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Liederreich. Sebastian Krämer wurde 1975 in Ostwestfalen geboren.

© Christian Biadacz

Sebastian Krämer in der Bar jeder Vernunft: Spuk im Wackelpeter

Selbstbeweihräucherung? Nö. Die Jubiläumsshow „25 Lieder aus 25 Jahren“ von Sebastian Krämer in der Bar jeder Vernunft.

Best-of-Programme gehören eigentlich verboten. Da geht ja mangels frischen Liedguts der ganze Überraschungseffekt flöten. Es fehlt die große Frage, was es wohl ist, dass den Künstler in seiner derzeitigen Schaffensperiode umgetrieben und wie er sich musikalisch entwickelt hat. Nimmt man in Sebastian Krämers Jubiläumsshow „25 Lieder aus 25 Jahren“ den Opener „Annalena“ aus dem Jahr 1995 als Referenz, lässt sich trotzdem sagen: gut.

Gefühlte zehn Minuten führt der Sänger das von Hölzchen zu Stöckchen führende Parlando eines Beziehungsknatschs in Knittelversehen aus und spielt dazu Ukulele auf der Geige. Die Übung in Understatement zeigt, dass der lakonische Wortwitz des viel geliebten und hochdekorierten deutschen Musikkabarettisten früh voll auf der Höhe war, wogegen es am musikalischem Bogen noch heftig gebrach. „Und das war erst ein Lied“, bedroht der Krawattenmann das Publikum, „das macht auch mir Angst“. Auf Zuruf darf die Fangemeinde des 1975 geborenen Berliners aus Ostwestfalen zur Feier des Tages die Hitliste mitbestimmen. Sein Kommentar zum unzulässigen Wunsch „Stairway to Heaven“ fällt dann so aus: „Auch Lieder, die nicht von mir sind, gehören zu den besten der Welt.“

Alles wirkt improvisiert

Erst vor einem halben Jahr hat Sebastian Krämer im Heimathafen Neukölln in großer Orchesterbesetzung das Programm „Im Glanz der Vergeblichkeit“ zelebriert. Diesem großen Abend schimmernder Moll-Melodien stellt er jetzt das kleine Kabarettistenseele entgegen. Die Moderationen, der Gesang, das reichlich rumpelnde Flügelspiel – alles wirkt trotz extra angelegtem Notenbuch improvisiert. Bloß keine Selbstbeweihräucherung! Dabei gäbe es für die angesichts des überbordenden Reichtums seiner Chansons jeden Grund.

Von den Moritaten und Schauerliedern des späten Romantikers geht auch diesmal ein ganz eigener Zauber aus. „Die Ballade vom Busfahrer Bodo“, mit der Bodo Wartke 2001 den Bundeswettbewerb Gesang in der Sparte Chanson gewonnen hat, datiert von 1997. Komponist und Dichter Krämer beherrscht sie auch noch gut. Acht Jahre jünger ist „Zackebuh“, das von einem Geist erzählt, der böse Buben, schlechte Menschen und zuletzt gar das Publikum durch die Wand entführt. „Und ich sitz’ hier und mach’ weiter mein Zeuch – nur ohne euch.“

Bloß nicht, Herr Chansonnier! Wer sollte sonst in Zukunft so weh, wach und witzig über Fensterkreuzschatten, Flötenunterricht, Gewitter und Giraffen singen? Und Zeilen texten wie „Sehnsucht ist gemein, wir fallen immer wieder auf sie rein“. Ganz zu schweigen vom schmissigen Zugabe-Vers, der am Ende des gut zweistündigen Potpourris fordert, dass in den Wackelpeter viel mehr Kokain gehört.

bis 2. Juni, 20 Uhr. Am 3. Juni um 19 Uhr: „Krämers Club Genie und Wahnsinn“ mit Bodo Warnke, Doha Kehr, Tim Fischer

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