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Aufbruchsgeist. Whitney Duan Ende der 90er Jahre auf dem Pekinger Tiananmen-Platz.

© Droemer

Turbokapitalismus nach Pekinger Art: Shopping bis aufs Blut

Geschäftsprinzip Korruption: Desmond Shum liest China die Leviten.

Von Gregor Dotzauer

Zu konkreten Ratschlägen, was Deutschland im Umgang mit China beherzigen solle, wollte sich Ai Weiwei gar nicht erst versteigen. Der Westen, erklärte der Künstler kürzlich bei der Vorstellung seiner Autobiografie im Berliner Ensemble, spiele Schach, die Volksrepublik dagegen spiele Go.

Ein treffenderes Bild für die Asymmetrien des gegenseitigen Verhaltens lässt sich kaum denken: Man spricht zwar möglicherweise über dasselbe, folgt dabei aber unterschiedlichen Regeln. Interkulturelle Kompetenz bestünde demnach darin, die Strategien beider Spiele zu verstehen und sich auf ihre jeweiligen Zugmuster einzulassen.

Desmond Shum gibt in seinem Enthüllungs- und Bekenntnisbuch „Chinesisches Roulette“ mannigfache Einblicke in die Gesetzmäßigkeiten des chinesischen Sozialgefüges. Er tut dies deshalb so gut, weil er die Verhältnisse seit Langem auch von außerhalb kennt – und sich neuerdings notgedrungen mit seinem Sohn im englischen Exil befindet.

[Desmond Shum: Chinesisches Roulette. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Droemer Verlag, München 2022. 301 Seiten, 22 €.]

1968 in Schanghai geboren, zog er zehn Jahre später mit seiner Mutter ins damals noch britisch regierte Hongkong, studierte Finanzmanagement in den USA, machte Businesskarriere in Peking und begann mit seiner Ex-Frau Whitney Duan das ganz große Immobilienrad zu drehen. Das Pekinger Bulgari Hotel und das Cargo-Terminal hat er mit erbauen lassen.

Schlüssel zum Reichtum

In China, schreibt er, „ist Politik der Schlüssel zum Reichtum, nicht umgekehrt“. Das hatten er und vor allem Whitney früh verstanden. Im Dunstkreis von „Tante“ Zhang, der Frau von Wen Jiaobao, der von 2003 bis 2013 Premierminister unter Präsident Hu Jintao war, betrieb sie mit ihrem Korruptions-Portemonnaie Guanxi, die chinesische Form des Networking. Shum erzählt von einer so gezielten wie blinden Verschwendungssucht, gegen die das satirische „Fegefeuer der Eitelkeiten“, das Tom Wolfe in seinem gleichnamigen Wall-Street-Yuppie-Roman entfachte, ein kümmerliches Flämmchen war.

Der „Geltungskonsum“, mit dem man sich gesellschaftliches Gewicht verschaffte, trieb absurde Blüten, wenn Shum als Teil einer achtköpfigen Vergnügungstruppe in einem von drei Privatjets nach Paris reiste. Zwei davon flogen leer, weil die Passagiere zusammen Karten spielen wollten. In der Stadt der Liebe gönnte man sich im Sternerestaurant Pavillon Ledoyen Champagner und Weine für mehr als 100 000 Dollar, in Mailand endete der Trip mit Shopping als „Wettkampf bis aufs Blut“.

Was man als Inbegriff menschlicher Gier lesen kann, war zugleich der Motor einer turbokapitalistischen Modernisierung unter autoritären Vorzeichen. Yuen Yuen Ang hat die Mechanismen in ihrer Studie „China’s Gilded Age: The Paradox of Economic Boom and Vast Corruption“ (Cambridge University Press) untersucht. Erst Xi Jinping gebot dem ausufernden Bestechungswesen Einhalt, wenn auch aus Sorge um den politischen Kontrollverlust, nicht aus Edelmut.

Distanz zum System

Desmond Shum ging rechtzeitig auf Distanz zum System – und zu den Geschäften seiner Frau, von der er sich 2013 trennte. 2012 war sie neben vielen anderen Gegenstand eines Artikels in der „New York Times“ geworden, den sie im Zuge einer „freundschaftlichen Einigung“ mit dem Autor vergeblich aus der Welt zu schaffen versuchte.

Auch im eigenen Land geriet sie ins Visier der Behörden, wo sie seit Jahren mit unbekanntem Schicksal unter Verschluss gehalten wird und mit Shum nur Kontakt aufnehmen durfte, als sie ihn von der Veröffentlichung seines Buches abhalten sollte.

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Der reißerische deutsche Untertitel „Ein Ex-Mitglied der roten Milliardärskaste packt aus“ gibt keinen Eindruck von der differenzierten und eleganten Darstellung, die nicht zuletzt Co-Autor John Pomfret zu danken ist.

Diese „Insider’s Story of Wealth, Power, Corruption, and Vengeance in Today’s China“, wie es im US-Originals heißt, ist auch die anrührende Autobiografie eines Mannes, der vielleicht nicht vollständig geläutert ist, doch auch durch sein Interesse für die buddhistischen Lehren von Nan Huai-Chin frühzeitig Gegengifte gegen Chinas „roten Adel“ entwickelte.

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