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Mit unsichtbaren Kräften. Georgiana Houghtons „Blume von Samuel Warrand, 19. August 1862“ entstand bei einer spiritistischen Sitzung.

© VSU/Lenbachhaus

Schau im Münchner Lenbachhaus: Die vergessenen Pionierinnen der abstrakten Kunst

Sie erforschten Geistiges und Übersinnliches: Das Münchner Lenbachhaus würdigt in einer Schau die drei großen Künstlerinnen Georgiana Houghton, Hilma ef Klint und Emma Kunz.

Gewöhnlich beginnt die Meistererzählung der abstrakten Kunst mit dem Triumvirat Kandinsky, Malewitsch und Mondrian. In Zukunft wird man sie um drei weibliche Namen ergänzen müssen. Georgiana Houghton, Hilma af Klint und Emma Kunz heißen die drei Künstlerinnen, deren aufsehenerregende Werke in der Ausstellung „Weltempfänger“ im Münchner Lenbachhaus zu sehen sind.

Staunend, verwirrt, vielleicht skeptisch empfangen die Betrachter die verschlüsselten Botschaften, mit denen das Dreigestirn den Kanon der abstrakten Kunst auf den Kopf stellt. Die Formenvielfalt geometrischer, floraler, symbolistischer und kosmischer Elemente von Hilma af Klint, die verschlungenen Linienschwünge, wuchernden Mikrokosmen und feinsten Punktierungen von Georgiana Houghton und die auf Millimeterpapier gezeichneten Mandalas von Emma Kunz verblüffen allesamt durch ihre Intensität und Originalität. Gemeinsam ist ihnen eine spiritistische Form der Abstraktion zwischen Geometrie und Biomorphismus.

Hilma af Klint wurde 2013 als Pionierin wiederentdeckt

Die Schwedin Hilma af Klint (1862 – 1944) gehörte zu den ersten Künstlerinnen, die eine professionelle Ausbildung an der Königlichen Kunstakademie absolvierten. Im Zentrum des Stockholmer Kunstlebens unweit von Edvard Munchs Atelier widmete sie sich zunächst der Landschafts- und Porträtmalerei. Sie beteiligte sich an Séancen, hielt Vorträge über die Rosenkreuzer und schloss sich mit fünf Künstlerinnen zu einem spiritistischen Kreis zusammen, für den sie als Medium fungierte. So empfing sie den übersinnlichen Auftrag, Malereien für den Tempel anzufertigen, woraus sich 1906 bis 1915 ihr weitgehend abstraktes Hauptwerk von 193 Bildern entwickelte, teils in enormen Formaten. Die vorübergehende Hinwendung zur Anthroposophie hinterließ darin deutliche Spuren.

Da es Hilma af Klint nur mühsam gelang, ihr abstraktes Werk öffentlich zu zeigen, verfügte sie, dass die Bilder bis 20 Jahre nach ihrem Tod unter Verschluss gehalten werden müssen. Erst Mitte der 1980er Jahre begann ihre Wiederentdeckung mit der Schau „he Spiritual in Art, Abstract Painting“ in Los Angeles. Es bedurfte einer weiteren Generation, bis sie 2013 als „Pionierin der Abstraktion“ mit einer großen Retrospektive gefeiert wurde, die auch im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen war. Ihre „Paintings for the Future“ sorgen derzeit nicht nur in München, sondern auch im Guggenheim Museum in New York für Furore. Dass die spiralförmige Architektur des Guggenheims Klints Tempelvision entspricht, lässt an eine besondere Fügung glauben.

Emma Kunz widmete sich unsichtbaren Energieströmen

Auch die Schweizer Heilpraktikerin und Künstlerin Emma Kunz (1892 – 1963) formulierte weitsichtig: „Mein Bildwerk ist für das 21. Jahrhundert bestimmt.“ Ohne künstlerische Ausbildung in ländlicher Umgebung im Kanton Aargau aufgewachsen, verstand sie sich eher als Naturheilerin. Ihre ganzheitliche Forschung galt den unsichtbaren Energieströmen, die sie mit Erfolg für ihre Heilkunst nutzbar machte. Ihr ab 1938 mithilfe eines Pendels entstandenes Bildwerk stand im Dienst dieses Heilens. In einem Akt höchster Konzentration praktizierte Kunz ihre „Neuartige Zeichnungsmethode“ im Glauben an „Das Wunder schöpfender Offenbarung“, so die Titel ihrer beiden Publikationen im Eigenverlag von 1953. Wie die Schönheit mathematischer Formeln fasziniert die Qualität ihres Bildwerks, das vor allem Harald Szeemann im Kontext der Outsiderkunst und eines erweiterten Kunstbegriffs ausstellte, seit den 70er Jahren. Über 50 ihrer fast quadratischen Bildwerke werden in München gezeigt.

Auch die im viktorianischen London aufgewachsene Georgiana Houghton (1814 – 1884) stand außerhalb ihrer Zeit. Der frühe Tod ihrer jüngeren Schwester war ein dramatischer Einschnitt in ihrem Leben. Trost fand sie im christlichen Glauben und in spiritistischer Lehre, die sie seit 1860 als Medium praktizierte, um mit der Verstorbenen in Verbindung zu treten. 155 ihrer „Spirit Drawings“ wurden 1871 in der New British Gallery in London gezeigt – ohne große Resonanz. Die gutgläubige Zusammenarbeit mit dem Geisterfotografen Frederick Hudson, der als Betrüger entlarvt wurde, kann die Faszination für ihre Geisterzeichnungen nicht mindern. 20 dieser erst vor wenigen Jahren wiederentdeckten Werke sind nun erstmals in Deutschland zu sehen.

Ein großer Einfluss auf jüngere Künstlergenerationen

Alle drei Künstlerinnen erforschten unsichtbare Kräfte, um Naturgesetze, Geistiges und Übersinnliches sichtbar zu machen. Ihre abstrakte Kunst avant la lettre wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis Spiritismus und Kunst zueinander stehen. Auch Kandinsky schrieb schließlich „Über das Geistige in der Kunst“. Und ebenso wusste Klee, dass Kunst nicht das Sichtbare wiedergibt, sondern sichtbar macht.

Die Originalität, Präzision und Ausdauer ihres künstlerischen Schaffens macht die Würdigung von Georgiana Houghton, Hilma af Klint und Emma Kunz überfällig. Sie hatten und haben großen Einfluss auf jüngere Künstlergenerationen, wie parallel eine Ausstellung im Münchner Kunstraum Bogenhausen belegt: eine Hommage an Hilma af Klint und Emma Kunz mit Werken von Jan Albers, Angelika Bartholl, Hansjoerg Dobliar, Bernd Ribbeck und Claudia Wieser. Gemeinsam ist allen die latente Symbolik ihrer Bildsprache. Die Zukunft für ihre Bilder ist angebrochen – wir schalten auf Empfang.

Lenbachhaus, München, bis 10.3.; Katalog (Hirmer) 39 €; Guggenheim Museum, New York, bis 3.2.; Kunstraum Bogenhausen, München, bis 1.3.; Katalog 25 €

Dorothea Zwirner

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