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Die Französin Julie Delpy (hier mit Sophia Ally in "My Zoe"), geboren 1969, wurde mit der Liebeskomödie „Before Sunrise“ bekannt.

© Warner Bros

Schauspielerin Julie Delpy im Interview: „Ich fühle mich immer als Outsider“

Auch in ihrer sechsten Regiearbeit „My Zoe“ steht Julie Delpy wieder vor der Kamera. Ein Gespräch über das Mutter-Sein, den Tod und die Filmbranche.

Von Andreas Busche

Frau Delpy, man kennt Sie in erster Linie für Ihre Beziehungskomödien, wortgewandt, und immer auch etwas neurotisch. „My Zoe“ ist kühler, fast distanziert. Er handelt von einer Wissenschaftlerin, die ihre verstorbene Tochter zu klonen versucht. Ist das Ihre Idee von Science-Fiction?
Es fällt mir schwer zu kategorisieren. Der Begriff Drama ist zu eng gefasst, ich sehe den Film als eine Reise in unerforschtes Terrain. Ich hatte das Drehbuch ursprünglich als Thriller konzipiert, der sich über drei Akte entfaltet. Die Geschichte beginnt als Drama – ein Elterndrama, ein Scheidungsdrama –, aber es nimmt eine unvorhergesehene Wendung.

Sie haben gesagt, dass die Idee auf Gespräche mit Krzysztof Kieslowski zurückgeht, mit dem Sie Anfang der Neunziger die „Farben-Trilogie“ gedreht haben. Worum ging es in diesen Gesprächen?
Ich hatte damals noch keine konkrete Geschichte im Kopf, es ging um Themen wie Schicksal und Elternschaft. Die Inspiration kam mir durch die Vater-Sohn-Geschichte im ersten „Dekalog“-Teil: Was passiert, wenn du dich entscheidest, nicht über den Tod eines geliebten Menschen zu trauern und stattdessen mit gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensnormen brichst? Das menschliche Wesen hat mich immer fasziniert. Wir streben danach, die Natur zu überwinden, gleichzeitig zerstören wir uns damit selbst ein wenig. Wir besitzen diese unglaubliche Gabe, den Tod zu überwinden, durch Herztransplantationen zum Beispiel, aber wir überschreiten dabei Grenzen und unterwerfen uns damit die Natur.

Sehen Sie das Kino auch als einen Ort der Transzendenz?
Natürlich, Kunst überhaupt. Wir sind schöpferische Wesen, wir können Geschichten erzählen und sie an nachkommende Generationen überliefern. Das Kino hält einen Moment fest, den wir noch in 50 Jahren anderen zeigen können. Marilyn Monroe wäre nicht Marilyn Monroe, hätte sie keine Filme gedreht. Und sie hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich habe gerade letzte Nacht von ihr geträumt, nachdem ich in einem Massagesalon ein Bild von ihr gesehen hab. Ich liebe Marilyn Monroe. Sie war ein Opfer des Hollywood-Systems, aber von ihr ging ein Strahlen aus.

Ihr Sohn ist jetzt neun Jahre alt. Mussten Sie selbst erst Mutter werden, um einen Film wie „My Zoe“ zu machen?
Leider habe ich meinen Sohn spät bekommen. Aber Mutter zu sein, hat meinen Ausblick auf das Leben radikal verändert. Mein Junge ist das Allerwichtigste. Wenn ich mich selbst charakterisieren muss, würde ich sagen: Ich bin Mutter, Filmemacherin, Tochter, Freundin, in dieser Reihenfolge. Meine eigene Sterblichkeit hat mich sehr lange beschäftigt. Heute ist das einzige, was mich an meinem Tod betrübt, dass ich nicht mehr erleben könnte, meinen Sohn aufwachsen zu sehen. Hätte ich dieses Gefühl nicht gekannt, hätte ich „My Zoe“ nicht schreiben können. Meine Figur Isabelle verliert ihren Lebenssinn, als ihre Tochter stirbt. Diese extreme Entscheidung, sie zu klonen, finde ich heute nachvollziehbar.

Sie bewerten Isabelles Entscheidung nicht.
Ich kann nicht beurteilen, ob ihre Entscheidung moralisch falsch ist. Darum verzichte ich auf Musik, ich möchte nicht manipulieren. Es gibt keine Botschaft wie: Lasst uns Menschen klonen! Aber durch Isabelles Schmerz klingt ihr Handeln weniger nach einem Mad Scientist.

Lassen sich Wissenschaft und Emotionen überhaupt so klar voneinander trennen?
In der „New York Times“ stand kürzlich ein Artikel, in dem Ärzte einer New Yorker Klinik erstmals die Hinterbliebenen von Organspendern mit den Empfängern dieser Organe zusammenbringen. Ärzten war es lange untersagt, solche Begegnungen zu ermöglichen. Aber Eltern wollen wissen, wer der Mensch ist, der das Herz ihres Kindes in sich trägt. Die Ärzte haben erkannt: In dem Moment, in dem wir es mit Menschen zu tun haben, können wir uns nicht mehr auf die Wissenschaft zurückziehen. Gefühle spielen eine genauso wichtige Rolle. Darum sind in „My Zoe“ die ersten beiden Akte wichtig, sie führen uns hin zum emotionalen Konflikt. Wir müssen uns mit dieser Frage früher oder später beschäftigen. Es ist schon heute möglich, Gehirnzellen zu züchten, die ein Eigenleben haben.

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Ist Ihre Familie der Grund, warum Sie zuletzt relativ selten im Kino zu sehen waren?
Ich war lange 50 Prozent Mutter und 20 Prozent Filmemacherin. Und 10 Prozent Köchin. Manchmal denke ich ja, die Leute können mich nicht mehr sehen. Wahrscheinlich bin ich zu lange im Geschäft. Außerdem kann ich meine Klappe nicht halten. Ich bin Feministin, in Hollywood mag man das nicht. Marvel, die mir eine kleine Rolle in „Avengers“ gegeben haben, wollten mich nie in der Nähe des roten Teppichs sehen. Vielleicht stört es sie, dass ich öffentlich die Bezahlung von Schauspielerinnen thematisiere. Oder ich bin nicht für die Filmbranche geschaffen und muss meinen Weg finden.
Als Regisseurin spielen Sie in allen Ihren Filmen die Hauptrolle, schreiben die Musik und produzieren. Sind Sie ein Controlfreak?
Ich habe mir vorgenommen, das zu ändern. Einmal möchte ich einfach nur Regie führen. Ich bin nicht die Sorte Schauspielerin, die sich den großen Oscar-Moment auf den Leib schneidert. Aber je mehr ich mich der 50 nähere, desto weniger interessante Rollen werden mir noch angeboten. Also muss ich mir meine Rollen selber schreiben.

Sie haben mit Jean-Luc Godard, Bertrand Tavernier und Leos Carax gedreht, mit 18 waren Sie in Frankreich Everybody’s Darling. Warum sind Sie Anfang der Neunziger nach Los Angeles gezogen?
Ich habe das Spiel nicht mitgemacht. In Frankreich war ich eine der wenigen jungen Schauspielerinnen, die nicht einen Regisseur gedatet haben. Die Branche hat viele Frauen beschädigt. Als ich 1988 darüber in Interviews sprach, wurde ich dafür angefeindet. Die französische Filmindustrie basierte auf dem Prinzip der Ausbeutung. Das System ist verrottet, viele dieser Leute sind immer noch in leitenden Positionen. Darum ging ich nach Amerika. Dort war es dann aber genauso.

Sie leben seit 25 Jahren in Los Angeles. Fühlen Sie sich dort manchmal noch fremd?
Ich fühle mich immer noch als Outsider, der nirgendwo reinpasst. Aber Los Angeles ist eine multikulturelle Metropole, mein soziales Umfeld ist sehr heterogen. Es wird aber nicht leichter. Ich hätte wegen „My Zoe“ fast mein Haus in West Hollywood verloren. Nächstes Jahr werde ich nach Europa zurückkehren. Es reicht.
„My Zoe“ läuft seit Donnerstag im Kino.

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