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Kultur: Singen, swingen, strippen

Die Kamikaze Queens denken bei ihren Rock’n’Roll-Shows immer nur an das eine: Musik, die abgeht.

So macht man das! Will man Rock ’n’ Roll: Gitarren sind elementar. Will man Glam: bestimmte Verstärkersounds. Will man ernst zu nehmende und ernst gemeinte weibliche Stimmen: Man sollte mal schauen, wie The Runaways, wie Hazel O’Connor, wie Kate Bush einst gesangsmäßig tickten. Und will man eine gewisse Street Credibility, eine Underground-Modernität: Zu wissen, wie und was in Berlin nachts funktioniert, ist dafür bestimmt von Vorteil.

Die Berliner Kamikaze Queens gibt es seit sechs Jahren. Nicht lang genug, um die Mitglieder alt aussehen zu lassen: Selbst der einzige Deutsche Tex Morton, Gitarrist der Band, der geschätzt in zwei Dritteln aller Rock ’n’ Roll-Psycho-Rockabillybands der letzten 25 Jahre spielte, klingt noch wie neu. Aber die Queens mischen seit langem Musikszenen auf. Die beiden aus den USA stammenden Sängerinnen Trinity und Mad Kate arbeiteten im Rock ’n’ Roll-Kochstudio „White Trash Fast Food“, Kate singt, strippt und verbiegt sich bei der Berlin-schweizerischen Trash-Hoffnung Bonaparte, Trinity erlebt man als singendes, swingendes und multiinstrumental begabtes Bandmitglied rund um die 50s/60s-Club-Institution „Bassy“. Und sowohl der amerikanische Tollenträger am Kontrabass als auch der Schlagzeuger mit italienischen Wurzeln spielen sich schon seit Jahren durch die lebendige, zukunftsorientierte Berliner Retroszene. Diese Band hat sich bei den besten Vorbildern bedient. „Rock ’n’ Roll ist König“, sagt Gründungsmitglied Tex Morton, und sprudelt als Einflüsse sämtliche Musikstile heraus, die man mit analogen Instrumenten hinbekommt: „Swing, Jazz, Punk, Rock, Garage, Rock ’n’ Roll!“

Zudem geht es den Kamikaze Queens um eine amtliche Show: Das soeben erschienene zweite Album „Automatic Life“, hat – wie auch das erste, 2009 erschienene „Voluptous Panic“ – keinen Bammel vor Theatralik. „Berlin Punk Cabaret“ beschreibt die Band selbst ihren Stil. Dabei wird Cabaret im eigentlichen Sinn interpretiert: Als Bühnenshow mit Musik und Tanz, alles ist erlaubt, jeder dick geschminkt, wahrscheinlich zieht sich jemand aus, die beiden Frauenstimmen mischen sich hervorragend, am Ende ist das Publikum animiert. Diese Mischung aus professionell-amerikanischem Crowd Pleasing, einer basistoleranten Kunstdefinition, sowie einem schlafwandlerischen Verständnis für Musik, die abgeht, setzt sich fort: Auch die Nebenprojekte der Bandmitglieder wie die All-Women-Country-Formation Runaway Brides oder verschiedene Burlesque-Gruppierungen schreiben Show groß und Zurückhaltung klein, es gibt viel ausgewähltes Kostüm und noch mehr Tattoos, zuweilen könnte man meinen, man sei stimmungsmäßig in einem Prä-Guiliani-New York gelandet, in dem die Schlagworte Demokratie und Toleranz hießen, man mit einer Handvoll Dollars die Nacht bestreiten konnte. Und dann volltrunken nach Hause wankte.

Von „Automatic Life“ geht trotz Glamrock-Pathos eine Leichtigkeit aus, die einerseits mit dem natürlichen Idiom ihrer Sängerinnen und Texterinnen zusammenhängt – vielen deutschen Rockbands außer den Beatsteaks hört man die spät gelernte Fremdsprache zuweilen an. Und andererseits mit dem trotzigen Retro-Bekenntnis, mit Cello, Kazoos und singender Säge. Dazu kommt eine anachronistische Professionalität: Der alte Bühnenhase Tex Morton kennt seine „Twang Bomb Guitar“ so gut, dass man ihn einfach nur aufnehmen muss, damit es stimmt. Berlin, in den 90ern im Ausland vor allem für moderne, teils drogeninduziert coole Elektrosounds bekannt, feierte stets einen Underground, der wacker den Rock ’n’ Roll hochhielt. Die einen gehen und gingen ins Watergate, ins Berghain und ins Weekend und schütteln sich zu Elektrobeats, die andern tanzen und schwitzen lieber im Bassy, im White Trash und im Roadrunner’s. Die Kamikaze Queens haben mit „Automatic Life“ diese andere Hälfte abgebildet: Sie ist feucht-fröhlich und geschwätzig, veralbert sich selbst, hat nichts gegen altmodisches Posen, und braucht für den Spaß vor allem potente Gitarrenamps.

Die beiden Sängerinnen, deren falsche Besenborsten-Wimpern beim Blinzeln Windstärke vier erzeugen, und die bei jeder Show mindestens eine Netzstrumpfhose zerreißen, sind zudem alles andere als süße Frontmädchen fürs Auge. Mad Kate und Trinity schmeißen die Show, sie atmen musikalische und Entertainment-Kompetenz. Weder der dilettantische Trotz der Riot Grrrls ist der ihre, noch brauchen sie eine Folkmusikattitüde, die Schminke und Sexysein per se verbietet, um die Männer im Publikum nicht vom Eigentlichen abzulenken.

Die Kamikaze Queens haben den Rock ’n’ Roll auf „Automatic Life“ nicht neu buchstabiert. Sie haben nicht versucht, strukturell originell zu sein. Aber sie erinnern mit einer solchen Wonne an seine Ursprünge, sie zelebrieren die Künstlichkeit der späten 70er und frühen 80er mit so viel Verve und Interpretationslust, dass man einfach mal mitmachen kann, ohne allzu europäisch-naserümpfend nach der Innovation zu schielen. Dafür bleiben noch jede Menge anderer Stilrichtungen übrig.

Die Kamikaze Queens spielen am Sonntag, 18.12., um 19 Uhr beim Winter Rocks! X-Mas Festival 2011 in der Universal Hall.

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