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Foto: Felix Kaestle/dapd

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Walser-Roman "Das 13. Kapitel": Sachbuch der Seele

„Das dreizehnte Kapitel“: Martin Walser singt in seinem neuen Roman ein Hohelied auf die Liebe.

Die Wahrscheinlichkeit, sich ausgerechnet bei einem Empfang des Bundespräsidenten in den Mann oder die Frau seines Lebens zu verlieben, dürfte eher gering sein, vielleicht sogar unmöglich. Vor allem, wenn es dabei an einem großen Tisch mit sechzehn Leuten kaum Gelegenheit zur Zwiesprache gibt. Wenn der Anblick genügen muss, die Liebe zu entfachen, und selbst dieser erschwert ist: „Diese Frau saß nicht gegenüber, saß nicht so, dass man sie ohne Kopfverdrehen von selbst im Blickfeld hatte, sondern eben sehr schräg gegenüber.“

Der Schriftsteller Basil Schlupp aber, der männliche Held von Martin Walsers neuem Roman „Das dreizehnte Kapitel“, ist sofort Feuer und Flamme. Ihm reichen der Name der Dame, Dr. Maja Schneilin, ihr Beruf, Theologin, und ihre Erscheinung, ihre Stimme und ihr Aussehen („Wie Sie ihren Kopf tragen!“), um sofort unter einem heftigen Gefühlsstau zu leiden, gar ein anderer zu werden: „Und das durch Sie.“ Das alles schreibt er ihr zwei Wochen nach dem Empfang im Schloss Bellevue in einem Brief, der von ihr auch beantwortet wird. Dabei bleibt es dann: Basil Schlupp, verheiratet mit Iris, und Maja Schneilin, verheiratet mit Korbinian, schreiben sich Briefe, Liebesbriefe. Darin gestehen sie, wie sehr sie ihre jeweiligen Partner lieben, verraten aber auch deren Geheimnisse. Vor allem aber verständigen sie sich über die Unmöglichkeit ihrer ja doch nur auf dem Papier bestehenden Liebe: „Unmöglichkeit, das ist ein großes, schönes, mich aufs liebste umfangende Wort. Ich habe mit Dir gelebt auf die Unmöglichkeit hin. Du hast mir geschrieben: aus der Tiefe der Unmöglichkeit.“

Martin Walser hat also einen Roman über die Unmöglichkeit einer Liebe geschrieben und die Erfüllung, die man darin finden kann; einen Briefroman, der nach der Hälfte in den Modus eines E-Mail-Romans wechselt, und der das hohe Lied der Liebe singen will. So wie es, deshalb der Titel, der Apostel Paulus im 13. Kapitel seines ersten Briefes an die Korinther getan hat: „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.“ Walser redet in der ihm eigenen Sprache über die Liebe – und das ist das genauso Reizvolle wie Problematische dieses Romans. Wer Walser zur Genüge kennt und schätzt, hat seine Freude an den sattsam bekannten Walser-Sätzen und -Grundsätzen. Zum Beispiel daran, was Basil Schlupp aus dem Roman zitiert, den seine Frau schreibt und der gleichfalls „Das 13. Kapitel“ heißen soll: Sentenzen über Sentenzen, so wie sie in Walsers Tagebüchern oder seinen „Meßmer“-Büchern stehen. Oder wenn Maja Schneilin sagt: „Ich stelle es mir augenblicksweise schön vor, dass wir die Gewohnheit hätten, alle unsere Behauptungen und Rechtfertigungen so weit zu treiben, bis sie sich in ihr Gegenteil auflösen und uns zurückließen in einer Art Armut.“ Walser hat das schon kürzer formuliert: „Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr.“

Doch, es macht schon Spaß, sich von Walser typischer Dialektik verblüffen zu lassen; zu verfolgen, wie er seine Begeisterung für den evangelischen Theologen Karl Barth (der größte Theologe des 20. Jahrhunderts“, schwärmt Maja) und dessen Schriften nach seinem Rechtfertigungsbuch nun in einem Roman unterbringt. Nur wirken die Figuren nicht sehr lebendig. Sie sind Pappkameraden von Walsers Gnaden, sie müssen dessen neueste Erkenntnisse über die Liebe durchdeklinieren, nicht zuletzt auf der Grundlage von Barth und den Paulus-Briefen.

Die Dramaturgie ist folglich eher dünn: Majas Enttäuschung, von Basil gewissermaßen eingeseift worden zu sein – worauf Basil gesteht, genau wie es Walser und seine Helden schon seit Jahrzehnten gestehen: „Ich bin gefallsüchtig. Wahrscheinlich der gefallsüchtigste Mensch, den es gibt.“ Ihr Schweigen, seine Marter. Schließlich ihre Kapitulation: Per Mail berichtet sie ihm getreulich von einer absurden, höchst beschwerlichen Kanada-Radtour mit ihrem krebskranken Mann. Maja bleibt bei Korbinian, bis in den Tod, er bei Iris, das muss so sein in einem Unmöglichkeitsroman – einen ultimativen Ehebruchsvollzug gibt es bei Walser selten. „Auch jeder Roman ist ein Sachbuch“, weiß Basil, (...) „ein Sachbuch der Seele.“ Ja, Walsers Liebesroman ist theoretisch interessant. Er lässt einen nur völlig kalt. Gerrit Bartels

Buchpremiere mit Martin Walser, Mi., 5.9, 20 Uhr, Berliner Ensemble

Martin Walser: Das dreizehnte Kapitel.

Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012.

271 Seiten, 19,95 €.

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