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Kultur: Sein Wille geschehe

Tod als Erlösung: Alejandro Amenábars Euthanasie-Melodram „Das Meer in mir“

Der Tod: ein sanftes Hinübergleiten, nichts, wovor man sich zu fürchten hätte. Es ist ein heißer Tag am Strand, so heiß, dass Ramón Sampedro leichtsinnig wird. Er stürzt sich per Kopfsprung von einem Felsen ins Wasser und schlägt hart auf. Bewusstlos schwebt er zwischen Leben und Tod, sein Atem wird immer langsamer und setzt schließlich ganz aus. Es sind die betörendsten Bilder in Alejandro Amenábars Film „Das Meer in mir“: der athletische Körper des jungen Mannes, eingehüllt in das Azurblau des Elements, darüber das Glitzern der Sonne, die sich auf den Wellen bricht. Ein schöner Tod. Dann greift eine Hand nach dem Körper, reißt ihn nach oben. Und Ramón muss zurück ins Leben.

Als der Film beginnt, liegt der Unfall mehr als ein Vierteljahrhundert zurück. Ramón ist seit dem fatalen Sprung querschnittsgelähmt. Aus dem athletischen Jungen ist ein vom Hals an bewegungsunfähiger Mann von 55 Jahren geworden, angewiesen auf die Pflege seiner Verwandten. „Das Meer gab mir das Leben und es hat es mir genommen“, sagt er, ein lakonischer Satz, angefüllt mit Trauer und Schmerz. Bis zum Unfall hatte Ramón als Seemann gearbeitet und dabei die ganze Welt gesehen. Jetzt lebt er im Haus seines Bruders, einem ärmlichen Bauernhof im galizischen Hinterland. Sein Zimmer hat er seit Jahren nicht mehr verlassen. Ein klaustrophobisches Dasein, am Anfang schwebt die Kamera durch den Raum und zeigt, was Ramón von der Welt geblieben ist: Buchregale, Familienfotos, ein Plattenspieler, auf dem er die geliebten Puccini- und Wagner-Opern spielt. An guten Tagen, versichert er, könne er das Meer riechen.

„Das Meer in mir“, im letzten Jahr in Venedig mit einem Silbernen Löwen und vor zehn Tagen mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film dekoriert, gehört Javier Bardem. In Pedro Almodóvars Melodram „Live Flesh“ hatte der spanische Star schon einmal einen Querschnittsgelähmten gespielt, einen Polizisten, der nach einem Schusswechsel im Rollstuhl saß und es bis zum Meistertitel im Behindertensport brachte. Ramón wirkt wie der Gegenentwurf dieses Polizisten: Den Kampf, am Leben der anderen teilhaben zu können, hat er aufgegeben, er kämpft nur noch darum, sterben zu dürfen. Die Jahre in der Einsamkeit seines Zimmers haben ihn zum Quasi-Philosophen gemacht, zum Spötter, der seine Verzweiflung in Zynismus kleidet. Mitleid weist er zurück, eine Besucherin (Lola Duenas), fährt er an: „In Wirklichkeit bist du gekommen, um deinem eigenen Leben einen Sinn zu geben.“

Ramón kann nur noch den Kopf bewegen, seine Hände sind hilflos verkrallt, der Körper mit dem geschwollenen Brustkorb ist für ihn bloß ein „nutzloses Stück Fleisch“. So spielt sich das ganze Drama in Bardems Gesicht und auf seinen Lippen ab. Es wird viel geredet in diesem Film, wie in einer Boulevardkomödie lässt Regisseur Amenábar die Tür im Zimmer des Gelähmten immer wieder aufklappen und schiebt ihm immer neue Nebenfiguren ans Bett. Eine Juristin (Clara Segura) von der Gesellschaft „Recht auf Würdiges Sterben“ will Ramón vor Gericht vertreten, die Schwägerin (Mabel Rivera) pflegt ihn aufopfernd, sein Neffe (Celso Bugallo) guckt mit ihm Fußball, sogar ein ebenfalls gelähmter Priester kreuzt auf – ein grotesker Auftritt –, um ihn vom Freitod abzubringen. „Briefe aus der Hölle“ heißt das Buch, das Ramón mit Hilfe einer selbstkonstruierten Schreibvorrichtung verfasst. Doch von dieser Hölle erfährt man wenig, der Schmerz des Helden geht im unablässigen Geplapper der Dialoge verloren.

Am stärksten ist der Film, wenn er sich ganz auf seine Bilder verlässt. Dann steigt Ramón aus seinem Bett, nimmt Anlauf und stürzt sich aus dem Fenster, kann plötzlich fliegen. Momente von surrealer Schönheit, die an Amenábars Mystery-Erfolge „Open Your Eyes“ und „The Others“ erinnern. Ramón Sampedro hat tatsächlich gelebt, von 1943 bis 1998, sein Kampf für den eigenen Freitod wühlte Spanien tief auf. Als er juristisch gegen den Staat unterlag, besorgte er sich über eine Freundin Zyankali. Der Film endet – wie Sampedros wirkliches Leben – am Meer. Ramón trinkt den Giftcocktail aus einem Strohhalm. Seine letzten Worte spricht er direkt in die Kamera: „Wärme. Ich glaub’, es geht los.“

Broadway, Cinemaxx Potsdamer Platz, Hackesche Höfe, International, Kulturbrauerei, Yorck und Odeon (OmU).

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