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Wann sind wir da? Der Stau im Sommerurlaubsverkehr provoziert so manches Rückbank-Rezitativ der Kinder. Da hilft nur: Musik.

© dpa

Sommerhits (5): Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n

Ob alte Schlager im Autoradio oder scharfe Rhythmen am Strand: Sommerhits gehören zum Urlaub wie die Sonnenbrille. In den Ferien erzählen wir von der besten Musik für die heiße Jahreszeit.

Das Auto vollgestopft bis fast unters Dach, wir Kinder längs oben auf den Koffern. Wie halsbrecherisch die Deutschen in den sechziger Jahren in Urlaub fuhren, darüber darf man heutzutage gar nicht nachdenken. Anschnallpflicht, Gurte auch hinten, das war Zukunftsmusik.

Außerdem passt so ein Campingurlaub mit fünf Personen, Zelt, Schlafsäcken, Kochgeschirr, Liegestuhl, Luftmatratze und anderem Pipapo ohnehin kaum in einen kleinen Peugeot. Also nehmen die Brüder und ich vorlieb mit dem Platz oben auf dem Gepäck, die ganze Nacht Richtung Österreich zum See. Die Sterne funkeln, auf der Autobahn sausen die schnellen Wagen vorbei. Wuschwuschwusch, der Asphalt dröhnt, der Fahrtwind sirrt – Sound der Nachkriegsmobilität. Noch Jahre später dachte ich darüber nach, warum der Mond sich immer dann bewegte, wenn das Auto fuhr. Er kam mit in den Urlaub, immer im gleichen Tempo. Wenn wir anhielten, machte auch Frau Luna Pause.

Nicht dass wir bei Tagesanbruch am Ziel gewesen wären. Wie weit ist es noch? Wann sind wir da? Mama, mir ist langweilig! Ich muss mal! Wer je Kind war oder eins hat, kennt solche Rückbank-Rezitative, die den Familienurlaub zum Nervenkrieg machen. Es ist der Moment, in dem im kleinen Peugeot die Stunde der Kanons schlägt. Aber mitsingen ist irgendwann doof, man kommt so leicht aus dem Takt. Dann hilft nur noch eins. Erst Vaters Scherzlied „In Chinesien“, ein kannibalisches Quatschlied aus den Zwischenkriegsjahren über ein schönes Wesien und den Großmogul von Tiabet, der sich erst verliabet und dann seine Kinder frisst, was einen weiblichen Racheakt mit Scherenstich zur Folge hat. (Man darf heutzutage gar nicht darüber nachdenken, dass so eine Sechziger-Jahre-Kindheit eine einzige politische Unkorrektheit war).

Der Weltatem weht

Wir Rückbank-Wesien liegen bäuchlings auf dem Gepäck und sind eine Weile damit beschäftigt, den Zungenbrecherrefrain zu memorieren. „Oh mei quonni monni quonni/ oh mei quihi un mei qua / o nikodemo tschamma, tschamma ching quai qua“, lauten die ersten Zeilen, es folgen, in Prestissimo noch acht weitere.

Schließlich der Höhepunkt jeder Familienreise: Mutters Lied vom Edelweiß, eine kitschige Alpenballade vom Mädel, das sich die allerhöchste Bergblume von seinem Liebsten wünscht, worauf der Bua beim Klettern in den Tod stürzt. Wenn er dann mit blutigrotem Edelweiß in der Hand zerschmettert im Tal liegt und die Maid alsbald einsam an seinem Grab steht, wird es ganz still im Auto. Das Lied endet auf der Terz, die Melodie hängt in der Luft – Volksmusik über dem Abgrund. Die Tränen fließen, wohliger Schauder, wonniges Gruseln, der Weltatem weht, höchste Angstlust bricht aus.

Alle aussteigen, wir sind da! Seit ich groß bin, kenne ich auch Wagners „Tristan“. Und die kannibalische, respektive Organhandel-Variante des Edelweiß-Lieds von Biermösl Blosn.

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