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Olga Peretyatko

© Dario Acosta/Sony

Sopranistin Olga Peretyatko: Primadonna risoluta

Vor 15 Jahren startete Olga Peretyatko ihre Karriere in Berlin – fast ohne Geld. Heute singt sie auf den Opernbühnen der Welt.

Kein Wunder, dass Olga Peretyatko bei ihrem ersten Berlin-Besuch im Sommer 2001 von der Stadt fasziniert war. Schließlich handelte es sich für die damals 21-jährige Gesangsstudentin aus St. Petersburg um ihre erste Auslandsreise überhaupt. Ihr Freund kannte jemanden, bei dem sie privat unterkommen konnten, und nachdem der Gastgeber den beiden Russen von der Hanns-Eisler-Musikhochschule vorgeschwärmt hatte, marschierte Olga Peretyatko kurzentschlossen los, um sich dort vorzustellen. Trotz der Semesterferien gelang es ihr tatsächlich, eine Professorin aufzutreiben, die bereit war, sich die junge Sopranistin anzuhören. Und sie anschließend ermutigte, sich offiziell zu bewerben.

Die Aufnahmeprüfung schaffte Olga Peretyatko im ersten Anlauf – und hangelte sich dann mit einem einmaligen Stipendium in Höhe von 750 Euro über ihre ersten fünf Berliner Monate. „Zehn Euro pro Woche fürs Essen, das geht, wenn man die Sonderangebote im Discounter kauft“, erzählt die heute hochbezahlte Sängerin freimütig. „Mit wenig Geld auskommen zu müssen, das war mir zudem seit Kindertagen vertraut, aus den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.“ Parallel zum Studium kümmert sie sich sofort um Auftrittsmöglichkeiten, tut sich mit einem Streichquartett zusammen und tingelt durch Krankenhäuser und Altersheime, mit einem Bach-Händel-Mozart-Programm, „lauter Sachen, die sich leicht lernen ließen“.

Heilende Töne

Dann aber wird einer dieser Geldverdien-Auftritte für Peretyatko zum Schlüsselerlebnis. „Nach einem Auftritt kam eine sehr alte, sehr kranke Frau zu mir, bedankte sich und sagte: ,Während du gesungen hast, habe ich plötzlich keine Schmerzen mehr gespürt.’ Seitdem nehme ich meinen Beruf ernst.“ Und Olga Peretyatko hat es weit gebracht, singt mittlerweile an den ganz großen Häusern der Welt, war im vergangenen Jahr beispielsweise der Star in Wim Wenders „Perlenfischer“-Inszenierung an der Berliner Staatsoper und macht am 22. Mai auf einer Tournee mit ihrem aktuellen CD-Programm in der Philharmonie Station.

Ihr exzellentes Deutsch hat sie sich damals, als Hanns-Eisler-Studentin, übrigens kostenlos erarbeitet. „Ich bin einfach zur Humboldt-Uni gegangen und habe in der slawistischen Fakultät am Schwarzen Brett geschaut, wer jemanden zum Russisch-Lernen sucht und dafür im Gegenzug Deutsch anbot.“ Gleich drei Tandempartner organisiert sich die ehrgeizige junge Frau – und findet so auch erste Freunde in der neuen Stadt.

Entdeckt in Neukölln

Keine Chance lässt Olga Peretyatko ungenutzt, um Bühnenerfahrungen zu sammeln. Im Sommer 2004 ergattert sie die weibliche Titelrolle in Händels „Otto und Theophanu“ bei der Kammeroper Rheinsberg, kann sechs Wochen mit Regie-Altmeister Harry Kupfer arbeiten. Im Jahr darauf tritt sie im Saalbau Neukölln in einer opera buffa von Rossini auf - und wird dabei vom Intendanten des Rossini-Festivals in Bad Wildbad entdeckt und engagiert. Dort begeistert sie dann mit ihren federleichten Koloraturen wiederum so sehr, dass 2007 eine Einladung nach Pesaro folgt, ins Mekka der Rossini-Fans an der italienischen Adriaküste.

Ein Ritterschlag, der sie allerdings nicht davon abhält, zwischendurch in Berlin beim populären Massenevent „Classic Open Air“ auf dem Gendarmenmarkt aufzutreten. „Wenn du jung bist, hast du so viel Energie!“, sagt sie. „Es machte mir nicht einmal etwas aus, von den 40 Grad in Pesaro ins nasskalte Berlin zu fliegen und wieder zurück.“ Überhaupt findet Peretyatko die Einstellung der meisten Gesangsstudenten heute zu entspannt. „Wir hatten Tai Chi an der Hochschule - das ist wirklich nicht nötig!“ Sich sechs Jahre lang im Schutzraum der Hochschule zu verstecken und dann zu glauben, man sei reif für ein Festengagement am Theater, hält sie für die falsche Taktik. „So früh wie möglich so viel auftreten wie möglich, darauf kommt es an!“

Steile Karrierekurve

Ihre extrem steile Karrierekurve gibt ihr recht. 2010 macht sie mit der halsbrecherischen Partie von Strawinskys „Le Rossignol“ in Aix-en-Provence Furore, singt 2012 an der Deutschen Oper Berlin „Lucia di Lammermoor“, steht 2013 an der Seite von Rolando Villazon in Mozarts „Lucio Silla“ bei den Salzburger Festspielen auf der Bühne, debütiert 2014 an der New Yorker Met. Ihre ersten drei Soloalben sind ganz aufs Belcanto-Repertoire konzentriert, dem Olga Peretyatko ihren Starstatus verdankt. Doch schon bei diesen vokalakrobatischen Flirts mit dem Publikum ist hörbar, dass in ihrer fabelhaften Stimme noch viel mehr steckt als pure Virtuosität.

Inzwischen hat sich ihre Mittellage entwickelt, ist kräftiger geworden, oder wie sie es ausdrückt „fleischiger“. Die spätromantischen „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss beispielsweise liegen ihr jetzt „sehr bequem“. Und sie beschäftigt sich intensiv mit Werken in ihrer Muttersprache, seit sie 2013 ihre erste große russische Rolle gesungen hat, die Marfa in Rimski-Korsakows „Zarenbraut“, unter der Leitung von Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper.

Harte Laute

„Das Russische ist nicht so sängerfreundlich wie das Italienische, weil die meisten Laute zu weit vorne produziert werden“, erklärt sie. Darum muss sich für den Interpreten mit der Sprache auch die innere Einstellung ändern. „Auf meiner neuen CD singe ich die berühmte ,Vokalise’ von Sergej Rachmaninow. Die kommt zwar ganz ohne Text aus und wird nur auf ,A’ gesungen – trotzdem klingt dieses ,A’ deutlich anders als wenn ich es auf Italienisch singen würde.“

Stücke aus ihrem 2017 erschienenen Album „Russian Light“ stehen auch beim Berlin-Gastspiel mit dem Ural Philharmonic Orchestra am Dienstag in Berlin im Mittelpunkt, Kompositionen von Michail Glinka, Modest Mussorgsky, Rachmaninow und Rimsky-Korsakow. „Ich dachte eigentlich, ich hätte ein Best-of-Album aufgenommen, weil diese Arien und Lieder in Russland wirklich jeder kennt“, sagt Olga Peretyatko, „und war dann ganz erstaunt, als ich erfahren habe, dass es sich fürs deutsche Publikum fast durchweg um Entdeckungen handelt.“

Berliner Philharmonie, Dienstag, 22. Mai, 20 Uhr.

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