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Kultur: Spröde mit weicher Oberfläche Bildhauer Volker Bartsch

im Kolbe-Museum.

Merkur breitet seine Schwingen aus, spannt sich zum Sturzflug, ein Bein zum Abstoß gestreckt. Mitreißend treibt der Bildhauer Volker Bartsch das schwere Material, die Bronze, zu einem halsbrecherischen Balanceakt. Das Georg-Kolbe-Museum ehrt den Künstler zu seinem 60. Geburtstag mit einer Retrospektive und lässt dabei auch den Schaffensprozess transparent werden. In einer Vitrine kippelt ein winziger Merkur aus Gips und Styropor auf einer Zigarrenschachtel. Im Modell übt der Künstler das Gleichgewicht.

Oft gesehen, kaum bemerkt stehen seine Außenskulpturen am Lützowplatz, am Karlsbad oder, nachdem Metalldiebe die Bronzehälfte gestohlen haben, als steinerner Rumpf am Kulturforum. Der mächtige Ammonitenbrunnen vor dem Elefantentor des Zoologischen Gartens wirkt wie aus der Erde geplatzt. 1985 erhielt Volker Bartsch als 32-Jähriger den Auftrag, die Plastik an exponierter Stelle in West-Berlin zu schaffen. Gesplitterte Tafeln von Schiefer und Granit lässt er wie Papierfetzen übereinandersegeln. Dazwischen presst er Einschlüsse aus Eisen. Das urzeitliche Gestein inkorporiert den Schrott der Gegenwart. In der Ausstellung sind auch die Gouache-Vorarbeiten zu sehen. Das Triptychon nimmt den gesprengten Charakter des Materials vorweg. Die spitzigen, grauen Pinselhiebe erinnern an Emilio Vedovas Berlin-Tagebuch und beweisen, dass der archaisch anmutende Brunnen in der geteilten Großstadt entstand.

Volker Bartsch, 1953 in Goslar geboren, studierte an der Hochschule der Künste. Von Lothar Fischer übernahm er die Vorliebe für Hohlkörper und den Grenzbereich zwischen Figur und Abstraktion. Der Schweizer Bildhauer Max Bill riet ihm, sich ganz auf das Material zu besinnen. Tatsächlich entstehen Bartschs stärkste Plastiken aus dem Machtkampf zwischen Mensch und Material.

Von der Bronze sagt der Künstler, sie entspreche seinem Charakter, spröde, mit samtweicher Oberfläche, kantig und fließend. Bartsch gießt die Bronze nicht nur, er ritzt den Gipsstock, schneidet die Flächen, schweißt sie neu zusammen mit scharfen Nähten. Die Formen rempeln einander weg und verhaken sich wieder. Bronzetore versperren den einen Weg und eröffnen einen anderen. Aus diesem „gelebten Eisenblech“ schweißt er neue farbige Stelen, die wie abgekämpfte Veteranen mühsam aufrecht stehen.

Seit Mitte der 90er pendelt Bartsch zwischen einem Vierseithof in Wildenbruch und dem Atelier in Wedding. Auch im Club Kater Holzig arbeitet er. Jüngst hat sein Werk eine Wendung eingeschlagen. Im Kellerkabinett des Museums karikieren deformierte Köpfe mit aufgespritzten Lippen den Schönheitswahn. Das Thema Gentrifizierung gießt Bartsch plakativ als wackeliges Wohnhaus in Bronze. Zu Political Correctness verdammt, verliert die Bronze jedoch ihre lebendige Leichtigkeit. Da folgt der Bildhauer nicht mehr der Spur des Materials, sondern zwingt es zu einer Aussage. Ein Machtkampf, in dem Volker Bartsch zwar der Stärkere ist, aber nicht der Sieger.Simone Reber

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee, Westend, bis 10. 11., Di-So 10 – 18 Uhr

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