anpassung nicht immer vor Verfolgung schützte.“

Komik wird bei Ehrenburg den schlimmsten Situationen abgewonnen

Der Seufzer von Lasik Roitschwantz setzt eine Irrfahrt durch einen von Revolution, Bürgerkriege und Wirtschaftskrisen durcheinandergewirbelten Kontinent in Gang. Der Herrenschneider legt sich nämlich, ganz unabsichtlich, mit der Nomenklatura an. Als er sich eines Tages auf den Weg zur Dame seines Herzens macht, wird er auf einen offiziellen Anschlag an einem Gartenzaun aufmerksam. Er liest, auf Zehenspitzen stehend, weil von winzigem Wuchs, vom Tod des verdienten Genossen Schmurigin. Lasik kann sich ein lautes Seufzen nicht verkneifen. Diese Gefühlsäußerung wird ihm als Unmutslaut ausgelegt, als Beschimpfung des Dahingeschiedenen gar.

Nach einem kurzen Prozess kommt er ins Gefängnis, und nach seiner Entlassung beginnt eine endlose Wanderung, die ihn über Moskau, Königsberg, Berlin und Paris bis ins gelobte Land führt, wo endlich Ruhe sein soll mit dem Leiden. „Lasik ging auf der Straße dahin – wohin und wozu, das wusste er selbst nicht. Er konnte nicht gehen, und er ging trotzdem. Es dünkte ihn, dass er schon tausend Kilometer gegangen wäre. Lag nicht gar Homel schon hinter jener Biegung? Aber vom heißen, weißlichen Himmel hoben sich wie vorher dunkel die Kuppeln und Minarette Jerusalems ab. Lasik ging immer noch. Endlich trugen ihn die Füße nicht länger. Er lag nun im Staub der Straße.“

Der Zynismus Ehrenburgs, schrieb Siegfried Kracauer einmal über Ehrenburg, verrate die Herkunft der Ironie aus der verletzten Zärtlichkeit des Gemüts. Tatsächlich ist die „schnöde Ironie“ dieses unermüdlich produktiven Erzählers, Dichters und Essayisten, zugleich von einer Herzenswärme, die einen lachen und weinen macht: Komik wird hier noch den schlimmsten Situationen abgewonnen.

Und so erzeugt selbst Lasiks unpassendstes Verhalten eine bitter-heitere Wahrhaftigkeit. Ehrenburg hat mit Lasik die Ahasver-Legende vom wandernden Juden ironisch auf den Stand der 1920er Jahre gebracht. Was danach kam, ist bekannt. In seine Gesammelten Werke wollte Ehrenburg den Roman nicht aufgenommen sehen. Nach den NS-Untaten war ihm die Veröffentlichung als „vorzeitig“ erschienen. Gut, dass man diesen Roman nun in unruhigen Zeiten neu entdecken kann.

Ilja Ehrenburg: Das bewegte Leben des Lasik Roitschwantz. Roman. Aus dem Russischen übertragen von Waldemar Jollos. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016. 406 Seiten, 42 €.

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