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Ist Stühle rücken Musik?

© Thomas Aurin

"Sounds for a while" in der Deutschen Oper: Auf der Jagd nach dem Klang

Schmatzende Lippen, kratzende Bürsten: Studierende der UdK erforschen in „Sounds for a while“ in der Tischlerei der Deutschen Oper die Grenze von Geräusch und Musik.

Das ist dann wohl schon die erste Nummer auf dem Programmzettel: „Mögen sich die Türen öffnen“ heißt sie. In der Tischlerei der Deutschen Oper bildet sich eine Schlange im Treppenhaus, also eingereiht. Irgendwo da oben soll gerade was passieren, zu hören ist aber nichts. Egal, es kommen noch 19 weitere Szenen. Als sich die Türen tatsächlich öffnen, geben sie den Blick frei auf eine Leinwand, Schattenrissen, Figuren ziehen Stühle hin und her. Quietschen und Kratzen, vielfach verstärkt und mit einem Schlagzeug vermischt. Wie könnte diese Szene anders heißen als „Stühle rücken“?

Der UdK-Studiengang Sound Studies von Klangkünstler und Gastprofessor Hans Peter Kuhn lädt unter einem leicht abgewandelten Purcell-Zitat zu „Sounds for a while“ (wieder 27.-30. Juni und 2. Juli, 20 Uhr). „A while“ bedeutet eine schlanke Stunde. Die Besucher wandeln frei im Raum wie durch einen Wald, überall stehen Hochsitze. Gejagt wird hier aber nach etwas Immateriellem, nach dem Wesen des Klangs. Noch mal Purcell, Didos Lamento „When I am laid in earth“, aufgemotzt durch einen Performer, der sprotzige, leicht ekelige Spuck- und Furzgeräusche ins Mikro brabbelt. Wasser tropft in Eimer, es klingt wie Donnerhall, die Szene heißt „In der Halle des Werkkönigs“ – auch wenn von Grieg, an dessen Peer-Gynt-Suite der Titel sich anlehnt, gar nichts zu hören ist. Ein Akkordeon atmet langsam aus und ein, als würde es schlafen. Bürsten und Besen kratzen, schaben, rattern über raue Oberflächen, eine Performerin pappt sich Drähte auf die Haut, plötzlich hört man laut ihre Zähne klappern, ihre Lippen schmatzen und sogar die Lider schlagen. Am kürzesten die Szene, die auch so heißt: „Ganz kurzer Mord“. Sie besteht nur aus einem Schrei.

Der Abend operiert auf mehreren Ebenen, ist nicht nur auditiv, sondern auch visuell und als Performance angelegt. Steinzeitliche Technik, Kassettenrekorder und Tonbänder, paart sich mit neuesten digitalen Tricks. Doch steht am Ende mehr als ein staunendes „Toll, was alles möglich ist“? Vielleicht dies: Das Projekt erkundet eine messerscharfe Grenze. Wo hört Geräusch auf, wo kippt es in Musik? Ist alles Musik? Keine neuen Fragen, Helmut Lachenmann stellt sie schon lange, hier aber werden sie erfrischend direkt angegangen. Was erklingt, ist gestaltet, hat Farbe, Rhythmus, Tonhöhe. Man schaukelt sich in eine Trance hinein, in der allerdings, paradoxerweise, das Hören umso schärfer gestellt wird. Ein Training in Achtsamkeit – für die vielen kleinen akustischen Sensationen, die unseren Tag begleiten und Teil unserer Wirklichkeit sind.

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