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Micha Ullmans Installation "Bis zum letzten Sandkorn" (2011) durch die Lupe betrachtet.

© Sacha Flit

Schau von Micha Ullman: Die Akademie der Künste eröffnet wieder ihre Ausstellungsräume

Mit einer Ausstellung des israelischen Künstlers Micha Ullman eröffnet die Akademie der Künste am Pariser Platz nach mehr als drei Jahren wieder ihre Säle.

Bevor der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat 1973 Israel den Kampf erklärte und in den Jom-Kippur-Krieg zog, soll er gesagt haben – so zumindest die Überlieferung – , dass er die 1967 besetzte Sinai-Halbinsel „bis zum letzten Sandkorn“ zurückerobern werde. Es kam anders, Sadat kassierte eine Niederlage, die jedoch zu Verhandlungen führten und einer Teilrückgabe von Land. Der Konflikt konnte befriedet werden. Sein Ausspruch geriet trotzdem nicht in Vergessenheit, vielmehr bezeugt er die Wandelbarkeit härtester politischer Positionen und die Chance auf Verständigung, wo sie gerade noch hoffnungslos schien.

Dieses Paradox hat auch den israelischen Künstler Micha Ullman fasziniert, der jenes letzte Sandkörnchen gefunden haben will – zumindest symbolisch. Es befindet sich nun im zentralen Ausstellungssaal der Akademie der Künste am Pariser Platz, in einer Vitrine mitten im Raum. Betrachtet werden kann es durch eine Lupe, die auf der gläsernen Abdeckung liegt. Dadurch besehen wirkt das kleine Korn plötzlich riesengroß, erscheint es gelblich wie ein Bernstein, unregelmäßig geformt. Es handelt sich um Hamra-Sand (hamra, arabisch: rot) unweit von Ullmans Wohnort in der Nähe von Tel Aviv.

Sandkorn im Fokus der Weltpolitik

In dem winzigen Objekt fokussiert sich Weltpolitik, auch jener bahnbrechende Moment, in dem Sadat den Mut besaß, vor der Knesseth zu sprechen und als erster arabischer Staatsmann das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Zugleich ruft es die Tragik seines Todes 1981 in Erinnerung. Vier Jahre nach seiner großen Rede, drei nach dem Friedensabkommen von Camp David wurde der ägyptische Präsident ermordet.

Die Akademie der Künste gibt mit der Ausstellung „Sandkorn“, zu der neben Ullmans Installation sechs Zeichnungen gehören, als Wiedereröffnung seiner Säle ein starkes Statement ab. Über drei Jahre wurden sie saniert, mussten Klimatechnik und die gläsernen Decken erneuert werden. Die Baumängel waren 2005 bereits kurz nach Eröffnung aufgetreten. Im vergangenen Jahr kamen im Berliner Abgeordnetenhaus die Zahlen für die Maßnahmen auf den Tisch: Die ursprünglich mit 38,5 Millionen Euro veranschlagten Kosten hatten sich da bereits auf 83 Millionen Euro verdoppelt. Und noch immer geht es weiter. Im Lesesaal und den vier Untergeschossen für das Archiv reicht die Frischluftzufuhr nicht.

Als Schaufenster aber steht die Akademie nunmehr wieder vollständig bereit. In den letzten Jahren waren nur Sidekicks zu sehen, allein der Liebermann-Saal stand zur Verfügung. Den größten Auftritt hatte die Berlin-Biennale vor zwei Jahren, die sich vor allem im Foyer präsentierte. Für Großausstellungen bleibt der Standort Hanseatenweg reserviert, hier stehen 3000 Quadratmeter Fläche im Vergleich zu den 600 Quadratmetern am Pariser Platz zur Verfügung. Am Brandenburger Tor wird weiterhin der kulturpolitische Auftritt, das diskursive Formate gepflegt.

Die sanierten Säle der Akademie werden zelebriert

Ullmans Präsentation steht beispielhaft dafür, ist in seinem Minimalismus allerdings arg sparsam. Im ersten Raum ist der Film „Sand Drawing“ von 2009 zu sehen, der zweite bleibt leer, der dritte beinhaltet die einzelne Vitrine, der vierte ist ebenfalls leer, im fünften hängen die sechs Zeichnungen an der Wand. Nun gut, die zurückgewonnenen Säle sollen zelebriert werden: der lackschwarze Terrazzoboden, die endlich perfekt glatten Wände, das durch die Glasdecke einfallende Tageslicht. Dort störten früher Drähte. Wo nichts zu sehen ist, da richtet sich der Blick automatisch auf die räumlichen Gegebenheiten, auch wenn kaum zu erkennen ist, was sich geändert haben soll. Doch die Räume besitzen nunmehr Museumsqualität, darauf kommt es auch für künftige Ausstellungen an.

Ullman setzt den Anfangspunkt – und das ist mit dem einzelnen Sandkorn, dem Hauptakteur seiner Schau, wörtlich zu verstehen. Von hier aus entfaltet sich ein komplexer Diskurs über Sprache, jüdische Geschichte bis hin zum palästinensisch-israelischen Konflikt, für den das Sandkorn ebenfalls einen symbolträchtigen Topos bildet. Als Eröffnungsredner war der israelische Historiker Moshe Zimmermann damit perfekt gewählt. Doch wo Ullman durch die Erinnerung an Sadats einst erklärtes Ziel, von dem er glücklicherweise abließ, die Hoffnung auf Frieden in seinem Land beschwört, zeigte sich Zimmermann desillusioniert. Gewiss, an den Auseinandersetzungen um Taba ließe sich studieren, wie ein Streit im Sande verlaufen könne, so der Historiker. Doch die Welt habe sich seitdem geändert. Ethnozentrischer Nationalismus und religiöser Fundamentalismus prägten heute die politische Landschaft. Einen wahren Sandsturm hätten diese beiden Phänomene ausgelöst. Der Nahost-Friedensprozesses sei nicht nur wegen Versagen der direkten Konfliktparteien gescheitert, „sondern auch weil die globalen Rahmenbedingungen auf Treibsand ruhten“. Mut machte das zwar nicht. Zum Glück erinnerte Micha Ullman im Anschluss daran, dass im Gespräch noch immer die Chance auf Annäherung besteht.

Akademie der Künste, Pariser Platz 4, bis 22. 4.; tägl. 10 – 20 Uhr.

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