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Lena Meyer-Landrut: Lyrik ist noch möglich.

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Sprachkolumne: Wie der Lachs läuft

Matthies ringt um Worte: Zum Auftakt seiner neuen Sprachkolumne zieht Bernd Matthies eine direkte Linie von Udo Lindenberg über Dieter Bohlen zu Lena Meyer-Landrut.

Aus der Sicht unserer Linguistikprofessoren ist die Lage klar: Sprache verändert sich. Irgendwie. Und deshalb schauen sie erfreut bei dieser Veränderung zu wie Vulkanforscher, wenn der Ätna spuckt – mal abwarten, wie die Westflanke morgen früh aussieht. Wir Journalisten packen die Sache dagegen gern etwas aktiver an: Wir wissen, dass die Sprache kein Naturereignis ist, sondern dass wir selbst es sind, die sie tagtäglich verändern – wir und eine Unzahl von Werbetextern, Schriftstellern, TV-Prominenten, die Anstöße und Vorbilder liefern für diese Wandlung. Und deshalb ist es vernünftig, nicht alles laufen zu lassen, sondern gewisse normative Vorstellungen zu entwickeln und diese Veränderungen kritisch zu begleiten, sie vielleicht nicht in richtig und falsch, aber doch in besser und schlechter zu unterteilen. Diese Kolumne wird es versuchen. Richtig ist allerdings, dass die Chancen, unsere Sprache zu verändern, ungleich verteilt sind. Großunternehmen? Ach. Zwar hat die Bahn ganz Deutschland mit Toilettenanlagen namens „McClean“ überzogen, doch nie wird irgendjemand, der noch einigermaßen bei Trost ist, sagen: „Ich gehe jetzt ins McClean“. Kiss & Ride, Surf & Rail – alles Sprachmüll der Bahn, mit Schwung in die Grütze gesetzt, denn so groß und mächtig kann ein Unternehmen gar nicht sein, dass es die Menschen zwingen könnte, so etwas nachzuplappern. Und wenn uns SAT1 „Colour your life“ ins Ohr säuselt, schalten wir einfach um. Diese lächerlichen Anglizismen dominieren zwar Stadtbild und Werbung, und ja, sie schließen viele Menschen von der Kommunikation aus – aber zum Bestandteil unserer aktiven Sprache bringen sie es nur ganz selten. Das gilt übrigens erst recht für die lieben Feministinnen und Feministen, die die deutsche Kultur der öffentlichen Rede und der Stellenausschreibung bis zum absoluten Unfug mit „durchgegenderten“ Parallelformen durchtränkt haben. Aber abseits der Rednerpulte gesprochen werden sie nicht, die Sprache besitzt ein starkes Immunsystem zumal, wenn politische Kampfbegriffe bei ihr Unterschlupf suchen.

Die wirklich Mächtigen sitzen woanders. Wenn ein Werber stark und knapp textet und dabei Sätze wie „Geiz ist geil“ findet, setzt er sich durch. Auch Dieter Bohlen ist einer, der Sprache verändert. Nicht im Sinne unserer Kulturpessimisten, das ist offensichtlich. Aber wenn er einen Dussel „Vollpfosten“ nennt oder unangenehm starke Bilder ausmalt („Wenn ich meinem Hund 'ne Currywurst in den Hintern schiebe, dann macht der auch solche Geräusche"), dann drückt sich das mit rasender Geschwindigkeit in unsere gesprochene Alltagssprache durch, und das keineswegs nur bei den Unterschichtfernsehern. Wie tief und dauerhaft bildhafte Sprüche auf die Sprache einwirken, wenn die Haltung dahinter als „cool“ geschätzt wird, das hat Udo Lindenberg schon eine Generation früher gezeigt. „Johnny Controletti“, „Keine Panik auf der Titanic“, seine ganzer schluffig nölender Alles-Easy-Alter-Slang hat unseren Sprachgebrauch über Jahrzehnte geprägt bis in den absoluten Überdruss, hat geholfen, unsere Phrasenschweine bis zum Rand mit Münzen zu füllen. Niemand, der vor 30 Jahren 20 wurde, war dagegen immun. Dauerhaften Schaden hat das nicht hinterlassen, eher die Lust am Sprachspiel beflügelt – Dieter Bohlen ist, so gesehen, auch nur eine Techno-Version Lindenbergs.

Was hätten wir grad aktuell? Lena Meyer-Landrut. Doch, ehrlich. Da entwickelt sich was, ein gradliniger, überraschender, unbefangener Umgang mit Sprache, und das aus Hannover, einer Gegend, die für nichts als sauberes, langweiliges Hochdeutsch bekannt ist. Merkwürdige Worte, merkwürdige Sätze, aber frisch geputzt. „So läuft der Lachs“, sagt die steil himmelwärts strebende Pop-Sängerin, formuliert Sachen wie „Ich freu mich so, so hart“ oder „Das ist so derbe, ich hätte nicht gedacht, dass mich das so mitnimmt“. Wenn die Syntax im Gefühlssturm zusammenbricht, wenn sie sich fühlt, „als hätte ich 38 Mettklopse im Hals“, bleiben immer noch höchst ansehnliche Fragmente: „Hagen Mund Wort hören Hagen Westernhagen Mund Wort“. Und auch das Aroma des platten Landes kommt in ihren Worten zum Ausdruck: „In Oslo hätte ich dann schon alles im Täschken“.

Das merken auch die Fans. Einer hat ihr per Internet ein Sprachbild geschenkt, wie wir es dieser Generation kaum zugetraut hätten: "Man möchte stundenlang nur Überraschungseier für sie zusammenbauen aus Liebe..." Lyrik ist noch möglich. Und die deutsche Sprache funktioniert.

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