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Jean-Claude Arnault, Auslöser für den Konflikt in der Schwedischen Akademie, muss wegen Vergewaltigung ins Gefängnis.

© Janerik Henriksson/AP/dpa

Skandal um Komitee für Literaturnobelpreis: Schwedische Akademie steckt nach Verurteilung Arnaults weiter in der Krise

Jean-Claude Arnault muss wegen Vergewaltigung für zwei Jahre ins Gefängnis. Den Streit im Literaturnobelpreis-Komitee kann dieses Urteil nicht schlichten.

Der Donnerstag kurz vor oder während der Frankfurter Buchmesse ist in der Regel immer der Tag, an dem bekanntgegeben wird, wer den Literaturnobelpreis bekommt. In diesem Jahr ist alles anders, der Preis wird nicht vergeben. Der Grund ist das Zerwürfnis innerhalb der Schwedischen Akademie, der aus eigentlich achtzehn Mitgliedern bestehenden Institution, die seit 1901 Jahr für Jahr den Nobelpreis für Literatur vergibt. Das Zerwürfnis spiegelt überdies gut die politischen und gesellschaftlichen Wirren, in denen sich Schweden spätestens seit der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 befindet – auch mit der Folge, dass die rechten Schwedendemokraten zuletzt einen überwältigenden Wahlerfolg einfuhren und jetzt ein entscheidendes Wort bei der schwierigen Bildung einer neuen Regierung mitzusprechen haben.

Nachdem im November des vergangenen Jahres Jean-Claude Arnault, der Mann der Lyrikerin und des Jury-Mitglieds Katarina Frostenson, von achtzehn Mitarbeiterinnen aus dem Akademie-Umfeld sexueller Übergriffe beschuldigt worden war, geriet die Akademie in die schwerste Krise seit ihrer Gründung im 18. Jahrhundert. Arnault sitzt jetzt im Gefängnis, er ist am Montag zu zwei Jahren Haft wegen Vergewaltigung verurteilt worden. Dieses Urteil ist der vorläufig negativste Höhepunkt der Turbulenzen, in denen die Schwedische Akademie seit knapp einem Jahr steckt.

Weil Arnault und Frostenson auch einen privaten Kulturclub betrieben, der Finanzielle Zuwendungen von der Akademie bekommen und sich steuerlich Vorteile verschafft hat (und in dem die sexuellen Belästigungen an der Tagesordnung gewesen sein sollen), wurde innerhalb der Jury über den Ausschluss von Katarina Frostenson beraten. Diese hatte alle Vorwürfe abgestritten und stets loyal zu ihrem Mann gestanden. Das tut sie auch in diesen Tagen noch.

Wer einmal ins Gremium gewählt ist, bleibt bis zum Tod

Doch eine Mehrheit des Gremiums lehnte ihren Ausschluss und die juristische Klärung der Vorfälle innerhalb des Kulturclubs ab, woraufhin drei Mitglieder ihren Austritt erklärten: der Historiker Peter Englund, der Schriftsteller Klas Östergren und der Literaturwissenschaftler Kjell Espmark. Auch die Schriftstellerin Sara Stridsberg, die Jury-Vorsitzende Sara Danius und schließlich und endlich Frostenson stellten ihre Mitarbeit ein oder erklärten ihre Rücktritte. Seitdem ist die Akademie nicht nur heillos zerstritten, sondern beschlussunfähig, nicht zuletzt weil zwei Mitglieder der Jury schon seit Jahren ihre Sitze ruhen lassen.

Das Problem: Wer einmal in das Gremium gewählt ist, scheidet erst mit seinem Tod wieder aus. So hieß es bislang in den Statuten. Um zu Beschlüssen zu kommen wie der Auswahl des Literaturnobelpreises oder der Berufung neuer Mitglieder, bedarf es einer aktiven Zwei-Drittel-Mehrheit, die mit augenblicklich zehn aktiven Mitgliedern nicht gegeben ist.

Richterin Gudrun Antemar spricht vor dem Bezirksgericht in Stockholm.
Richterin Gudrun Antemar spricht vor dem Bezirksgericht in Stockholm.

© Anders Wiklund/TT News Agency/dpa

Die Statuten wurden nun mit Einverständnis des schwedischen Königs Carl Gustav XVI. als Schirmherr der Akademie und auch der Nobelpreisstiftung dahingehend geändert, dass die Sitze seit zwei Jahren inaktiver oder definitiv zurückgetretener Mitglieder auch zu deren Lebenszeit neu besetzt werden dürfen. Das gilt nun für die Sitze von Östergren, Stridsberg, Kerstin Ekman und Lotta Lotass. Diese Neubesetzung kann auch von einer Minderheit innerhalb der Akademie vorgenommen werden, also den im Moment noch zehn aktiven Mitgliedern. Die Zwei-Drittel-Regelung wurde gestrichen. Auch ein Nobelpreisträger soll nun im Fall der Fälle von nur zehn Mitgliedern ausgewählt werden können. Hinzu ist auch eine sogenannte Loyalitätspflicht gekommen. Die Mitglieder der Akademie sollen Dispute und Unregelmäßigkeiten nicht nach außen tragen.

Auf viel Beifall in der Öffentlichkeit stießen diese Neuerungen nicht. Der Kommentator der schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“ sieht die Akademie „weit davon entfernt, die notwendige Tiefe ihrer Erneuerung nach dem totalen Vertrauenskollaps im Frühjahr zu erkennen. Eher entsteht das Bild einer Institution, die sich noch enger um sich selbst schließt“. Tatsächlich stehen die Zeichen weiterhin auf Sturm.

"Missglückter Versuch eines Machtspiels"

Es sieht nicht danach aus, als sei die Akademie in der gegenwärtigen Zusammensetzung zu einem konstruktiven Neuanfang in der Lage – allein aufgrund der tiefen Gräben, die sich zwischen den verbliebenen Mitgliedern und den momentan Inaktiven aufgetan haben. Vieles trägt den Charakter einer Seifenoper. Da ist zum einen der Literaturkritiker Horace Engdahl, der immer auf der Seite Arnaults und Frostenson gestanden hat, wie vermutlich auch die restlichen, um ihre Pfründe bangenden und schweigenden Mitglieder, inklusive des Interimsvorsitzenden Anders Olsen. Dieser sprach zwar seinerzeit davon, man wolle mit der Aussetzung des Preises Zeit gewinnen und „das Vertrauen in die Akademie wieder herstellen“, hat dafür aber bislang wenig getan.

Auf der anderen Seite stehen Sara Danius, Peter Englund und Kjell Espmark, die schon einen Austritt Engdahls verlangten, dann wieder ankündigten, zurückkehren zu wollen und sich inzwischen vor allem taktisch verhalten. „Möglicherweise“ würden sie wieder an Abstimmungen teilnehmen wollen, hieß es aus ihrem Kreis zuletzt recht unbestimmt. Das wiederum Engdahl kommentierte schon einmal mit den Worten: „Die drei Abtrünnigen beschämen sich durch diesen missglückten Versuch eines Machtspiels.“

Wie will das Gremium neue Mitglieder rekrutieren?

Engdahl will „unter allen Umständen“ bis zu seinem Tod im Amt bleiben. Außerdem gibt es die ebenfalls im Moment inaktive Katarina Frostenson, die sich ja ebenfalls zu einer Rückkehr entschließen könnte. Das sehen inzwischen nicht nur Danius, Englund und Espmark als ausgeschlossen an. Es heißt, auch unter den Verbliebenen gebe es Vorbehalte. Zuletzt ließ Per Wastberg sich in der Zeitung „Aftonbladet“ über Frostenson aus: „Sie redet nicht mit mir, weil ich gegen sie war. Sie ist in Paris und meint, Arnault sei unschuldig und würde gekreuzigt.“

Die Frage ist, wie dieses von Grund auf zerstrittene Gremium überhaupt neue Mitglieder rekrutieren will? Aber auch, wer aus dem akademischen und intellektuellen Schweden überhaupt dazu stoßen mag? Und wäre es nicht besser, die Akademie würde sich personell ganz neu konstituieren, um das so nötige Vertrauen zurückzuerlangen? Eine Shortlist wie üblich aus fünf möglichen Kandidaten jedenfalls gibt es für den Literaturnobelpreis bereits. Sie wurde noch im Frühjahr vor der Krise zusammengestellt. Laut Statuten ist es möglich, 2019 zwei Preise zu vergeben. Doch es schaut nicht so aus, als käme es zu einer Einigung, als würden demnächst wieder literarische und ästhetische Kriterien und schriftstellerische Werke im Zentrum der Akademie-Debatten stehen.

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