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So kann’s gehen: Darf ich die Kleidung kritisieren?

Ist es eigentlich in Ordnung, wenn man Kollegen oder Freunden auch mal etwas Kritisches sagt? Kürzlich traf ich eine Bekannte, die zum Kleid feste Halbschuhe trug.

Ist es eigentlich in Ordnung, wenn man Kollegen oder Freunden auch mal etwas Kritisches sagt? Kürzlich traf ich eine Bekannte, die zum Kleid feste Halbschuhe trug. Das sah unmöglich aus. Hätte ich sie drauf aufmerksam machen sollen?

Einerseits finde ich, dass hierzulande schon viel zu viel kritisiert wird. Irgendwie gehört es ein bisschen zum deutschen Nationalcharakter, mit dem Röntgenblick in jeder Suppe noch die kleinste Fluse zu entdecken und darüber dann ein großes Geschrei anzustimmen. Ich finde Reisen in die USA auch deshalb so angenehm, weil man immer mal wieder und sogar von Wildfremden nette kleine Komplimente geschenkt bekommt. Einerseits. Andererseits ist es auch nicht schön, andere im Dunkeln tappen zu lassen, heimlich zu denken, dass die Bekannte ätzend aussieht, und bestenfalls gar nichts zu sagen, sie schlimmstenfalls aber mit einem „Gut siehst du aus“ in ihrem Oma-Look auch noch zu bestärken.

Ich finde, es kommt ganz entscheidend auf die Tonlage an. Vorsichtig. Fragend. Nicht triumphierend. Immer damit rechnend, dass man selber auch im Dunkeln tappt und den aktuellen Trends hoffnungslos hinterherhinkt. Dann geht es, glaube ich. Mehr noch, dann könnte es sogar eine nette und freundliche Geste sein. Sie zeigen ja damit Ihre Anteilnahme am Auftreten des anderen, und darüber zu sprechen ist auf jeden Fall weniger Zeitverschwendung als gewöhnlicher Smalltalk.

Es kommt allerdings aufs richtige Maß an. Sie sollten (siehe oben!) dies bitte nicht als Aufforderung verstehen, gierig jede kleine Modesünde Ihrer Freundinnen aufzugreifen und zu zerfleischen. Manchmal ist es besser zu schweigen, zum Beispiel, wenn die Bekannte wegen Liebeskummers oder beruflichen Stresses gerade besonders dünnhäutig ist. Wann man reden soll und wann schweigen, lässt sich also allgemeingültig nicht beantworten. Da muss leider Ihr Feingefühl ran.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin) oder mailen Sie an meinefrage@tagesspiegel.de.

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