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Sommerkultur: Dresden, mein Dresden

Mit einer großen Ausstellung feiert die Stadt an der Elbe das 450-jährige Bestehen der Staatlichen Kunstsammlungen. Pünktlich zum Jubiläum sind Residenzschloss, Lipsiusbau und Albertinum in alter – und neuer – Pracht zu bewundern.

Mit dem Sieg über die Protestanten an der Seite des Habsburgerkaisers Karl V. im Jahr 1547 beginnt der Aufstieg Sachsens – ja, zu was? Zunächst zu einer geachteten Mittelmacht innerhalb des Alten Deutschen Reiches, vor allem aber zu einem wohlhabenden Staatswesen, am allermeisten aber zu einem Kulturstaat. Machtpolitische Ambitionen, wie sie den nördlichen Nachbarn Brandenburg-Preußen zeit seiner Existenz getrieben haben, sind den sächsischen Herrschern nicht fremd, bleiben aber, mit Ausnahme des zwischenzeitlichen Erwerbs der polnischen Krone, ohne Erfolg. Was aber überdauert hat, ist das kulturelle Erbe. Es ist, trotz aller Kriegsverluste, noch immer ungeheuer reich. In diesem Jahr feiert Dresden, die Residenzstadt der albertinischen Linie der Wettiner, das 450-jährige Bestehen der Kunstkammer im Residenzschloss und damit der Keimzelle dessen, was heute als Staatliche Kunstsammlungen Dresden Weltruf genießt. Noch sind in diesem Jubiläumsjahr nicht alle Schäden des verheerendsten aller Krieg, des Zweiten Weltkriegs, behoben, doch ist der Abschluss des Wiederaufbaus in Sicht, und was bereits wiedererstand, ist schöner, zumindest aber als Museum besser geeignet denn je zuvor. Vom Reichtum der Dresdner Bestände gibt die Ausstellung Zeugnis, die für sieben Monate in der einstigen Riesengalerie des Residenzschlosses eingerichtet worden ist. Lucas Cranach d.J. malte 1551 für Moritz von Sachsen, den Mit-Sieger von 1547 und ersten Kurfürsten aus der albertinischen Linie, die drei Tafeln mit den Taten des Herkules, darunter den erwachten Herkules, der die Pygmäen vertreibt, in dem jeder Zeitgenosse den Sieger im Schmalkaldischen Krieg erkannte. Moritz’ Bruder August, der dem 1553 verstorbenen Kurfürsten nachfolgte, wurde dann zum eigentlichen Begründer des sächsischen Kunstreichtums. Er ließ 1560 die Kunstkammer einrichten, ein Kabinett für Kunstwerke, Kostbarkeiten, seltene Mineralien und wissenschaftliche Instrumente. August verstand sich als „guter Fürst“ in einer vom Denken der Renaissance geprägten Vorstellung, ein Fürst, der sein Land ordnet und dessen Wohlstand mehrt – im Falle Sachsens den aus dem Silber- und Erzbergbau, den er höchst modern organisierte. Davon erzählt die Jubiläumsausstellung; jedenfalls demjenigen, der sich die Zeit nimmt, in dem wunderbaren, dreibändigen Katalog zu lesen, der ein ganzes Panorama sächsisch-Dresdner Kunstbegeisterung durch die Jahrhunderte auffächert. Gewöhnlich verbindet man Dresdens Schätze mit dem „augusteischen Zeitalter“ der beiden Kurfürsten und polnischen Könige August II. (der Starke) und August III. von 1694 bis 1763, das von einer schier unglaublichen Verschwendung der Staatsgelder für alles Schöne und Kostbare gekennzeichnet ist. Was für ein Glück! Die polnische Krone ging den Sachsen verloren, ihre Machtstellung im Reich wurde ihnen gleich zu Beginn des Siebenjährigen Krieges vom siegreichen (und rachsüchtigen) Preußenkönig Friedrich dem Großen genommen. Die Herrlichkeiten aber blieben und machten Dresden zu jenem Elb-Florenz, das es nun ewig bleiben wollte. Festgehalten ist dieses – im Gegensatz zur gebauten Wirklichkeit unzerstörbare – Bild in den Gemälden Bernardo Bellottos, der sich nach seinem berühmteren venezianischen Onkel „Canaletto“ nannte und Mitte des 18. Jahrhunderts als Hofmaler festhielt, was zu seiner Zeit vor Augen stand und doch aussieht wie ein auf Leinwand gebannter Traum. Die Masterminds der Festausstellung, Kuratorin Karin Kolb und Museums-Generaldirektor Martin Roth, wollten genau diese Vergangenheitsseligkeit verhindern und haben als Titel „Zukunft seit 1560“ gewählt, unterstrichen durch den Leitsatz, der „Zukunftsgedanke“ sei „die treibende Kraft der Entwicklung“. Nun, bei den augusteischen Verschwendungskönigen wird man das kaum behaupten können. Sie lebten für ihre Gegenwart, in der sie sich und der Welt zeigten, was sie sich leisten konnten – bis hin zur ersten, bis heute kaum übertroffenen Sammlung von 100 italienischen Gemälden der Extraklasse, die der jüngere August dem Herzog von Modena abkaufte, bevor er 1754 mit der aus Piacenza erworbenen „Sixtinischen Madonna“ seiner Dresdner Galerie die Krone aufsetzte. Jene Madonna begegnet einem auf Schritt und Tritt, die beiden Engelchen am unteren Bildrand haben sich ohnehin als Marketing-Figuren verselbständigt. Eigentlich erstaunlich, dass dieses Gemälde überhaupt noch Wirkung zeitigt. Welchen Eindruck es auf den empfindungsbereiten Betrachter macht, davon legt der dritte Band des Katalogs Zeugnis ab: eine Anthologie von Schriften, von „literarischen Denkmälern aus fünf Jahrhunderten“ zu den Dresdner Sammlungen. Man lese nur Wassili Grossmans, des in der Sowjetunion verfemten Schriftstellers Betrachtung zu Raffaels Madonnenbild von 1955, als die Dresdner Bestände von der Sowjetunion zurückgegeben und zunächst in Moskau, dann in Berlin gezeigt wurden. Die in diesen Jahrzehnten der „sozialistischen Staatengemeinschaft“ gewachsene Beziehung Russlands zu Dresden als ein bewahrenswertes Erbe an- und aufgenommen zu haben, gehört zu den Leistungen, die im vereinten Deutschland – gelinde gesagt – nicht immer gewürdigt werden. Das Residenzschloss hat in den letzten Jahren seine Stellung als Kerngebäude der Sammlungen zurückgewonnen. Sichtbares Zeichen für den Abschluss des äußeren Wiederaufbaus war die Aufsetzung der Turmhaube über dem nordöstlichen Treppenturm Anfang 2007. Nach der Einrichtung des neuen Grünen Gewölbes 2004 ist zwei Jahre später das historische Grüne Gewölbe wiedereröffnet worden, und seit kurzem ist die märchenhafte „Türckische Cammer“ neu eingerichtet, deren Bestände sieben Jahrzehnte im Depot ausharren mussten. Ganz en passant erstand die „englische Treppe“ wieder auf, von der noch vor vier Jahren nichts mehr vorhanden war. Der kleine Schlosshof, von Architekt Peter Kulka elegant überdacht, hat sich als Empfangsraum bewährt, von dessen Notwendigkeit jeden Morgen die auf Einlass wartenden Besucherschlangen zeugen. Mit dem Lipsiusbau am Ende der Brühlschen Terrasse verfügen die Museen endlich über ein Sonderausstellungsgebäude. Im Juni eröffnet hier eine Retrospektive des Kanadiers Jeff Wall, dessen Großdia „Der Denker“ den Abschluss der Jubiläumsausstellung im Schloss bildet – Hinweis darauf, die vielzitierte Zukunft des Dresdner Kunstkosmos’ nicht aus dem Auge zu verlieren. Gleich nebenan steht das Albertinum, hervorgegangen aus dem kurfürstlichen Zeughaus, in dem Skulpturensammlung und Galerie Neue Meister beheimatet bleiben. Äußerlich unverändert, wird es bei der Wiedereröffnung Mitte Juni ein vollständig neues Bild bieten: nun ganz den Sammlungen gewidmet, frei von Verwaltungsräumen, dazu mit dem nutzbaren Innenhof – über dem ein merkwürdiges Dach aufsitzt, das in Wirklichkeit ein doppelstöckiges Depotgebäude ist. Architekt Volker Staab hat diese „Arche für die Kunst“ entworfen, als Konsequenz aus dem verheerenden Elbehochwasser von 2002, das die Untauglichkeit unterirdischer Depots drastisch vor Augen geführt hat. Künftig birgt eine 2700 Tonnen schwere Stahlkonstruktion die Depotbestände plus der so dringend benötigten Restaurierungswerkstätten, in denen bei Tageslicht gearbeitet werden kann. „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“, lautete das eingängige Motto des Internationalen Denkmalschutzjahres 1975, mit dem ein radikales Umdenken im Umgang mit dem baulichen Erbe einsetzte. Diese Art von Zukunft ist in Dresden eindrucksvoll zu erleben; übrigens nicht erst heute, sondern seit 1985, als die wiederhergestellte Semperoper dieses Umdenken auch in der DDR sichtbar machte. Diejenige Zukunft aber, die über die Bewahrung oder eher doch Neu-Inszenierung von Elb-Florenz hinausreicht – diese Zukunft muss erdacht und erarbeitet werden. Am Tiefpunkt sächsischer Fürstengeschichte dankte der letzte Regent des unterdessen zum Königreich erhobenen Sachsen, Friedrich August III., 1918 mit den berühmten Worten ab, „Machd doch eiern Drägg alleene“. Der „Dreck“, den die Wettiner in Gestalt der Kunstsammlungen hinterlassen haben, ist im republikanischen Sachsen bestens aufgehoben.

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