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Frauen, die ausschließlich über Männer reden. Gibt es auch 2020 noch. Beispielsweise im Wettbewerbsbeitrag "The Woman Who Ran".

© Jeonwonsa Film Co. Production

Hauptprogramm im Bechdel-Test: Schluss mit den immergleichen Männerfantasien!

Von Cate Blanchett bis Hillary Clinton ist MeToo Thema auf der Berlinale. Aber in den Filmen vermisst man andere Frauenbilder. Ein Kommentar.

Wie ist es denn dieses Jahr mit MeToo auf der Berlinale, und was sagen sie auf dem Festival zum Schuldspruch Weinstein-Prozess? Das wird man diese Woche öfter gefragt. Zu Weinstein haben sich auf den Podien der Filmfestspiele prominente Frauen geäußert.

Hillary Clinton fand, es sei „Zeit für eine Abrechnung“ gewesen; Cate Blanchett betonte, es gehe nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit – und um die überfällige Aufarbeitung der Machtverhältnisse in Hollywood.

Die US-Regisseurin Kitty Green forderte bei der Vorstellung ihres vom Weinstein-Skandal inspirierten Films „The Assistant“ wiederum, es müsse mehr Filme über Frauen geben. Vor allem andere Filme.

„Der Fokus muss nicht mehr auf den bösen Männern liegen“, sagte sie. Guter Punkt.

Ein Blick auf das fast vollständig präsentierte Hauptprogramm zeigt allerdings, dass die 70. Berlinale ein gutes Stück davon entfernt ist, diese Forderung zu erfüllen.

Fünf von 18 Wettbewerbsbeiträgen stammen von Regisseurinnen, ein sechster von einem gemischten Team. Keine tolle Quote, aber eine akzeptable – bei nur 31 Prozent Frauenfilmen unter den eingereichten Titeln.

Ärgerlicher sind Bären-Kandidaten wie Phillippe Garrels „Le sel des larmes“. Darin stößt der Held auf seinem unaufhörlichen Beutezug nach Amouren entweder auf Frauen, die sich züchtig kopftuchtragend dem Sex verweigern oder sich gerne vor aller Augen duschen. Im Zweifel bei offenem Fenster, damit die Kamera nichts verpasst.

Oder Abel Ferrara, in dessen Psychotrip „Siberia“ fast sämtliche Frauen nackt auftreten. Klar, es geht um Männerfantasien, aber ey, im Kino gibt es die längst bis zum Überdruss.

Oder Hong Sang-soos Wettbewerbsbeitrag, in dem man Menschen beim Miteinanderreden zuschaut, wie immer bei dem koreanischen Autorenfilmer. Niemand sonst seit Eric Rohmer kann das derzeit so schön filmen wie wie Hong Sang-soo. Aber warum reden die Protagonistinnen von „The Woman Who Ran“ fast ausnahmslos über Männer?

Dass unsereins andere Themen oft aufregender findet, dürfte sich doch auch in Korea herumgesprochen haben. Den guten alten Bechdel-Test, mit dem sich Geschlechterklischees überprüfen lassen, besteht „The Woman Who Ran“ jedenfalls nicht. Denn zu den zentralen Testfragen gehört eben diese: Ob die Frauen im Film über etwas anderes reden als über Männer.

Tiefpunkt ist „Dau. Natasha“

Oder „The Trouble of Being Born“ in der neuen Wettbewerbsreihe „Encounters“. In dem Arthouse-Science-Fiction-Film geht ein Mann mit einem speziell für ihn programmierten Androiden-Mädchen seiner pädophilen Neigung nach, ohne dass der Film sich dem äußerst heiklen Thema gewachsen zeigte. Regisseurin ist übrigens eine Frau, die Österreicherin Sandra Wollner.

Fall Nummer fünf: „Dau. Natasha“. Dem als obsessives Genie gehandelten Regisseur Ilya Khrzhanovskiy wird von ehemaligen Mitarbeiterinnen des gigantomanischen „Dau“-Projekts manipulatives, ausbeuterisches Verhalten vorgeworfen.

„Ich bin Feministin, aber es war schwer, sein Spiel nicht mitzuspielen“, sagte eine junge Frau zuletzt in der „taz“. Sie hatte bei Dau mitgearbeitet und will anonym bleiben.

Im Film quält und foltert ein „echter“ ehemaliger sowjetischer Geheimdienstler die Titelheldin, eine Laiendarstellerin. Sie wird gezwungen, sich eine Cognacflasche in die Vagina einzuführen.

Auf der Pressekonferenz verneint Natalya „Natasha“ Bereshnaya jeden Zwang. Sie seien sich immer dessen bewusst gewesen, was sie tun. Aber warum kanzelt Khrzhanovskiy seinerseits zwei Journalistinnen ab, die nach der Kritik an seiner Arbeitsweise fragen?

Die anonymen Äußerungen von Ex-Mitarbeiterinnen vergleicht er gar mit politischer Denunziation. Und das zwei Tage nach dem Schuldspruch für Harvey Weinstein in New York.

Keiner sollte für Machtmissbrauch gefeiert werden

In der Filmwelt, ja in der gesamten Kulturbranche sollte spätestens mit diesem Urteil endgültig klar sein, dass Missbrauch, Machtmissbrauch, Demütigung und Manipulation in der Kunst nichts zu suchen haben. Auch dann nicht, wenn Menschen sagen, sie hätten sich freiwillig unterworfen.

Gewalt, die nur stattfindet, damit ich als Zuschauerin sie sehen kann? Nein danke.

Es gab und gibt Machtmissbrauch in der Kultur, es wird ihn weiter geben. Aber kein vermeintliches oder tatsächliches Genie sollte dafür auch noch gefeiert werden.

Carlo Chatrian, der neue künstlerische Direktor der Berlinale, war „unglaublich begeistert“ von „Dau“, hatte aber auch Bedenken, wie er im Radio sagte. Offenbar war die Begeisterung stärker.

Ist Chatrian bei den Frauenbildern im Kino unsensibler als sein Vorgänger Dieter Kosslick? Sehr wahrscheinlich nicht. Es ist die eigene Wahrnehmung, vielleicht auch die der gesamten Öffentlichkeit, die noch empfindlicher auf solche überkommenen Bilder reagiert als zuvor.

Nichts gegen gute Filme über böse Männer. Aber allmählich sollte die vielbeschworene Sensibilisierung durch MeToo auch andere Früchte tragen. Ein Wettbewerb, in dem Filme wie Kelly Reichardts „First Cow“ und Eliza Hittmans „Never Rarely Sometimes Always“ mit tatsächlich anderen Frauen- und Männerbildern nicht mehr die Ausnahme sind, sondern die Regel – das wäre ein Traum.

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