zum Hauptinhalt
Bloß weg hier. Ariel (Lorena Handschin, links) und Prospero (Wolfram Koch, kopfüber).

© Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Saisoneröffnung am Deutschen Theater Berlin: Shakespeare am Seil

„Der Sturm“ mit Wolfram Koch als Prospero: Große Verwirrung auf einsamer Insel.

Eine schöne Idee. Das Deutsche Theater eröffnet die Saison in den Kammerspielen mit Shakespeares Urgewalt. Jedenfalls verspricht das die Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen. Sein „Sturm“ zählt zu den späten Stücken, und allgemein hat sich die Ansicht durchgesetzt, es sei sein letztes. Das verführt natürlich dazu, die Summe eines Lebenswerks darin zu erkennen, etwas Testamentarisches, einen Abgesang. Es ist ja auch die Abschiedsspielzeit des Intendanten Ulrich Khuon.

Am Ende der Komödie, des allegorischen Spiels, des Märchens gibt der alte Zauberer Prospero seine magischen Kräfte ab, schenkt dem Luftgeist Ariel die Freiheit und dem „Wilden“ Caliban die Insel, er geht an Bord eines Schiffs, das ihn aus der Verbannung nach Hause bringen soll, näher an sein Grab.

Die Weisheit der Bücher

Das wundervolle, rätselreiche Werk erlebt 1611 in London seine erste Aufführung, in Whitehall, vor König James I. An gleicher Stelle gibt es 1613 eine weitere Aufführung vor den Royals anlässlich einer Hochzeit, ein Hinweis darauf, dass die Geschichte damals als gar nicht so finster angesehen wurde. Zumal Miranda, die Tochter des Zauberers, von der „brave new world“ träumt. Das dürfte sich auf eine Zukunft des Aufbruch und der Prosperität (!) des British Empire bezogen haben, auf Kosten der Kolonien. Die Alten treten ab, etwas Neues ist im Anzug.

Shakespeare stirbt 1616, und als 1623 die erste Folio-Ausgabe seiner Dramen erscheint, steht „Der Sturm“ an erster Stelle. Demnach handelt es sich nicht um einen Schwanengesang, sondern vielmehr um ein Theater-Spiel, ein Spiel mit Ritualen und Konventionen, durchaus entertaining. Shakespeare zieht hier alle Register der Theaterkunst und -technik, er preist die Errungenschaften von Wissenschaft und Poesie und die Schönheit und Weisheit des Buchs.

Kolonialismus ist hier kein Thema

Prospero bezieht seine Macht und seinen Trost aus seinen Lektüren, er hat sich eine Enzyklopädie geschaffen, das Weltwissen im schnellen Zugriff. „Der Sturm“ ist eine Demonstration geistiger Macht und theatraler Kraft.

Der Blick ins Stück mit all seinen Möglichkeiten und seiner Geschichte zeigt, was am DT alles nicht vorkommt oder nur am Rand. Regisseur Jan Bosse kümmert sich kaum um Caliban, damit fällt der ganze Komplex von Rassismus und Kolonialismus aus. Was bleibt, ist erst einmal das Theater als Illusionsmaschine. Das ist der Kern, so kann man es sehen.

Und da kommen jetzt Prospero und Ariel auf die Bühne, wie auf eine Probe, testen Geräte und Effekte. Der alte Magier zwängt sich in einen zerrissenen Anzug, läuft barfuß, seine Zähne sind schwarz wie die Nacht, sein Harr lang und fettig. Ein Penner: Wolfram Koch ist heftig verkleidet. Ein übel gelaunter Prospero, ein backstage-Tyrann.

Der Geist im Glamour-Kostüm

Ganz anders Ariel. Lorena Handschin im Glitzer-Glamourkleid sieht ein wenig aus wie die Replikanten im „Blade Runner“. Wenn sie mit den Fingern schnipst, geht das Licht aus, Licht an. Sie hat die Macht, das Timing, die Tricks drauf, doch sie ist eine Gefangene des Alten, scheint sich aber nicht unwohl zu fühlen, protestiert nicht. Prospero läuft seiner eigenen Inszenierung hinterher, das hat etwas Anrührendes. Nach dem Motto: Im Theater geht sowieso immer alles schief, also spielen wir weiter, machen wir uns was vor. Im leeren Raum: Bühnenbildner Stéphane Laimé lässt einen Urwald von Seilen herabhängen, zugleich eine Schiffsmetapher und ein Theaterschnürboden. Da kann man sich malerisch verheddern. Oder völlig den Faden verlieren.

Der Anfang, so wie ihn Bosse anbietet, funktioniert noch gut, eben weil er zeigt, dass das Theater ein widerspenstiger Organismus ist und keine kalte Funktionalität. Doch dann tauchen grundsätzliche Probleme auf, die sich während der kommenden zwei Stunden Spieldauer zunehmend vergrößern. Das erste ist die Textfassung von Jakob Nolte. Er hat Wort für Wort übersetzt, wie ein Übersetzungsprogramm, und eine künstliche Sprache entworfen, etwa so: „Tust du lieben mich?“ Der kindliche Charme verfliegt schnell, und die seltsam eitlen Wendungen helfen auch nicht, die Story zu entwirren.

Warum nicht gleich ein Musical?

Im Gegenteil: Die quietschbunt verkleidete Truppe der Schiffbrüchigen, die es auf Prosperos Insel verschlägt (Kostüme: Kathrin Plath), ist durchweg durch Doppelbesetzung fast unkenntlich gemacht. Tamer Tahan spielt König Alonso, aber auch den Narr Trinculo, Jeremy Mockridge taucht als Saufkopf Stephano und als Königssohn Ferdinand auf – und unter. Lautstärke ist auch wieder ein Problem. Es wird gebrüllt, dann auch gegen die Live-Musik von Carolin Bigge. Und es wird auch gern zum Mikro gegriffen und englisch gesungen, als wollte das Ganze gleich lieber ein Musical sein. Mikrofone auf der Bühne haben die Rolle von Handys im Alltag, man hält sich daran fest.

Seine Majestät und Seilschaft Prospero ist zum Zuschauen verurteilt. Zum Schluss geht Wolfram Koch entschlossen an die Rampe, hält eine harte Rede. Verheiratet seine Tochter und löst das Inselreich auf. Endlich kann man einmal zuhören, verstehen, mitdenken, mitfühlen in einer Aufführung zum Auftakt, die sich selbst die Luft zum Atmen nimmt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false