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Himmelsstürmer. Kuratorin Stefanie Wenner (Foto, Mitte) vom Hebbel am Ufer mit „Lunapark Berlin“-Künstlern .

© Doris Spiekermann-Klaas

Neues Leben im "Spreepark Berlin": Rummel, Riese, Ritual

Versunkenes Paradies: Das HAU erweckt den Vergnügungspark Plänterwald mit Touren und Performances aus dem Schlaf – ein Streifzug.

Von Sandra Luzina

Ein verwunschener Ort: Die Gleise der Achterbahn sind von Sträuchern überwuchert, hier und da rostet noch der Waggon eines Kinderkarussells vor sich. Aus dem Spreepark Berlin ist ein malerisch verwildertes Biotop geworden. Zugleich mutet dieses Gelände im Plänterwald wie eine archäologische Stätte an – überall kann man noch den Relikten einer vergangenen Vergnügungskultur begegnen.

Das Riesenrad steht schon seit vielen Jahren still – und überragt wie ein Mahnmal den einstigen Spreepark. Denn seit der „Rummel-König“ Norbert Witte, der nach der Wende den ehemaligen VEB Kulturpark Plänterwald übernahm, 2001 Bankrott machte, ist das große Areal verwaist. Was als tollkühnes Gaunerstück anfing, entwickelte sich zur Lokalposse. „Es hat sich seit zehn Jahren nichts bewegt“, echauffiert sich Stefanie Wenner, die für das HAU das Outdoor-Projekt „Lunapark Berlin“ konzipiert hat. Der Erbbaupachtvertrag liegt nach wie vor bei Pia Witte, der Frau des Schaustellers. Er ist heute mit rund 20 Millionen Schulden belastet. „Jeder potenzielle Investor müsste das Gelände erst mal freikaufen. Somit ist eine Stillhaltesituation entstanden“, sagt sie.

Inzwischen ist der Hasardeur Norbert Witte, der wegen Kokainschmuggels im Knast war, wieder auf freiem Fuß. Er lebt derzeit auf dem Gelände, im Westerndorf – „ein Bereich, in den wir nicht hineingehen“, sagt Wenner. Abgesehen von dieser verbotenen Zone wird der einstige Vergnügungspark für kurze Zeit wieder geöffnet. Das Projekt „Lunapark Berlin“ erweckt das 32-Hektar-Gelände an vier Tagen aus seinem Märchenschlummer.

Die ersten Künstler schwärmen aus, um diesen paradoxen Ort zu erkunden. Einige sind auf Fahrrädern unterwegs – andere sitzen auf einer Bank und haben die Laptops aufgeklappt. Die ersten Helferinnen rücken an. Maria hatte im damaligen VEB Kulturpark ihren ersten Ferienjob: Zuckerwatte verkaufen. Auf den technischen Leiter Matthias Schäfer – auch er verbindet Kindheitserinnerungen mit dem Park – warten besondere Herausforderungen. Das Riesenrad soll mit 5000 Glühbirnen illuminiert werden. Es soll zum leuchtenden Symbol werden – dafür, dass Ideen die Stadt verändern können.

Denn das HAU wechselt nicht etwa ins Schaustellergewerbe und macht einen auf Amüsemang. „Lunapark Berlin“ – da schwingt die Erinnerung an den Lunapark in Halensee mit, zwischen 1909 und 1933 Europas größter Vergnügungspark. „Das Entstehen der Lunaparks um 1900 hatte mit der Entwicklung von Arbeit zu tun“, erläutert Wenner. „Wir beschäftigen uns auch mit der Frage: Wie ist das Verhältnis von Arbeit und Freizeit heute? Zugleich setzen wir uns mit der Berliner Stadtentwicklung auseinander. Was ist passiert in den letzten 20 Jahren?“

Viele behaupten mittlerweile, dass Berlin zu einer einzigen Vergnügungszone mutiert ist. Braucht die Hauptstadt da überhaupt noch einen Vergnügungspark? Bei einer Podiumsdiskussion setzen sich erstmals Politiker aller Parteien an einen Tisch, um über die Zukunft des Spreeparks zu diskutieren. „Es ist doch ein Skandal“, sagt Wenner, „dass dieses Gelände, das so zentral liegt, nur privatwirtschaftlichen Interessen dient und nicht öffentlich genutzt wird.“ Das Tourprogramm schlägt Schneisen ins Dickicht. Da kann man sich auf die Spuren der über 150-jährigen Kulturgeschichte des Plänterwalds begeben. Sabrina Witte, Tochter des ehemaligen Parkbetreibers, beleuchtet den Großstadt-Mythos Spreepark. Und Finn Ballard wird bei der „Trouble with Tourism“-Tour von seinen Erfahrungen als Berlin-Guide berichten, ohne dabei die Besucher zu verschrecken.

Dass ganz Berlin zur Spielwiese von Privatinteressen, zum „playground“ verkommt – damit setzt sich auch das Projekt „Spreezone – der kommende Park“ auseinander, das als „Transmedia Game“ konzipiert ist, also Alltagstechnologien wie SMS oder E-Mail einbezieht. „Die Fiktion ist: Wir verwandeln ganz Berlin innerhalb von drei Wochen in einen Themenpark“, erklärt Jörg Lukas Matthaei. Alle, die mitmachen, bekommen eine neue Identität verpasst – und gehören fortan einem von fünf rivalisierenden Schausteller-Clans an. Im Park wird trainiert – mit dem Ziel, die ganze Stadt umzubauen. „Das ist kein Computerspiel, sondern ein Spiel, das in der echten Welt stattfindet, mit echten Leuten“, betont Sebastian Quack von Invisible Playground. „Die große Frage, die sich am Ende stellt, ist: Wird es gelingen, die Spreezone zu errichten?“

Die vier Performer von Showcase Beat Le Mot errichten einen „Burn Out Man und hoffen dabei auf die tatkräftige Mithilfe der Besucher. „Der ,Burn Out Man’ ist eine acht Meter hohe Skulptur, gefüllt mit Altholz, das im Park gesammelt wurde – und mit unerfüllten Wünschen, alten Liebesbriefen, Ärgernissen aller Art“, erläutert Veit Sprenger. „Am Samstag bei Sonnenuntergang geht das alles dann in Flammen auf – als ein gigantisches Burnout-Opfer.“

Man muss alles verbrennen, um neu anzufangen – das ist der Sinn dieses Rituals. „Jeder muss sich entscheiden, welche Geister er vertreiben möchte“, sagt Thorsten Eibeler. Da steigt vielleicht ein Phoenix aus der Asche. Und eine energetische Transformation kann auch die erschöpfte Stadt gebrauchen.

Biergärten, Budenzauber und ein kleiner Tierpark werden für Volksfest-Atmosphäre sorgen. Der Telekinese-Workshop oder die Mud Wrestling Championship gehören eher ins Kuriositätenkabinett. Einige der Künstler scheinen sich für die Nachfahren von Gaukler, Schaustellern und Wahrsagern zu halten. „Beim Kulturprogramm wird es ein gewisses Maß an Wildwuchs geben“, räumt Wenner ein. Die Hauptrolle spielt das wunderbare Gelände selbst. Wenn die Berliner in Scharen herbeiströmen, setzen sie jedenfalls ein Zeichen, dass sie das Areal zurückhaben wollen. Und wer weiß: Nach dem Burnout-Opfer kommt vielleicht wieder Bewegung in die Spreepark-Verhandlungen.

Spreepark im Plänterwald, Do-So 26.-29.5., Do 18-22 Uhr, Fr 18-24 Uhr, Sa 14-1 Uhr, So 12-22 Uhr

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