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Vergangenheit trifft Gegenwart. Valerie Snobecks Film „Go Soft“ im Fluentum zeigt die Reperatur der „Skeleton“-Uhr von Shell.

© Stefan Korte

Filmkultur in Dahlem: Ein Stück Hollywood in Berlin

Die Videokunst-Ausstellung „Time without End“ in der Dahlemer Privatsammlung Fluentum lüftet den Schleier der Traumfabrik.

Dame mit Buch, in einem Zugabteil. Sie schläft beim Lesen ein, lässt den Roman sinken, der Band fällt zu Boden. 1996 hat der Medienkünstler Klaus vom Bruch den Clip aus einem Hollywood-Melodram zum Video-Loop gestreckt. Die Filmbilder kommen im Schluckauf-Modus voran und ruckeln schließlich zum Ausgangspunkt zurück: zur Lesenden mit dem aufgeschlagenen Einband „Time Without End“. Ebenso heißt die Videoarbeit - und auch die Gruppenschau im Fluentum trägt diesen Titel.

Das Drehjahr des Spielfilms „Leave Her to Heaven“, den der Videokünstler scratchte, ist nicht unerheblich: 1945. Die Stunde Null. Für viele Deutsche hieß das: Weitermachen, wenig Rückschau, kaum Reflexion. Die aktuelle Ausstellung im Museum des Videokunstsammlers Markus Hannebauer widmet sich, so formulieren es die Kurator:innen Dennis Brzek und Junia Thiede, „den Texturen von Zeit, Geschichte und Narration“.

[Fluentum, Clayallee 174, bis 11. Dezember, Fr 11-17, Sa 11-16 Uhr]

Dass die Nachkriegsgeschichte eine wichtige Rolle in der Gruppenschau spielt, dafür stehen schon die Räume, einst Teil einer von den Nazis geplanten Luftwaffenzentrale. 1945 zog die US-Armee ein. Das Haupthaus des Komplexes (heute teils Konsular-Abteilung der Vereinigten Staaten, teils Eigentumsanlage) wurde 2016 von Hannebauer erworben und zum Kunsthaus umgebaut.

Im Entree stößt man zunächst auf historische Fotografien und Publikationen. Florian Wüst versammelt Dokumente über „Politische und kulturelle Verhältnisse in West-Berlin“, die vor allem die deutsch-amerikanischen Beziehungen bis 1990 beleuchten. In zwei Raumnischen präsentiert Wüst – Filmkurator unter anderem für die Transmediale – auf Monitoren Filmmaterial zur nie so ganz ungetrübten transatlantischen Freundschaft. Nur ein Beispiel: Bing Crosby singt „White Christmas“ – und Harun Farocki setzt in seinem gleichnamigen Agitpropfilm von 1968 grausame Vietnamkriegs-Bilder dagegen.

Die Bauteile der Traumfabrikation

Popkultur und Nachkriegsgeschichte treffen in einer Filmcollage der kalifornischen Künstlerin D’Ette Nogle hart aufeinander. Das Video „materialoutpost“ wurde eigens für die Schau produziert, sein Titel erinnert an das US-Truppenkino Outpost, heute Teil des Alliierten-Museums unweit vom Ausstellungsort. Beide Orte sind beliebt als Filmlocations. Zehn Jahre, bevor das Fluentum eröffnete, drehte Quentin Tarantino im Marmor-Foyer Szenen für „Inglourious Basterds“.

Die „Bauteile“ der Traumfabrikation – ob es nun Architekturen oder Objekte sind – sind mehrfach Gegenstand der Ausstellung. So zeigt der Film „Corpse Cleaner“ des Kollektivs 13BC eine Kamerafahrt durch ein Lager in Los Angeles, in dem Staffagearchitekturen, Kulissenteile und Props für Filme aufbewahrt werden. Auf der Tonspur wird unter anderem der jüdisch-deutsche Philosoph Günther Anders zitiert, der vor den Nazis in die USA floh und sich dort als Reinigungskraft für Filmrequisiten verdingte. „Wir fliehen vor den Originalen“, schrieb Anders in einem Brief, später habe er dann „die Duplikate“ abgestaubt.

Margaret Honda recycelt in ihrer Installation „Film (Fluentum)“ insgesamt 36 Scheinwerfer-Farbfilter, die sonst in der Filmproduktion eingesetzt werden. So lange die Ausstellung läuft, wird das Kirchenfenster-artige Farbmuster in einem Fenster im Obergeschoss nach einem festgelegten Szenario schrittweise verändert. Ein 13-Wochen-Lichtspiel, ein Farbfilm, in dem auch das Publikum mitspielt.

Jens Hinrichsen

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