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Schlossplatz: Historische Amnesie

Was passiert mit der leeren Fläche zwischen Fernsehturm und Spree? Ein Architekten-Workshop im Neuen Stadthaus.

Der Ort könnte kaum besser gewählt sein. Mit einem Blick aus den Fenstern des Neuen Stadthauses in der Parochialstraße sieht man sofort das ganze Elend dessen, was einmal die Berliner Altstadt gewesen war. Das Stadthaus selbst versucht noch mit vermoosten Terrassen, auf denen verschämt ein paar Stühle stehen, ein architektonisches Angebot an eine urbane Öffentlichkeit zu machen – doch die kann nicht mehr antworten: Sie ist gar nicht mehr da. An ihrer Stelle ein öder Parkplatz, dahinter die Grunerstraße, breiter als manche Autobahn, mitten durch den Kern der Stadt geführt. Sie begräbt 700 Jahre Stadtgeschichte unter sich.

Hier, im Otto-Suhr-Saal, wo sonst die Bezirksverordnetenversammlung von Mitte tagt, lud die Hermann-Henselmann-Stiftung am Freitag zum vierten Mal zu einem städtebaulichen Workshop mit dem Titel „Das Berliner Rathausforum“ – der Versuch, einen Namen für ein Gebiet zu etablieren, das keinen Namen hat. Es geht um die riesige leere Fläche zwischen Fernsehturm und Spree, die von Marienkirche, Neptunbrunnen und Marx-Engels-Denkmal notdürftig gegliedert wird. Es ist ein Symbol für die historische Amnesie dieser Stadt, denn hier befand sich einst ihr Herz.

Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall ist das Areal weitgehend unverändert, während über andere Orte wie Alexanderplatz, Potsdamer Platz und Schlossplatz heftigste stadtplanerische Diskurse geführt wurden. Damit wird eine bemerkenswerte Tradition fortgeführt. Denn wie Harald Bodenschatz, Professor für Architektursoziologie an der TU, ausführt, hat sich die jeweils herrschende Klasse nie für das Gebiet der Berliner Altstadt interessiert, sich dafür sogar geschämt. Berlin war im Mittelalter eine unbedeutende märkische Residenzstadt, weit abgelegen vom karolingischen Kernraum des Reiches. Wo regional die Musik spielte, kann man noch heute an den großen Domen von Magdeburg und Brandenburg an der Havel ablesen.

Mit der Erhebung Preußens zum Königreich 1701 war der Zustand für die Hohenzollernfürsten unerträglich geworden. Eine repräsentative Stadt musste her, die sich mit den Zentren anderer europäischer Reiche messen konnte. Sie entstand ausschließlich westlich des Schlosses entlang der preußischen „Via Triumphalis“, des Boulevards Unter den Linden – auf dem Stadtplan sieht das noch heute aus wie eine Flucht vor der Enge der Altstadt. Das Kaiserreich schaffte nur einen bedeutenden Durchbruch, die Kaiser-Wilhelm-Straße, Vorläufer der heutigen Karl-Liebknecht- Straße.

Die DDR erbte das historische Zentrum, konnte aber damit genauso wenig anfangen wie ihre feudalen, republikanischen oder nationalsozialistischen Vorgänger. Der Wiederaufbau Ost-Berlins begann von den Rändern her, an der Stalinallee, und war erst Mitte der sechziger Jahre im Kern angelangt. Da waren die materiellen Ressourcen und Ideen weitgehend aufgebraucht.

Das Planwerk Innenstadt von 1999 sparte diesen Bereich noch aus. Als nun zehn Jahre später der ehemalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann die Debatte um die Zukunft des Areals mit seinem Buch „Die Berliner Altstadt – Von der DDR-Staatsmitte zur Stadtmitte“ in Gang zu bringen versuchte, schlug er im Frühjahr vor, die Bebauung an den historischen Parzellen zu orientieren.

„Das muss ganz schön für Unruhe gesorgt haben“, sagt Bernd Albers, Co-Autor des Planwerks und ebenfalls Referent auf dem Workshop der Henselmann-Stiftung, „das sieht man ja an Versammlungen wie dieser, die von Stimmanns Gegnern einberufen werden, obwohl es gar keine politische Mehrheit in der Stadt für seine Vorschläge gibt.“ Tatsächlich hat der Senat am 7. Juli dieses Jahres beschlossen, den Charakter des Gebietes nicht grundsätzlich zu verändern, sondern es „grüngeprägt“ zu belassen und nur punktuelle Verbesserungen durchzuführen.

Auf dem Workshop fiel Architekturkritiker Bruno Flierl die Aufgabe zu, die DDR-Sicht darzustellen: dass man das Schloss natürlich nicht abgerissen, sondern nur nicht wieder aufgebaut hätte, dass der Palast der Republik eigentlich die „Negation der Negation des Schlosses“ war, dass er, anders als dieses, von überallher gut zu sehen war – was nicht verwundert, nachdem man vorher die komplette Altstadt abgerissen hatte. Als Bernd Albers noch einmal den von ihm gemeinsam mit Stimmann verfassten Bebauungsplan vorstellt, die Fixierungsfantasien auf den Fernsehturm kritisiert, die wehrhaften Anbauten als „operettenhaft“ und die freigestellte und tiefer gelegte Marienkirche als „Brosche“ bezeichnet, erntet er wütende Kommentare von Anwohnern („primitiver Mensch“). Die Bitten eines ansonsten vergnüglich aufgelegten Moderators Thomas Flierl, sich doch nicht auf die immergleichen Konfrontationen einzulassen, helfen wenig. Ein Anwohner preist das Gebiet mit dem Argument, sogar Touristen aus Nordrhein-Westfalen seien entzückt darüber, was man hier alles sehen könne.

„Das haben Touristen nun einmal so an sich“, sagt der Berliner Architekt Hildebrand Machleidt, der schon in den neunziger Jahren eine Verdichtung des Gebietes bei gleichzeitiger Beibehaltung eines schmaler gewordenen grünen Raumes vorgeschlagen hat. Er ist einer der wenigen, die die Position von Stimmann und Albers vertreten, spricht von der „ikonographischen Figur“ der Altstadt als Wertgegenstand und Additionszustand von 700 Jahren Stadtgeschichte. „Wir reden ja nicht nur über das 19. Jahrhundert, sondern über viel tiefere historische Schichten.“

Doch bei der abschließenden Rede von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher geht es um politisches Schwarzbrot. Ihre wichtigste, wenn nicht ihre einzige Vision besteht darin, nichts zu tun, die Zeit verstreichen zu lassen, alles ein bisschen aufzuhübschen und manche Ausgrabungen in „archäologischen Fenstern“ erlebbar zu machen. Das mögen auch die Touristen aus Nordrhein-Westfalen.

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