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Lovis Corinth: Kunsthistoriker Julius Meier Graefe

© mauritius images / Alamy

Schlossgeschichten: Der letzte Roman des Kunsthistorikers Meier-Graefe endlich veröffentlicht

Das autobiografische Buch schildert das Leben des deutschen Ich-Erzählers in der Provence. Nach Hitlers Machtübernahme blieb es über Jahrzehnte in der Schublade.

Neben den üblichen Reizen der Côte d’Azur bietet die im äußersten Westen gelegene Gemeinde Saint-Cyr-sur-Mer eine Attraktion, die man am Mittelmeer nicht unbedingt erwartet: eine verkleinerte Replik der Freiheitsstatue. Seit 1913 ziert sie auf dem Grande Place einen Brunnen, gestiftet von Anatol Ducros, dem reichsten Mann des Ortes. Aber warum Miss Liberty, warum nicht, sagen wir, Bacchus, Herr der Reben, der viel besser ins dortige Weinbaugebiet gepasst hätte?

Eine Frage, die in dem autobiografisch grundierten, um 1934 entstandenen, doch erst jetzt veröffentlichen Roman „Der Kampf ums Schloss“ des Kunsthistorikers Julius Meier-Graefe offen bleiben muss, schon angesichts seiner vielen Verrätselungen. So wurde aus Saint-Cyr-sur-Mer das Provence-Nest Vadoule, aus der Freiheitsstatue Bacchus, aus Ducros Monsieur Theophile Grosjean, und die Frau des sehr viel älteren Ich-Erzählers, hinter dem sich der Autor verbirgt, heißt nicht länger Annemarie, sondern Bab.

Ein Schlüsselroman über die deutsche Exilgemeinde

Man kann das Buch durchaus als Schlüsselroman lesen, scheinen doch hinter seinem fiktiven Personal, und besonders dem nach 1933 aus Deutschland ankommenden, oft genug reale Zeitgenossen durch. Gut möglich, dass die Sorge, die nicht allzu schmeichelhaft Porträtierten könnten protestieren, einer der Gründe war, warum Annemarie Meier-Graefe nach dem Tod ihres Mannes das Manuskript liegen ließ. Der Autor selbst, seit 1930 in Saint-Cyr ansässig, hatte keine Möglichkeit der Publikation mehr, nachdem sein Verlag S. Fischer - im Roman heißt er Paternoster - ins Visier der Nazis geraten war.

Julius Meier-Graefe (1867 - 1935) war eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im deutschen Kunstbetrieb der Kaiserzeit und der Weimarer Jahre, ein Vorkämpfer des Impressionismus, zumal des französischen. Kenner seines Werks wussten von diesem letzten Roman, dessen Manuskript im Deutschen Literaturarchiv Marbach lagert, doch auch bei einer Großnichte, die es jetzt der Verlegerin Eva C. Schweitzer zur Verfügung stellte.

Man darf trotz des vom Autor gewählten Titels „Der Kampf ums Schloss“ nicht allzu viel Dramatik erwarten, es sei denn, man wertet jeden Streit zwischen Mieter und Vermieter als Kampf. Dessen Objekt ist zudem kein Schloss im eigentlichen Sinne, vielmehr ein großbürgerliches, recht heruntergekommenes Landhaus, das noch heute existiert, wie übrigens auch Meier-Graefes Wohnhaus in Berlin-Nikolassee.

Kein Kampf also wird vor dem Leser entworfen, aber doch ein langwieriges Fingerhakeln zwischen dem geschäftstüchtigen Hausbesitzer Grosjean und seinem kunstbeflissenen, zuletzt obsiegenden und seinen Alltag mit viel Ironie schildernden Ich-Erzähler. Dieser stets leicht spöttische Ton macht den eigentlichen Reiz des Buches aus, das mehr eine amüsante Schilderung des südfranzösischen Lebens eines Zugereisten als ein wirkliches Drama schildert. Der schon angesichts der wachsenden deutschen Exil-Gemeinde sich zunehmend verdüsternde historische Horizont scheint zwar immer wieder durch, zum direkten Thema wird er nicht.

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