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Der Pianist und Komponist Sergej Rachmaninoff in seiner Villa Senar am Vierwaldstättersee

© Staatsarchiv Luzern

Sergej Rachmaninow in der Schweiz: Haus am See

Jahrelang war er rastlos als Virtuose um die Welt gereist. Dann fand der Pianist und Komponist Sergej Rachmaninow am Vierwaldstättersee einen paradiesischen Ort und baute sich eine Villa. Doch die Idylle währte nicht lange.

Sergei Rachmaninow brauste gern im Affenzahn mit dem Motorboot über den Vierwaldstättersee. Die Strecke von Luzern bis zu seinem Sommerdomizil auf der Halbinsel Hertenstein soll er in sportlichen 15 Minuten zurückgelegt haben. Mitten in der Natur ließ sich der legendäre russische Pianist und Komponist Anfang der 1930er Jahre eine Villa mit Seeblick bauen, bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs blieb sie sein Refugium.

Russland hatte er schon kurz nach Oktoberrevolution 1917 verlassen, denn er sah für sich und seine Familie keine Zukunft unter dem Bolschewisten-Regime. Seitdem führte er das rastlose Leben eines viel beschäftigten Musikers, der von Auftritt zu Auftritt durch Europa und die USA jettete.  

Den Ort, an dem Rachmaninow im Exil wieder Ruhe zum Komponieren fand, erreicht man heute auch mit einem der Passagierschiffe, die täglich auf dem See unterwegs sind. Nach einem kurzen Fußweg vom Schiffanleger landeinwärts taucht hinter Bäumen plötzlich die Villa Senar auf. Ihr Name setzt sich aus den Initialen von Sergei Rachmaninow und seiner Frau Natalia zusammen. Pünktlich zu seinem 150. Geburtstag wurde die Villa Anfang April als Kulturzentrum eröffnet, bei Veranstaltungen ist sie nun öffentlich zugänglich. Auch der weitläufige Park, um dessen Bepflanzung sich der frühere Hausherr höchstpersönlich kümmerte, kann besichtigt werden.  

Das Haus erstrahlt in altem Glanz

Die Luzerner Architekten Alfred Möri und Karl-Friedrich Krebs hatten Senar im avantgardistischen Stil des Neuen Bauens entworfen, die kubischen Formen erinnern etwa an die Waldsiedlung Onkel Toms Hütte in Berlin-Zehlendorf. Mit einem elektrischen Aufzug und einer Ölheizung ausgestattet war das Haus auf dem damals modernsten technischen Stand. Über viele Jahre zeigte sich die Villa im Bauhaus-typischen Weiß, bis sie kürzlich bei einer denkmalgerechten Sanierung ihren ursprünglichen ockergelben Außenanstrich zurückerhielt.  

Die denkmalgerecht sanierte Villa Senar am Vierwaldstättersee.
Die denkmalgerecht sanierte Villa Senar am Vierwaldstättersee.

© Denkmalpflege Kanton Luzern/Priska Ketterer

Drinnen gewinnt man den Eindruck, Rachmaninow habe seine Bleibe erst vor Kurzem verlassen. Nicht nur originales Mobiliar, Porzellan, Familienfotos und andere Erinnerungsstücke sind in den intimen Räumen zu sehen. Auch der überlange Flügel, ein Geburtstagsgeschenk von Steinway, steht weiterhin an seinem Platz im Salon, wo nun regelmäßig Pianisten konzertieren werden. Platz sei hier für maximal 35 Gäste, sagt Andrea Loetscher, seit vergangenem Juni künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Serge Rachmaninoff Foundation, die den Betrieb des Kulturzentrums finanziert. 

Durch hohe Fenster blickt man auf den zwei Hektar großen Park, den See und die Berge im Hintergrund. Als Rachmaninow das Grundstück 1930 kaufte, war ihm diese spektakuläre Sicht zunächst verwehrt. Vor Beginn der Bauarbeiten musste ein hoher Felsen abgetragen werden, den die Nachbarn spöttisch „Gibraltar“ nannten.

„Ich gehe durchs Haus und fühle mich wie ein Millionär“, schrieb er stolz an einen Freund, als die Villa 1934 bezugsfertig war. In jenem Sommer vollendete er rasch seine hochvirtuose Rhapsodie über ein Thema von Paganini, einige Jahre später die von Melancholie durchzogene Dritte Sinfonie.  

Blick in Rachmaninows Arbeitszimmer in der Villa Senar
Blick in Rachmaninows Arbeitszimmer in der Villa Senar

© Denkmalpflege Kanton Luzern/Priska Ketterer

Senar war für Rachmaninow aber nur ein Paradies auf Zeit. Kurz vor Kriegsausbruch ging er im August 1939 wieder ins Exil, diesmal in die USA. Vier Jahre später starb er in Beverly Hills, ohne Russland und seine Schweizer Villa je wiedergesehen zu haben. Jahrzehntelang blieb Senar im Familienbesitz, Rachmaninows Enkel Alexander Conus wollte dort eine Gedenkstätte einrichten. Für den Unterhalt von Villa und Park ist inzwischen der Kanton Luzern zuständig, der die Liegenschaft im Frühjahr 2022 kaufte. Damit wurde ein seit Conus’ Tod 2012 schwelender Streit mit dessen Kindern beilegt.  

Kein leichtes Erbe

Die neuen Eigentümer haben kein einfaches Erbe angetreten. Conus hatte einst den Pianisten Denis Matsuev, der aus seiner Nähe zum Kreml nie einen Hehl machte, als künstlerischen Berater in die Stiftung berufen. Matsuev will nach eigenen Aussagen Wladimir Putin 2013 persönlich einen Ankauf der Villa durch den russischen Staat vorgeschlagen haben. Mit der Abwicklung des Geschäfts sei dann der am Genfer See ansässige Oligarch Gennadi Timtschenko beauftragt worden, sagt Stiftungspräsident Urs Ziswiler, ein ehemaliger Schweizer Botschafter. Als Timtschenko nach Russlands Annexion der Krim 2014 auf die Sanktionsliste der USA kam, waren diese Pläne jedoch hinfällig.  

Blick von der Terrasse der Villa Senar am Vierwaldstättersee.
Blick von der Terrasse der Villa Senar am Vierwaldstättersee.

© Denkmalpflege Kanton Luzern/Priska Ketterer

Einen Tag nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine habe die Stiftung im Februar letzten Jahres alle Kontakte zu Matsuev und staatlichen Institutionen wie dem Nationalen Musikmuseum in Moskau abgebrochen, erklärt Ziswiler. Das bedeute aber nicht, dass nun alle russischen Künstler in „Sippenhaft“ genommen würden. Im Jubiläumsjahr ist ein breitgefächertes Musikprogramm geplant – so wird etwa der Pianist Daniil Trifonov im August in der Villa eine öffentliche Masterclass abhalten.   

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