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Kultur: Schön war die Zeit

Die DDR lebt: Ostalgie-Shows auf allen Kanälen. Warum sind sie so beliebt? Wieso gerade jetzt? Und gibt es nicht längst auch eine Westalgie-Welle? In einer ungemütlichen Gegenwart wärmen wir uns gerne an der Erinnerung

Heute Abend wird die Ostalgie-Welle mit der „ultimativen Ost-Show“ auf Sat 1 neuen Höhepunkten entgegenstreben. Die Moderatoren heißen Axel Schulz und UIrich Meyer. Es gibt jetzt vier konkurrierende Ost-Shows. Im Kino liefen „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin!“: zwei große Ostalgie-Erfolge! Und im „Spiegel“ steht eine Anzeige für Club-Zigaretten, Slogan: „Erichs Patenkind“.

Der ostdeutsche CDU-Politiker Günter Nooke hat dazu öffentlich eine Frage gestellt: Was wäre das für ein Geschrei, wenn nicht Kati Witt eine DDR-Show moderieren würde, sondern Johannes Heesters die „Ultimative Drittes-Reich-Show“? Dazu ist zu sagen: Heesters hat genau diese Show gemacht. Sie wurde bloß nicht offiziell so genannt.

Die Heesters-Show ist praktisch die ganzen Fünfzigerjahre hindurch gelaufen. Nach 1945 sind sie ja alle recht schnell wieder da gewesen, Heesters, Rühmann, Zarah Leander, Max Schmeling, all die Idole des Alltags. Sie blieben Helden. Der Bruch in der Alltagsästhetik, in den Umgangsformen, in der Sprache der Unterhaltungskünste, des Films, des Radios, in der Mode, in den kleinen Ritualen des Lebens war nach 1945 deutlich weniger krass als nach 1989 im Osten.

Deutschland roch und schmeckte noch fast genauso. Es gab die seelischen und äußerlichen Kriegsfolgen, aber der Alltag war etwas, woran man sich halten konnte. Heesters blieb Heesters. Und die Politik? Mit der Aufarbeitung der deutschen Schuld begann man bei uns bekanntlich eher schleppend. Es war nicht so, dass alle paar Wochen ein Idol mit der Auflistung seiner Schandtaten in der Zeitung stand, so, wie es nach 1989 mit den meisten Ostidolen passiert ist.

Noch in den Siebzigerjahren vertrat ein westdeutscher Spitzenpolitiker, Ministerpräsident Hans Filbinger, die These: Das, was 1945 geltendes Recht gewesen sei, könne doch heute nicht einfach als Unrecht gelten. Die Empörung über diese Äußerung war groß – aber es war immerhin eine Idee, auf die einer kommen konnte, damals im Westen. Nach 1945 haben die Westdeutschen die „Ultimative Drittes-Reich-Show“ nicht gebraucht. Sie haben sie einfach gelebt.

Die Ostdeutschen bekamen 1989 eine kollektive Strafe aufgebrummt, unabhängig von individueller Schuld oder Unschuld. Sie lautete: Vernichtung von Alltagserfahrung. Entwertung von Erinnerung. Die Vergangenheit verblasste nicht allmählich, wie normalerweise im Leben, sondern wurde im Eiltempo ausradiert.

Dass man mehr Wohlstand und mehr Freiheit bekam, hat den Schmerz ganz sicher gelindert. Verschwunden ist er aber nicht. Man sollte deshalb milde sein, wenn jetzt im Fernsehen die trivialen, beknackten, unterirdisch niveaulosen Ost-Shows laufen. Manchmal setzt sich jeder von uns an den Fernseher, und es läuft eine Kindheitserinnerung, vielleicht „Lassie“, vielleicht „Miss Marple“. Man schaut es an, es ist beknackt, aber es wärmt das Herz, und gegen ein warmes Herz ist nichts zu sagen.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen: was für ein hochfahrender Satz. Von Adorno. Ein Satz für Gesinnungsriesen. In einem Unrechtsstaat darf man nicht glücklich sein? Die Leute sind nun mal anders. Sie sehen im Fernsehen Krieg und Krisen, danach schalten sie auf „Wetten dass“ und beißen in ein Schnitzelbrot. Dabei sind die meisten Leute keineswegs herzlos. Ab einem bestimmten Maß an Sensibilität wird man aber wahrscheinlich lebensuntüchtig. Davon hat auch keiner was.

Leander Haußmann, DDR, Regisseur der „Sonnenallee“, sagt: „Man will sich nicht laufend an die schlechten Sachen erinnern. Man möchte ja ein schönes Leben gehabt haben, wenn man mal stirbt.“ In dem gleichen Interview, ein paar Zeilen später, sagt er: „Das System war das Grauen. Ich habe es gehasst.“ Es hat nicht viel Sinn, DDR-Nostalgie und DDR-Unrecht verbittert gegeneinander auszuspielen. Die Leute versuchen eben, unter allen Umständen, glücklich zu sein. Sie suchen, obwohl es angeblich nicht geht, im falschen Leben nach dem richtigen.

Gleichzeitig mit der Ostalgie gibt es auch eine Westalgie, die sich in einer Welle von Siebzigerjahre-, Achtzigerjahre- und Neunzigerjahre-Shows ausdrückt oder in Bestsellern wie „Herr Lehmann“ von Sven Regener. „Herr Lehmann“ beschreibt das West-Berliner Lebensgefühl Ende der Achtzigerjahre. Demnächst kommt die Verfilmung in die Kinos, Regie: Leander Haußmann. Ein Ostdeutscher führt Regie in einem Werk über das Ende von West-Berlin: Auch „Herr Lehmann“ wird als ein Stück mentaler Wiedervereinigung empfunden werden, wie schon „Good Bye, Lenin!“.

Westalgie ist in der Regel ironisch. Ostalgie ist es weniger. Für die Westler ist Erinnerung ein sentimentaler Luxus, für die meistens Ostler tut es wahrscheinlich ein bisschen weh. Die Ernsthaftigkeit der Ostdeutschen und die unverbindliche Ironie der Westdeutschen – diesen Unterschied konnte man schon in den Neunzigerjahren bemerken. Jetzt, in der Nostalgiewelle, wiederholt es sich: Es ist eben sehr schwierig, ironisch zu trauern.

Der Westen brauchte 20 Jahre, von 1949 bis zur Apo. Im Osten dauerte es 13 Jahre, vom Untergang bis zur Ostalgie. Eine ähnliche Inkubationszeit.

Wo liegt die gemeinsame Wurzel von Ostalgie und Westalgie? Die nahe liegende Erklärung: Damals war die Welt noch geordnet. Sie schien verständlicher zu sein. Nicht alles war gut, vieles war sogar schlecht, aber die Verhältnisse waren wenigstens stabil. Man konnte sich auf sie einstellen. Die Zukunft lag nicht im Dunkeln, so wie heute. Man glaubte damals, die Zukunft zu kennen. Sie würde so ähnlich sein wie die Gegenwart.

Die Filme und die Shows haben allerdings auch mit der großen Verwandlung zu tun, der Verwandlung der ganzen Welt in Pop. Die Politik ist Pop geworden, spätestens seit Präsident Clinton. Seit „Superstars“ und „Big Brother“ ist auch dem Letzten klar, dass er oder sie ein potenzieller Popstar ist. Und jetzt werden eben auch die Biografien und die Geschichte zu Pop. Sie sind Songs, optische Signale, Image. Sie sind Inszenierungen. Man kann die DDR so inszenieren oder auch anders, es kommt ganz auf den Regisseur an. Marianne Birthler hat halt eine andere Handschrift als Kati Witt. In der Birthler-Show kommen ein paar harte Knastszenen vor, in der Witt-Show stehen Sport und Erotik im Vordergrund. Geschmackssache. DDR, BRD, Witt, Stasi, letztlich ist alles Material.

Indem die Dinge zu Pop werden, werden sie trivial, das Böse verliert dabei seine Kraft und das Gute seinen Zauber. Pop ist der große Gleichmacher. Wenn die Leute zum Beispiel anfangen, T-Shirts mit dem Papst zu tragen, ist die Kirche wirklich am Ende. Sogar Hitler ist schon beinahe Pop. Bewundernswert an unserem System ist der starke Magen, der Kapitalismus verdaut alles. Im Moment verdaut er die DDR.

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