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Kultur: Seines Bruders Hüter

Als Abraham Mendelssohn jung war, wurde er überall als der Sohn von Moses Mendelssohn vorgestellt. In späteren Jahren pflegte man ihn zu fragen: "Sind Sie nicht der Vater von Felix Mendelssohn?

Als Abraham Mendelssohn jung war, wurde er überall als der Sohn von Moses Mendelssohn vorgestellt. In späteren Jahren pflegte man ihn zu fragen: "Sind Sie nicht der Vater von Felix Mendelssohn?" Daß er selbst eine Bank gegründet hatte, schien nur seine Kunden zu interessieren. Ähnlich ging es Theo - oder wie er sich in Paris schrieb: Théo - van Gogh. Alle kennen ihn als den Bruder von Vincent, der den um Anerkennung ringenden Maler rührend unterstützte und mit ihm ungewöhnlich lesenswerte Briefe wechselte. Manche wissen vielleicht noch, daß er sechs Monate nach Vincent starb und auf dem bescheidenen Friedhof von Auvers-sur-Oise neben seinem Bruder begraben liegt. Aber nur sehr wenige haben sich Gedanken darüber gemacht, mit welchen Künstlern der Kunsthändler Théo van Gogh denn sonst noch zu tun hatte. Das Van-Gogh-Museum in Amsterdam gibt uns Gelegenheit, unsere Bildungslücke zu schließen.Théo arbeitete bei dem gleichen Unternehmen Goupil Cic, bei dem auch Vincent beschäftigt war, bevor er sich entschloß, selbst Maler zu werden. 1879 wurde er von der Zweigstelle im Haag an den Hauptsitz Paris versetzt, wo er rasch vom Assistenten zum Direktor aufstieg. Nach dem Ausscheiden des alten Goupil nannte sich die Galerie auf dem Boulevard Montmartre Boussod, Valadon & Cie. Hier lernte Théo nun die gesamte Pariser Kunstszene kennen. Für Monet organisierte er eine Einzelschau, doch der geschäftstüchtige Maler wußte sich der Monopolisierung durch einen einzigen Galeristen zu entziehen. Degas, der für seine eigene Gemäldesammlung Geld brauchte, verkaufte ihm die schöne "Dame mit Blumenvase", die heute im Metropolitan Museum hängt, drehte ihm aber auch einige rasch hingeworfene minderwertige Arbeiten an. Nach dem gewalttätigen Streit zwischen Vincent und Paul Gauguin, der damit endete, daß Vincent das Messer gegen sein eigenes Ohr richtete, bemühte sich Théo, mit dem verschreckten Gauguin weiterhin business as usual zu treiben, doch ihre Abmachung - ein Monatshonorar von 150 Francs für zwölf Bilder im Jahr - ließ sich nicht halten. Auch für den schwer verkäuflichen Toulouse-Lautrec setzte sich Théo ein.Dennoch wäre die Annahme ganz abwegig, Théo van Gogh habe sich in weiser Vorausschau nur mit den wahrhaft Großen seiner Zeit abgegeben. Die Galerie, deren Geschäfte er führte, verkaufte alles, was der Markt verlangte. Dazu gehörten die von den Jungen als pompiers (Feuerwehrmänner) geschmähten Salonmaler - Historienschinken, Schlachtenbilder, erotische Szenen im damals sehr populären orientalischen Geschmack. Weniger bemittelte Kunden konnten unter einer großen Zahl von Reproduktionen wählen. Auch unter den Avantgardisten, die in den Geschäftsbüchern von Boussod, Caladon & Cie auftauchen, sind die meisten heute vergessen oder nur noch Spezialisten bekannt. Die Organisatoren der Ausstellung haben glücklicherweise der Versuchung widerstanden, Théo nachträglich zum Propheten der modernen Kunst auszurufen. Daß sie sich mit einer kleinen Auswahl der pompiers begnügen, ist ihnen nachzusehen. Der amüsanteste unter ihnen ist ein "Haremsausflug" von Jean-Léon Gérome: Schwarze Eunuchen rudern verschleierte Damen über den Bosporus. Andere mögen Julien Duprés "Essenszeit" vorziehen - eine Gänseliesel, die ihr Geflügel füttert. Der Gérome wurde von dem Autobauer Walter P. Chrysler erworben, die Gänseliesel hängt heute in einem taiwanesischen Museum. Der Hauptakzent liegt, wie nicht anders zu erwarten, auf den Malern, die der Salon nur mit zugehaltener Nase anfaßte - der Schule von Barbizon, den Impressionisten und Postimpressionisten. Neben den berühmten Namen finden wir auch einige weniger geläufige wie Eugène Carrière, Jacob Maris und Jean-François Faffaelli.Daß sich das Museum den Luxus erlauben kann, die von Théo ge- und verkauften Bilder aufzuhängen, ohne Vincents Bilder abhängen zu müssen, verdankt es der Großzügigkeit der Japaner. Die Japaner haben Vincent van Goghs Liebe zu japanischen Holzschnitten damit vergolten, daß sie ihn unter die Heiligen erhoben. Nur ein Japaner konnte auf den Gedanken kommen, für das Porträt des Dr. Gachet 82,5 Millionen Dollar zu bezahlen und sich damit zu ruinieren. Man kann nur hoffen, daß die japanische Feuer- und Schiffsversicherung Yasuda dadurch, daß sie dem Van-Gogh-Museum einen neuen Anbau schenkte, nicht gleichfalls in Seenot gerät. Der Anbau bringt die Ausstellungsfläche von 2700 Quadratmeter auf 5000, also fast das Doppelte. Entworfen wurde er von dem japanischen Architekten Kisho Kurokawa, einem der führenden Vertreter der "Metabolisten", die die entfesselte Bauwut der japanischen Großstädte durch eine Rückbesinnung auf landeseigene Traditionen humanisieren wollen. In seinen Bauten, darunter mehreren Museen in seiner Heimat, mischen sich futuristische HighTech-Elemente mit aparten geometrischen Formen. Berühmt wurde er 1972 durch das Nakugin-Hotel in Tokio, bei dem er Wohnkapseln an einen Turm montierte.Neben den von außen eher bieder wirkenden, innen aber hellen und luftigen Altbau hat Kurokawa eine angeschnittene Trommel mit einem darüber schwebenden, sanft geschwungenen Tonnendach gestellt. Aus der flachen Seite der Trommel quillt ein fensterloses Tortenstück heraus: Dieser Teil ist als Ausstellungsraum für Zeichnungen und andere lichtempfindliche Objekte gedacht; jetzt sind hier Bilder zu sehen, die Théo persönlich gehören. Um den Altbau nicht zu erdrücken, hat Kurokawa zwei Drittel seines Neubaus unter die Erde versenkt. Die Außenhaut des Neubaus ist mit silbrigem Titan überzogen. Innen herrschen Weiß und Eichenholz vor. Raffiniert die Beleuchtung; sie wurde von den gleichen Pariser Virtuosen installiert, die auch den renovierten Louvre ausleuchteten. Kein Zweifel: Die Wechselausstellungen, denen der Neubau Platz bieten wird, können sich schwerlich einen eleganteren Rahmen wünschen. Die nächste Schau - über das verdächtige Treiben des Dr. Gachet und seines Anhangs - wird hier bestimmt viel besser zur Wirkung kommen als im schäbigen Grand Palais.Das Museum will aber nicht nur Wechselausstellungen bewirten. Es ist auch dabei, seine ständige Sammlung zu erweitern - über seinen Namenspatron hinaus. Soeben hat es einen Böcklin erworben, eine "Schlafende Nymphe, von zwei Faunen belauert". Es ist der erste Böcklin in einem holländischen Museum.

Bis 5. September, täglich 10-18 Uhr. Katalog gebunden 75 Gulden, broschiert 55 Gulden.

JÖRG VON UTHMANN

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