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Die Muhammad-Ali-Moschee, Wahrzeichen von Kairo.

© Getty Images/iStockphoto

„Snooker in Kairo“ von Waguih Ghali: Selig sind die Dummen

Zeitlos und brandaktuell: Waguih Ghalis Roman „Snooker in Kairo“ aus den Sechzigern wurde während des arabischen Frühlings neu entdeckt. Jetzt ist er auf Deutsch zu lesen.

Der Zyniker und der Verzweifelte sind enge Verwandte – meist ist Zynismus ja nichts anderes als uneingestandene Verzweiflung. Ram, die Hauptfigur in Waguih Ghalis Roman „Snooker in Kairo“ ist hoffnungslos und spöttisch zugleich. Als koptischer Christ in eine wohlhabende Großfamilie hineingeboren, gehört er zwar einem verarmten Zweig der Sippe an und ist auch selbst ganz mittellos. Er lebt dennoch in den luxuriösen Verhältnissen seiner Schicht. Es sind die 1950er Jahre in Ägypten. Nasser hat sich 1952 an die Macht geputscht. Gebessert hat sich danach nichts. Die westlich orientierten Eliten des Landes, die kaum das Arabische beherrschen und auf die Fellachen, die arme Landbevölkerung, herabblicken, sind allerdings verunsichert. Ihren Lebensstil, der sich an den Gepflogenheiten der ehemaligen Kolonialmacht England orientierte, sehen sie bedroht. Es scheint so, als würden sie im Ballsaal der Titanic noch ein bisschen Spaß haben wollen.

Ram und seine Freunde fallen aus diesem Milieu heraus. Einerseits ist Ghalis junger Held ein Spieler und Trinker, der sich gerne mit schönen Frauen umgibt. Andererseits ist er viel zu gebildet, um die Scheinwelt und ihre Widersprüche nicht zu durchschauen. Wie durch Ägypten geht durch ihn selbst ein Riss. Er verachtet seine Klasse. Und kann sich doch nicht von ihr frei machen – seine Tanten und Freunde füttern ihn durch, bezahlen seine Spielschulden und Drinks. Erst als sein bester Freund Font und er die reiche, politisch engagierte Jüdin Edna kennenlernen, scheint sich etwas Grundlegendes zu verändern. Die junge, verführerische Frau macht ihn überhaupt erst mit dem ägyptischen Volk vertraut. Ram verliebt sich in Edna. Eine „amour engagée“, wie er einmal sagt. Zu dritt gehen sie nach London, wo Ram trotz aller Schwierigkeiten vier Jahre lang bleiben wird, um als desillusionierter Kommunist und gänzlich entwurzelt zurückzukommen – der Suezkrieg heilt ihn außerdem von seiner Bewunderung für die Briten. „Das ist alles London, sagte ich mir. Das kam davon, wenn man Father Huddleston gehört hatte, wenn man wusste, wer Rosa Luxemburg war, und wenn man die Gorki-Trilogie in Hampstead gesehen hatte. Das kam davon, wenn man Donald Sopers Predigten am Speaker's Corner im Hyde Park gehört und Koestler und Alan Paton und Doris Lessing und Orwell und Wells und La Question und sogar Kenneth Tynan gelesen hatte. (…) Selig sind die Unwissenden. Wie herrlich es doch war, mit meiner Mutter in die katholische Kirche zu gehen, bevor ich das erste Mal von Salazar oder den nach Äthiopien geschickten heiligen Truppen gehört hatte.“

Ghali konnte sich mit seiner Zerrissenheit nicht arrangieren

Waguih Ghali erzählt in diesem Roman, 1964 erstmals erschienen, auch seine eigene Geschichte. Er teilt einige biografische Wegmarken mit seinem Helden, ging als Kommunist aber bereits 1958 ins Exil unter anderem nach Deutschland und konnte sich mit seiner Zerrissenheit anders als Ram nicht arrangieren. 1969 nahm er sich in London das Leben. Ram hingegen leidet zwar, an der Liebe und der Gesellschaft, aber er sucht sich am Ende doch eine Nische, die ihm ein einträgliches Überleben sichert. Das ist das Ambivalente an ihm: Er weiß um die Umstände, betätigt sich im Untergrund, bezahlt Polizisten, dass sie ihm Fotos von Folterungen in Nassers Konzentrationslagern zukommen lassen, die er an eine oppositionelle Geheimorganisation weiterleitet. Er schickt sie auch an Zeitungen, die davon nichts wissen wollen. Aber zu einer richtigen Auflehnung entschließt er sich nicht. Seine Aufmüpfigkeit entlädt sich vielmehr in Sarkasmus, in kleinen Rangeleien mit einem verblendeten Cousin, in Wortgefechten mit seinen Tanten, denen er intellektuell überlegen ist. Seine Überheblichkeit paart sich mit seinem depressiven Temperament.

Ghali hat einen eindrücklichen Charakter geschaffen, der einem von Anfang an gerade in seiner Verlorenheit und Einsamkeit nahe ist und etwas Zeitloses hat. Ram kommt sich irgendwann selbst auf die Schliche – was alles nicht einfacher macht. „Dieser Moment, in dem ich meinen Mantel überzog, war der Anfang – das erste Mal in meinem Leben, dass ich spürte, wie ich mich in zwei aufspaltete, in einen, der sich an allem beteiligt, und einen, der beobachtet und ein Urteil fällt. Aber damals war es noch keine vollkommene Spaltung, die beiden Kräfte fingen gerade erst an, auseinanderzustreben.“

Zynismus aus Notwehr führt zu lustigen Szenen

Mehr als 50 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung ist dieser große, während des Arabischen Frühlings von vielen jungen Ägyptern neu entdeckte Roman erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Ghali hatte ihn auf Englisch verfasst. Gleichwohl gilt er als eines der wichtigsten Werke der ägyptischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Und das ganz zu Recht. Der Roman hat eine immense Dringlichkeit, etwas Rast- und Ratloses, seine Figuren sind von einprägsamer Kontur, seine Sprache ist direkt und unbedingt, seine Haltung von schneidender Schärfe. Nichts wird geschönt, die Traurigkeit hat sich zwischen den Zeilen eingenistet. Zudem ist dieser Roman enorm witzig: Denn gerade der Zynismus aus Notwehr, der Ram eignet, führt nicht nur zu großartig hellsichtigen, sondern auch ausgesprochen lustigen Szenen.

Es scheint, als hätte Ghali gewusst, dass er nur einen Roman vollenden würde. Er hat in ihn alles hineingepackt, was er über sich und sein Land zu sagen hatte. Weil er das mit aller Konsequenz, Leidenschaft und Allgemeingültigkeit getan hat, weist das Buch trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen des letzten halben Jahrhunderts über seine Entstehungszeit hinaus. Und ist sogar heute noch, betrachtet man die neuerlich gescheiterte Revolution in Ägypten und die despotische Herrschaft Al-Sissis, brandaktuell.

Waguih Ghali: Snooker in Kairo. Roman. Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch. Mit einer Einführung von Diana Athill. C.H. Beck, München 2018. 256 S., 22 €.

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