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Rudolf Springer: Aus dem Bauch

Der Berliner Kunsthändler Rudolf Springer feiert seinen 100. Geburtstag. Durch seine Vitalität und sein Engagement für die Kunst versorgte er auch seine Heimatstadt mit Lebenskraft: Berlin.

„Springers großer Sprung voran“ hat der Fotograf Michael Ruetz seine Serie genannt, die er im Herbst 1968 von Rudolf Springer machte. Der Berliner Galerist springt in dem Moment von einem Grabstein auf dem Neuköllner St. Thomas-Friedhof mit ausgebreiteten Armen ab, als hinter ihm eine Boeing vom Tempelhofer Flughafen in die Lüfte entschwebt. Der Totenacker lag exakt in der Einflugschneise der Maschinen, ein bezeichnendes Bild für die vom Leben ringsum abgeschnittene Stadt, die trotzdem in alle Welt Verbindung hielt. Genau auf diesem widersprüchlichen Terrain machte der Galerist seine Sprünge.

Durch seine Vitalität, sein Engagement für die Kunst versorgte auch er seine Heimatstadt mit Lebenskraft, während andere der einstigen Kulturmetropole kaum noch eine Chance gaben. Zu dem Zeitpunkt, 1968, existierte Springers Galerie bereits zwanzig Jahre, weitere drei Jahrzehnte sollte er sie führen. Eine singuläre Händlerkarriere, die aus vielen großen und kleinen Sprüngen bestand. Mit dem Namen Rudolf Springer ist die Kunststadt Berlin aufs Engste verwoben. Wenn der Ausnahmegalerist in der kommenden Woche am 9. April seinen 100. Geburtstag feiert, wird ihm auch der Regierende Bürgermeister wie in den vorangegangen Jahren gratulieren, denn dem knorrigen Einzelgänger hat Berlin viel zu verdanken.

Nachdem vornehmlich Berliner Künstler wie Hans Thiemann, Heinz Trökes und Werner Heldt bei ihm ihre Ausstellungen hatten, öffnete Springer in den fünfziger Jahren die Fenster und zeigte französische Positionen wie André Masson, Henri Laurens, Hans Arp und nach Paris emigrierte Deutsche wie Hans Bellmer, Hans Arp und WOLS. Später kamen Alexander Calder und Henry Miller. Die Offenheit, die Risikolust, die Liebe zur Kunst war bei Rudolf Springer ein Familienerbe. Der Urenkel von Julius Springer, dem Begründer des renommierten Wissenschaftsverlags, hatte nicht Kunstgeschichte studiert, sondern eine kaufmännische Lehre absolviert, aber von zu Hause die Begeisterung für Bücher, die Sammelleidenschaft, das weitreichende Interesse mitgebracht. Bei Kunst folgte der Verlegerspross seinem Bauchgefühl, andere nennen es Nase, und erkundete stets als Erstes, wie sich die Textur eines Bildes, die Oberfläche einer Skulptur anfühlte und ob er deren Erschaffer sympathisch fand.

Das erklärt auch die Unterschiedlichkeit seines Programms, das vom Informel mit Ernst Wilhelm Nay, Emilio Vedova, Piero Dorazio bis zu Georg Baselitz, Jörg Immendorff und Markus Lüpertz als Vorläufern der Neuen Wilden reichte und selbst Konzeptkünstler wie James Lee Byars und Naive wie Friedrich Schröder-Sonnenstern miteinander verband. Im Gespräch hat er einmal anschaulich erklärt, warum er keine „Sorten-Galerien“ mag: „Das ist genauso, wie wenn man eine Sache sehr gerne isst und die essen Sie dauernd, dann schmeckt sie Ihnen nicht mehr, das heißt ich habe verschiedene genommen, auch verschiedene Richtungen, weil ich so geartet bin. Das hat meiner Natur entsprochen.“

Vor zwei Jahren ließ sich dieses Nebeneinander, das parallele Interesse für primitive und zeitgenössische Kunst, die große bibliophile Neigung in Form exquisit gestalteter Einladungskarten und Kataloge in einer eigenen Ausstellung studieren, die das Galeristenpaar Nicole Hackert und Bruno Brunnet dem Doyen des Berliner Kunsthandels zum 98. Geburtstag widmete. „Marchant d’Art“ war die Schau überschrieben, mit der sich „contemporary fine arts“ kurz vor dem eigenen „großen Sprung“ ins Chipperfield-Galeriehaus gegenüber vom Neuen Museum aus ihren alten Räumen in den Sophie-Gips-Höfen verabschiedete. Die Einladungskarte zeigte einen verschmitzt dreinblickenden jungen Mann, Rudolf Springer 1941 in der Uniform eines Marinesoldaten. Der Filou sollte Glück behalten, er kam unversehrt durch den Krieg und konnte seine jüdischen Wurzeln verbergen. Auch die Einladungskarte zu seinem jetzigen Geburtstagsempfang zeigt ein Bild aus frühen Jahren, den 21-Jährigen als Lebemann mit Borsalino, Trenchcoat, Hemd und Kragen. Damals verdiente er sich seinen Lebensunterhalt noch als Versicherungsvertreter.

Nach dem Krieg aber sollte es Kunst als Handelsware sein. Springer begann bei Gerd Rosen in der ersten wiedereröffneten Galerie West-Berlins. Nach der Währungsreform wagte er den Start in die Selbstständigkeit: in zwei ehemaligen Kinderzimmern der elterlichen Villa in Zehlendorf. Erster Künstler war 1948 Hans Uhlmann, gefolgt von Mac Zimmermann. Während die meisten in dieser Zeit mit der Beschaffung von Brennholz und Kartoffeln beschäftigt waren, später um die reine Existenz in der martialisch abgeriegelten Stadt bangten, kümmerte sich Springer um die geistige Versorgung, stillte er den Hunger nach Bildern. Seine Galerie war die einzige, die zwischen Berlin-Blockade und Mauerfall ununterbrochen weiterbestand. 1950 bekam er dank seiner Pariser Kontakte noch aus den letzten Kriegsjahren, viele darunter zur Résistance, einen Raum in der neuen Maison de France am Ku’damm. Dort zeigte er als erstes Joan Miró. Es folgte ein Zwischenquartier in der Bar „Quartier Bohème“, wo beinahe Klaus Kinski ausgestellt worden wäre, hätten sich die beiden Männer nicht zuvor über die Fütterung des Galeristenhundes zerstritten. So blieb es beim Vorsatz und der Einladungskarte. Ende der Sechziger zog Springer in die legendären Räume in der Fasanenstraße, die heute sein Sohn Robert mit Gerald Winckler weiterführt.

Ganz konnte der Vater es jedoch nicht lassen. In der alten Zehlendorfer Villa wickelte er noch so manches Geschäft ab, am Klingelschild steht noch immer „Springer moderne Kunst“. Den Knopf darüber werden nun zum Geburtstagsempfang wieder viele Künstler, Sammler, Galeristenfreunde, Nachbarn, Kinder, Enkel betätigen und erneut staunen über einen solch Unermüdlichen der Kunst, sein reich beschenktes Leben.

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