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Sam Rockwell als Inspektor Stoppard und Saoirse Ronan als Constable Stalker.

© dpa

„See How They Run“ im Kino: Der Mörder ist immer der Inspektor

In „See How They Run“ jagen schrullige Polizisten einen Täter, der im Theater zuschlägt. Liebevoller wurde Agatha Christie noch nie parodiert.

Tote schlafen fest? Nicht immer, jedenfalls im Kino. Billy Wilders Film noir „Sunset Boulevard“ beginnt mit einer Einstellung, in der ein von William Holden gespielter Drehbuchautor tot in einem Swimmingpool treibt. Aus dem Jenseits erzählt er, wie er ums Leben kam. In der Kriminalkomödie „See How They Run“ ergreift nun wieder ein Toter das Wort. Der Film spielt 1953 in London, drei Jahre, nachdem „Sunset Boulevard“ herauskam.

US-Regisseur Leo Köpernick (Adrien Brody), der auf Hollywoods Schwarzer Liste steht, will Agatha Christies Drama „Die Mausefalle“ verfilmen. Dazu kommt es nicht, weil er erschlagen wird. Der Mörder platziert die Leiche auf einem Sofa im Bühnenbild des Westend-Theaters, wo man in dieser Nacht die hundertste Aufführung des Stücks feiert.

Zuvor war der angetrunkene Filmemacher auf der Party mit Theaterstar Richard Attenborough (Harris Dickinson) aneinandergeraten, was mit einem Faustkampf und dem Sturz in die mehrstöckige Torte endete. Aus dem Off hatte Köpernick über das „zweitklassige“, sehr britische Genre des Whodunit-Krimis gelästert: „Hast du einen gesehen, kennst du alle“. Als Toter muss er nun zähneknirschend über die Umstände seines Ablebens feststellen: „Ich fürchte, es ist ein Whodunit“.

„See How They Run“, inszeniert vom britischen Regisseur Tom George, ist die liebevollste Parodie eines Agatha-Christie-Krimis, die man sich vorstellen kann. Natürlich stimmt, was Raymond Chandler über ihre Bestseller gesagt hat: Sie ähneln Kreuzworträtseln, sind schematisch aufgebaut und werden auf Dauer fade. George, der mit der BBC-Courtroom-Serie „Defending the Guilty“ bekannt wurde, hält sich in seinem ersten Kinofilm strikt an die Christies dramaturgische Regeln und ironisiert sie trotzdem.

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Verdächtig ist grundsätzlich wie bei Agatha Christie auch bei George jede auftretende Figur. Solange, wie sie noch am Leben ist. Denn es bleibt niemals bei einem Toten. Und am Ende versammeln sich alle Beteiligten an einem Ort, wo der Täter von einem Meisterdetektiv oder einer Meisterdetektivin überführt wird.

„See How They Run“ muss ohne Hercule Poiret oder Miss Marple auskommen, hat dafür aber Inspector Stoppard und Constable Stalker. Meisterhaft agieren sie nicht, jedoch hartnäckig. Stoppard (Sam Rockwell), ein zerknautschtes Männchen, fährt in einem babyblauen, sehr kleinen Kleinwagen zum Tatort und behauptet zum Zahnarzt zu müssen, wenn er im Pub Bier trinken möchte. Stalker (Saoirise Ronam) bereitet sich auf die Inspector-Prüfung vor und schreibt bei den Ermittlungen vor allem das Unwichtige in ihren Block, was sich später manchmal als nützlich erweist.

Mantra der Belehrung

Stoppards mantraartig wiederholte Belehrung, bloß keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, wird von ihr konsequent ignoriert. Immer wieder glaubt Stalker, den Fall gelöst zu haben, ständig möchte sie jemanden verhaften. Zwischendurch ist sogar Stoppard ihr Hauptverdächtiger. Zu viel soll nicht verraten werden, aber in Christies Theaterstück „Die Mausefalle“ ist bekanntlich der Polizist der Mörder.

Auf Plausibilität kommt es in diesem Puzzle-Krimi nicht an, wichtig ist, dass die Pointen sitzen. Und das tun sie. Tom George bringt die Whodunit-Mechanik ins Laufen, sie ächzt und stottert und schlägt komische Funken. Dass der Film ein großes Vergnügen ist, liegt aber auch am Spielwitz der Darstellerinnen und Darsteller, die aus jeder Knallcharge eine Charakterstudie machen.

Melancholie und Sexismus

Wenn Adrien Brody als stark angeheiterter Regisseur von seiner G.I.-Zeit im London des Zweiten Weltkriegs schwärmt, in der „die Mädchen bei jedem amerikanischen Akzent ausflippten“, spricht daraus neben purem Sexismus auch die Melancholie eines Mannes, der in McCarthy-Ära keine Chance mehr hat.

(In neun Berliner Kinos, auch OmU)

„See How They Run“ ist gespickt mit Anspielungen auf die britische und amerikanische Kinogeschichte. Eigentlich war Grace Kelly für die Verfilmung der „Mausefalle“ eingeplant, aber sie hat abgesagt, weil Hitchcock sie für „Dial M for Murder“ engagierte.

Der Produzent (Paul Chahidi) erzählt Anekdoten über seine Arbeit mit Humphrey Bogart und John Huston an „African Queen“. Und ein Streit zwischen Regisseur Köpernick und dem Adaptions-Autor Cocker-Norris (Davis Oyelowo) eskaliert derartig, dass sie das Drehbuch in zwei Stücke reißen.

Köpernick hat mit einem akribisch gezeichneten Storyboard das Finale des „Mausefallen“-Films geplant. Eine wilde Verfolgung, Schüsse fallen, Rettung naht. Fast genauso endet „See How They Run“. Alle Figuren kommen in Wallingford zusammen, auf dem Landsitz von Agatha Christie in der Nähe von Oxford. Doch Köpernick fehlt. Er ist ja schon tot.  

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