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Kultur: Singen, bis Sensoren schwingen

Der Roboter Myon spielt eine Hauptrolle in „My Square Lady“ an der Komischen Oper. Probenbesuch mit Mensch und Maschine.

Von Sandra Luzina

Er ist 1,25 m groß – und soll ganz groß rauskommen. Er lernt wie ein Kind und hat sehr geduldige Lehrer. Der humanoide Roboter Myon spielt eine Hauptrolle in dem Stück „My Square Lady“ an der Komischen Oper, das am Sonntag Premiere hat. Ein Medienstar ist er schon vorab. Seine ersten Lernschritte auf der Bühne wurden von TV-Teams dokumentiert. Auch an diesem Junimorgen drängen sich die Fotografen und Kameramänner um den Roboter aus dem Forschungslabor Neurorobotik an der Beuth-Hochschule für Technik Berlin.

Die Idee, sich einen nicht menschlichen Gespielen für ihren ersten Ausflug ins Musiktheater zu suchen, kam dem deutsch-britischen Kollektiv Gob Squad. Und es ist nicht leicht zu entscheiden, wer hier mehr wie ein Phantom der Oper anmutet: Myon oder die Performer? Die haben zwar eine Affinität zu neuen Technologien, aber mit dem Thema künstliche Intelligenz setzen sie sich zum ersten Mal auseinander. Deshalb haben sie sich mit Experten zusammengetan: der Neurorobotiker Manfred Hild und das Myon-Team unterstützen sie tatkräftig. Vor mehr als zwei Jahren hat sich ein künstlerisch-wissenschaftlicher Dialog entsponnen, der wohl einzigartig ist.

Der Titel „My Square Lady“ lehnt sich natürlich an das Musical „My Fair Lady“ von 1956 an. Hier wird es aber kein Blumenmädchen Eliza geben, dem ein Professor beibringt, sich wie eine feine Dame auszudrücken. Bei Gob Squad gibt es ein ehrgeizigeres Experiment zu bestaunen. Myon soll in die Oper eingeführt werden und dabei fast wie ein Mensch reagieren. Der Traum der Künstler und Wissenschaftler ist es, dass Myon, betört durch die Macht des Gesangs, Gefühle wahrnimmt oder womöglich selber so etwas wie Emotionen entwickelt. Die reine Zukunftsmusik.

Ich möchte, dass du mich vergisst

In der Szene, die beim Pressetermin gezeigt wird, ist die Beziehung zwischen Mensch und Maschine noch etwas einseitig. Jeder der Darsteller tritt vor den Roboter mit einer letzten Bitte: „Behalte mich in Erinnerung für meine schlechten Witze. Ich habe dein Betriebssystem entwickelt“, sagt einer der Informatiker. „Behalte mich in Erinnerung für all die Freude, die ich verströmt habe“, sekundiert die Sängerin Katarina Morfa. Nur der Sänger Christoph Späth tanzt aus der Reihe und sagt: „Ich möchte, dass du mich vergisst.“ Er beneide den Roboter nicht darum, nicht vergessen zu können, sagt der Tenor beim Interview und ist schon mitten in einer philosophischen Diskussion. Denn das Projekt erkundet nicht nur, was ein humanoider Roboter überhaupt leisten kann. Stets schwingt auch die Frage mit: Was macht uns eigentlich zu Menschen?

Myon steht ganz offenkundig auf Christoph Späth und wirkt richtig zugewandt. Späth gehört ja zu seinen Lehrmeistern: „Wir Sänger haben ihm erzählt, wer wir sind, was wir machen, welche Stimmlage wir haben. Das hatte durchaus therapeutischen Charakter“, erzählt er. Er könne sich durchaus vorstellen, sich von einem Roboter pflegen zu lassen, falls er später mal an Alzheimer erkranken solle. Aber Gefühle für seinen Zögling habe er nicht entwickelt.

Wo steht die Forschung derzeit?

Das ist beim Team Myon ganz anders. „Wir passen auf, dass ihn keiner kaputt macht“, erzählt einer der jungen Wissenschaftler, die ihn wie ein kleines Kind behüten. Das seien schon starke Affekte.

„Wir entwickeln alle emotionale Bindungen zu Dingen, die uns lieb geworden sind“, erklärt Manfred Hild mit Blick auf Handys und Tablets. Der Neurorobotiker ist der geistige Vater von Myon, er koordiniert die Arbeit des Teams, dem Experten aus unterschiedlichen Disziplinen angehören. Ist das künstlerische Projekt für ihn nicht ein reiner Luxus?

„Was die Ressourcen angeht, die wir da reingeben, ist es absoluter Luxus“, sagt Hild. „Aber der Erkenntnisgewinn durch das Projekt ist von unschätzbarem Wert.“ Hild will herausfinden, welche autonomen Lernprozesse der Roboter vollzieht in der Begegnung mit Sängern und Musikern – und er möchte gleichzeitig den Zuschauern vor Augen führen, wo die Forschung derzeit steht. Und Myon führt hier durchaus die hohe Schule der Robotik vor. Er nimmt Geräusche und Töne wahr, kann Farben und Formen unterscheiden und laufen, wenn man ihn an die Hand nimmt. Sogar dirigieren soll er können.

Frauenstimmen bringen Myon aus der Fassung

Myon verfügt über 200 Sensoren, eine integrierte Kamera liefert Informationen. Bei der Probe kann man per Videoprojektion verfolgen, was er visuell wahrnimmt. Er speichere aber nur das, worauf er seine Aufmerksamkeit lenke, vor allem neue Sinneseindrücke. „Dreamline“ nennen die Forscher diese Datei. „Bei einem Roboter laufen viele Prozesse parallel“, sagt Hild. Das klappt im Labor schon ganz gut, muss jetzt aber vor dem Auftritt noch orchestriert werden. Anfangs war der Roboter von den vielen Reizen, die im Opernhaus auf ihn einwirkten, überfordert. Vor allem Frauenstimmen brachten ihn aus der Fassung. Aber Myon hat dazugelernt: Er lauscht den akustischen Eindrücken und interpretiert sie, versucht, Tonhöhe und Lautstärke zu schätzen.

In dem Stück sollen die Zuschauer in Myons Gedächtnis schauen können.

Bei der Frage, ob Myon dem Menschen mit seiner fehlbaren Erinnerung überlegen ist, winkt Hild ab. „Wir filtern unsere Eindrücke im Moment des Wahrnehmens und speichern nicht alles ab. Auch Myon kann filtern: Seine Kapazität würde auch gar nicht ausreichen, um zwei Jahre alle Video- und Audioaufnahmen auf einer Karte zu speichern.“

Intelligenz heißt: Gut filtern können

Manfred Hild geht es letztlich um die Frage, wie Intelligenz entsteht. Eine seiner Definitionen lautet: „Intelligenz ist die Eigenschaft, gut filtern zu können.“ Ebenso einleuchtend ist die Feststellung: „Intelligenz braucht einen Körper: Man muss greifen können, um zu begreifen.“

Die Desillusionierung sei ein wesentlicher Faktor des Projekts, betont er. Denn unsere Vorstellungen von Humanoiden stammen bislang meist aus ScienceFiction-Romanen oder Hollywoodfilmen. Ein Szenario wie in dem Film „Ex machina“ von Alex Garland, in dem sich ein junger Programmierer in den weiblichen Androiden Ava verliebt, scheint sich in Berlin jedenfalls nicht zu wiederholen. Der Entwickler mutet auch nicht wie ein verrückter Professor an, der schließlich erkennen muss, dass er ein Monster erschaffen hat. Manfred Hild wird bei „My Square Lady“ auch auf der Bühne stehen. Lampenfieber hat er aber ebenso wenig wie Myon.

Komische Oper, So 21. Juni, 19 Uhr

(Premiere). Wieder am 25. Juni, 19.30 Uhr, und So 5. Juli, 19 Uhr

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