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Der Stab der Maroons.

© Mike Wolff

Serie zum Humboldt-Forum: Abschied von Dahlem (6): Was die Geister der Ahnen flüstern

Schon fest verpackt für den Umzug ins Schloss: Der Stab der Maroons aus Surinam erzählt von Sklaverei, Missionaren und Voodoo-Kulten in Südamerika.

In den Dahlemer Museen schließen sich langsam die Türen. Ab diesem Montag sind weite Bereiche des Museums für Asiatische Kunst, die Ausstellungssäle der Südsee und der nordamerikanischen Indianer geschlossen. Andere Teile der Sammlungen – Mesoamerika, Afrika, die Welten der Muslime – folgen erst 2017. Eine Epoche endet, die Vorbereitungen für den Umzug ins Humboldt-Forum laufen an. Wir betrachten hier Artefakte, die Dahlem ausmachen – und vor der großen Reise bald aus dem Blickfeld verschwinden.

In einer länglichen grauen Pappschachtel liegt der Holzstab eingesargt, bereits für den Transport ins Humboldt-Forum nach Mitte präpariert. Er ist einer der ersten Kandidaten, die für den Umzug gerüstet sind, und frisch restauriert. „HuFo 146 Maroon-Objekt“ steht auf einem kleinen Etikett, das am Rande des Behältnisses klebt. Bis HuFo 146 seinen Auftritt hat, werden mindestens zwei Jahre vergehen, so lange verschwindet es wieder im Dahlemer Depot. Doch das ungewöhnliche Exponat hat alle Zeit, war es doch jahrzehntelang in Vergessenheit geraten, bis es durch eine Ausstellung des Humboldt-Lab 2013 überraschend wiederentdeckt wurde. Die Kuratorin Andrea Scholz hatte es zwischen Bastkörben und Trommeln verborgen in einem Gang gefunden, in einem Schrank mit Objekten aus dem nordöstlichen Südamerika.

Dort lagert wie in einem Zwischenreich die Sammlung der Maroons. Bislang hatte sich in Dahlem niemand für diese Bevölkerungsgruppe interessiert, die sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts in Surinam herausgebildet hat. Ursprünglich stammten die Maroons aus West- und Zentralafrika, als Sklaven waren sie ins Land gelangt und von den Plantagen der holländischen Kolonialherren geflohen. In den Regenwäldern taten sie sich zusammen, gründeten Siedlungen, wo sich die eigene mitgebrachte Kultur mit den religiösen Praktiken der indigenen Stämme und dem katholischen Glauben der Missionare mischte.

"Buschneger" - das war vor kurzem noch die Terminologie des Museums

„Buschneger“ wurden ihre Nachkommen genannt, bis vor wenigen Jahren war dies sogar noch die Terminologie des Berliner Völkerkundemuseums. Die letzten Spuren dieser Spezialbehandlung lässt sich noch an der Beschriftung des ursprünglichen Depotschranks ablesen: Statt in Rot, wie alle anderen Vitrinen, sind hier die Etiketten in Schwarz gehalten. Heute werden sie Maroons genannt in Ableitung des spanischen „cimarrón“, was „Entlaufene“ bedeutet.

Die Maroons stehen also zwischen Afrika und Amerika, genau dort werden sie auch im Humboldt-Forum erstmals zu sehen sein. Sie bilden künftig das Bindeglied zwischen den beiden Abteilungen. Dort wird auch der 78 Zentimeter große Holzstab zu sehen sein: nicht liegend wie auf dem Werkstatttisch der Restauratorin, sondern aufrecht und stolz, um seine ganze Aura entfalten zu können. Seine genaue Funktion ist nicht mehr bekannt, wahrscheinlich diente er kultischen Zwecken. Für einen Herrscherstab wirkt er zu klein, so die Ethnologin Andrea Scholz. Sie vermutet eine Ahnenfigur, die möglicherweise dem Winti-Kult diente, bei dem Geister den Menschen einflüsterten, was sie zu machen hatten. Vielleicht spielte auch Voodoo hinein.

Eins aber weiß man heute noch genau: woher der Stab stammt. Aus dem Dorf Wanhatti im Norden Surinams, wo die Herrnhuter Missionare damals eine Station unterhielten. In einem von ihnen geführten Geschäft wurde der Stab einem Maroon entrissen, als er den Laden betrat. Die unglaubliche Geschichte hat sich auf der Inventarisierungskarte des Berliner Völkerkundemuseums erhalten, die das Werk 1903 erwarb. „Fetischstab“ steht darauf unterstrichen unter der akkuraten Zeichnung des ungewöhnlichen Objekts geschrieben. Das Wort birgt noch all die distanzierende Haltung der Herrnhuter Missionare, die sich mit den Mitgliedern ihrer Gemeinde in einem höchst spannungsreichen Verhältnis befanden.

Recherchereise in die Oberlausitz

Für ihre Recherchen zur Herkunft des Stabs machte sich Andrea Scholz deshalb auch nach Herrnhut in die Oberlausitz auf den Weg und entdeckte in den Archiven der Brüdergemeine sprechende Zeugnisse zur damaligen Zeit. So ist von Missionar Zuch im Jahrbuch von 1898 die Beschreibung zu lesen: „Ich kann nicht leugnen, dass wir oft den Mut verloren und die Hoffnung in die Arbeit mit den Djuka (Maroons) verloren haben und beinahe verzweifelt waren, ob sie fähig sind, das Wort Gottes anzunehmen. Oft ist es uns so gewesen, als wäre es gar nicht möglich, diesen in der schmutzigsten (...) Sünde versumpften Menschenkindern zu helfen.“

Der Diebstahl des Stabes auf der Station passt ins Bild, zerstörten doch die Missionare häufig das götzenhafte Gerät ihrer Schäfchen oder nahmen es ihnen ab, um es an Sammler in Europa zu verkaufen. Das brachte Geld in die leeren Kassen der Gemeinde.

So verschmelzen in dem magischen Stab vielfältige Vergangenheiten: die Geschichte der Sklaverei in Südamerika, die Gründung neuer Kulturen unter den Nachfahren, die sich befreien konnten, der unrühmliche Einsatz von Missionaren und schließlich das Museum als Abnehmer des geraubten Objekts.

An seinem künftigen Ausstellungsort im Humboldt-Forum soll es all das zum Sprechen bringen, was nur bedingt gelingen kann, denn seiner ursprünglichen Funktion bleibt es beraubt. Rätselhaft grinst die weibliche Figur heute den Betrachter an, mit rotem Stanniolpapier um den Hals und an den Füßen. Kopf, Leib und Beine sind durch Lochbohrungen verziert. Was genau die Figur repräsentiert, mag verschüttet sein, als Beispiel eines Kulturgemischs aber bleibt es stark.

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