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Kultur: Scheitern als Chance

Schrumpfende Städte: mit intelligenten Neubauten schafft Sachsen-Anhalt urbane Leitbilder

Die ostdeutschen Bundesländer gehen durch schwere Zeiten. Nachdem ihnen eine Kommission unter Vorsitz des früheren Hamburger Bürgermeisters von Dohnanyi unlängst bescheinigen musste, dass die milliardenschweren Transferleistungen weitgehend wirkungslos verpuffen, ist die Bereitschaft zur innerdeutschen Solidarität merklich gesunken. Es wächst nicht nur nichts, es schrumpft vielmehr: die Bevölkerungszahl ohnehin, in manchen Bundesländern sogar die mühsam gepäppelte Wirtschaftsleistung.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Böhmer machte aus der misslichen Lage durchaus keinen Hehl, als er kürzlich die Teilnehmer einer von der landeseigenen Architektenkammer organisierten Rundreise begrüßte. Vor allem die aufgrund von Abwanderung und Geburtendefizit gleich doppelt verringerte Einwohnerzahl macht ihm Sorge. Sachsen-Anhalt habe darüber hinaus wie alle Bindestrichländer ein Selbstfindungsproblem – „aber je mehr es uns gelingt, eigene Beiträge zu leisten, desto mehr wird es gelingen, dass sich die Menschen identifizieren“. Architektur und Städtebau spielen dabei eine wichtige Rolle. Und Sachsen-Anhalt geht in die Offensive, indem es 2010 eine Internationale Bauausstellung unter dem im Osten meist noch als Stigma gefürchteten Rahmenthema „Schrumpfende Städte“ ausrichten will.

Doch nicht die Schrumpfung, sondern die von Böhmer beschworenen Leistungen standen in den vier größten Städten des Bundeslandes zur Besichtigung an: in der Landeshauptstadt Magdeburg, in Dessau, Halle und Wittenberg. Die drei erstgenannten Städte stärken vor allem ihr Profil als Universitätsstädte durch ambitionierte Neubauten. Sie besitzen zugleich ein reiches bauliches Erbe. Wittenberg konzentriert sich auf seine Geschichte als Hauptort der lutherischen Reformation.

In Magdeburg ist viel saniert worden, doch stehen Wohnungen in besten Lagen leer. Die Universität nördlich der Altstadt wird gefasst von verkehrsreichen Durchgangsstraßen. Mit der Universitätsbibliothek hat das Münchner Büro Auer + Weber immerhin einen räumlichen Mittelpunkt definieren können. Das vielfach in sich geknickte und abgetreppte Gebäude bietet eine Fülle von Raumerlebnissen – grandios gesteigert im Foyer mit seiner theatralischen Haupttreppe.

Unweit liegt die „Experimentelle Fabrik“ des Berliner Büros Sauerbruch und Hutton, die eine Brücke zwischen Wissenschaft und wirtschaftlicher Anwendung schlagen soll. Ihre leuchtend pastellfarbene Dachlandschaft aus Aluminiumblech wirkt als Signal; im Inneren orientieren sich die Architekten an der von Bruno Taut Anfang der Zwanzigerjahre begründeten Tradition starkfarbiger, kontrastreicher Wandanstriche.

Dieses Erbe wird in Magdeburg zum Glück gepflegt. Die Großsiedlungen, Ende der Zwanzigerjahre entstanden, strahlen nach Jahrzehnten des DDR-Einheitsputzes wieder in ihren sorgfältig abgestimmten Farbgebungen – wobei das Schwarz-Rot-Gelb (gleich Gold) der Angersiedlung als einzigartiges Bekenntnis zur Republik gelten darf. Der Leerstand der in markanten Hausecken untergebrachten Ladenflächen macht bewusst, dass der auch ökonomische Zusammenhalt dieser einstigen Genossenschaftssiedlungen seine Grundlage verloren hat.

Mit seinem Erbe der klassisch gewordenen Moderne wirbt vor allem Dessau – das als Stadt mit der ungünstigsten Bevölkerungsprognose allen Anlass dazu hat. Als Industriezentrum beklagt Dessau seit 1990 den Verlust eines Fünftels seiner zur Wende gut 100000 Einwohner – mit anhaltender Tendenz. Für 2010 wird ein Wohnungsleerstand von bis zu 13000 von knapp 50000 Wohneinheiten erwartet. Dessauer Politiker fordern nüchtern den „radikalen Rückbau“ in Quartieren, in denen Leerstand, Sanierungsbedarf und geringe Wohnfläche zusammentreffen. Schon jetzt lässt sich das zukünftige Patchwork aus „urbanen Inseln“ und „landschaftlichen Zonen“ erahnen.

Der „Föderalismuskommission“, die nach der Wiedervereinigung für eine gerechte Verteilung der Bundeseinrichtungen unter allen 16 Ländern sorgen sollte, bescherte Dessau den Umzug des in Berlin ansässigen Umweltbundesamtes (UBA). Ebenfalls von Sauerbruch + Hutton geplant, soll das knapp 70 Millionen Euro teure Bauwerk als Musterbeispiel ökologischen Bauens dienen. Manches Entwurfsdetail erscheint etwas gezwungen – so, wenn der glasgedeckte Innenhof des gewundenen Gebäudes dank einer Ausnahmegenehmigung mit Holz verkleidet werden konnte, aus Brandschutzgründen aber eine komplette Sprinkleranlage aufweisen muss.

800 UBA-Mitarbeiter werden in naher Zukunft in Dessau arbeiten – 600 von ihnen wollen aus Berlin pendeln. Dessaus Lebensqualität liegt nach dem Ende des Industriezeitalters wohl eher in der Beschaulichkeit. Jenseits des Hauptbahnhofs befindet sich der Campus der Fachhochschule, die anfangs ganz im Schatten des nahe gelegenen, berühmten Bauhauses kümmerte. Das Köln-Dessauer Büro Kister Scheithauer Gross hat der FH mit einem minimalistisch klaren Instituts-, Hörsaal- und Mensakomplex eigene Identität verliehen.

Damit hat Halle die geringsten Probleme. Die Stadt – zusammen mit ihrem Pendant Halle-Neustadt zu DDR-Zeiten Synonym für Großindustrie und Plattenbauten – beeindruckt durch Vitalität. Mittendrin ist der Uni-Campus geblieben, jetzt einer der schönsten Deutschlands: ein schräg ansteigender, mit breiter Freitreppe elegant die Höhenunterschiede überspielender Platz (Schulz/Hillebrandt, Köln, 2002), flankiert unter anderem vom Juridicum des Kölners Thomas van den Valentyn (1998) und dem jüngst vollendeten Audimax-Gebäude seines früheren Mitarbeiters Gernot Schulz.

Die alte Bausubstanz ringsum ist zum größeren Teil saniert – und wird genutzt. Ein vorzügliches Beispiel für die Ergänzung lückenhafter Substanz ist das „Händelhaus-Karree“ rings um das Geburtshaus des Komponisten. Entwerfer ist erneut das Büro Kister Scheithauer Gross (Köln/Dessau). Die konsequente Erhaltung des Stadtgrundrisses samt der zahlreichen Straßenbahnlinien bei gleichzeitiger Zurückdrängung des Pkw-Verkehrs machen Hoffnung, Halle könne sich auch als Handelsstadt gegenüber den im Osten verheerenden shopping malls behaupten.

Im flächenmäßig größeren Wittenberg konzentrieren sich die Anstrengungen auf die Erhaltung und Sanierung des Reformations-Erbes. Das Lutherhaus erhielt einen schmalen, protestantisch kargen Funktionsanbau vom Büro Pitz & Hoh (Berlin), das sich mit der Sanierung der Berliner Bruno-Taut-Siedlungen einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat. Der Cranachhof überstand die DDR als Beinahe-Ruine; die mühevolle Sanierung und zuvor Bauforschung – durch Mara Pinardi aus Magdeburg – dauert an.

Es gibt sie also, die Glanzlichter in den Städten Sachsen-Anhalts. Dass Bauten für Bildung und Kultur ganz obenan stehen, gibt nach den Erschütterungen durch Pisa-Studie und Wissenschaftler-brain drain Hoffnung für Morgen.

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