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Kultur: Sarajewo, mon amour

WETTBEWERB „Grbavica“ von Jasmila Žbanik

Ein kleiner Spaß am Morgen: Esma und ihre Tochter Sara jagen durch die Wohnung, schlagen sich mit Kissen und balgen auf dem Boden herum. Doch als Sara auf ihrer Mutter kniet und ihre Arme auf den Boden presst, ist der Spaß plötzlich vorbei. „Hör auf, hör auf!“ – Esma sagt es sehr streng und reißt sich rüde los. Sara bleibt verständnislos zurück.

Die Zwölfjährige kann nicht wissen, warum ihre Mutter so reagiert, warum sie ein Gespräch mit einer Ohrfeige beendet oder ihr mitten im Abendessen die Fingernägel schneidet. Meistens macht Sara (Luna Mijovik) das nichts aus. Sie lässt sich von niemandem einschüchtern. Wenn ihr ein Junge in der Schule dumm kommt, verhaut sie ihn. Den Lehrer lügt sie an und die Freundin der Mutter beschimpft sie. Nur wenn es um ihren Vater geht, ist Sara verletzlich. Sie kennt ihn nicht, weiß nur: Er war Shaheed – ein Kämpfer, der im Krieg gegen die Serben starb.

Mein Vater, der Held. Zweifel an dieser Legende kommen erst auf, als Sara zum reduzierten Tarif an einem Klassenausflug teilnehmen will und dafür eine Bescheinigung braucht, dass ihr Vater bosnischer Soldat war. Doch ihre Mutter kann oder will das Zertifikat nicht finden. Überhaupt, weicht sie ständig aus, wenn es um ihn geht. Und bald weiß man: Sie hat ein finsteres Geheimnis, von dem die langen Narben auf ihrem Rücken nur den Schimmer einer Ahnung vermitteln.

Grbavica ist der Name eines Stadtteils von Sarajewo. Während der dreieinhalbjährigen Belagerung der Stadt (1992-95) durch bosnische Serben, die mehr als 10 000 Menschen das Leben kostete, gab es dort ein Lager. Frauen wurden systematisch vergewaltigt. Die 1974 geborene Regisseurin Jasmila Wbanik wohnte damals nicht weit entfernt und hörte die schrecklichen Geschichten der Frauen, die aus dem Lager zurückkehrten. Zunächst wollte sie eine Dokumentation über das Thema machen, entschied sich dann aber doch für die Fiktion, weil sie die Frauen nicht noch einmal durch ihr Trauma schicken wollte. Nun hofft sie, dass „Grbavica“ ihnen „eine Art Katharsis“ ermöglicht. Eine solche Wirkung wäre ihrem einfühlsamen Drama auf jeden Fall zu wünschen. Es zieht auch unbeteiligte Zuschauer tief in die Welt einer traurigen, tapferen Frau, deren Zerrissenheit die großartige Mirjana Karanovik („Underground“, „Svedoci“) am Übergang von Glühen und Erlöschen verkörpert.

Mit „Grbavica“ zeichnet Jasmila Wbanik, die bisher vor allem Kurzdokus drehte, zudem ein lebendiges Porträt ihrer Heimatstadt Sarajewo. Beiläufig zeigt sie die Ruinen und Einschusslöcher der Stadt, in der kaum jemand Arbeit hat, die Männer Pistolen tragen und man beim Kennenlernen feststellt, dass man sich schon mal beim Leichen-Identifizieren getroffen hat. Trotz alldem steht am Ende die Hoffnung und Kemal Monteno singt „Sarajevo, meine Liebe“.

Heute 9.30 und 23.30 Uhr (Urania) sowie 20 Uhr (International), 19. 2., 17 Uhr (Zoo-Palast 4)

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